Wer schaut nicht gerne hinter die Kulissen der Parteizentralen, wenn abseits der offiziellen Sprachregelungen Klartext gesprochen wird. Die vorliegende Dokumentation macht dies einmal mehr möglich - allerdings mit 40-jähriger Zeitverzögerung. Der fünfte Band aus der Reihe "Protokolle des CDU-Bundesvorstandes", herausgegeben im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, umfasst die Jahre 1965 bis 1969 unter den Parteivorsitzenden Konrad Adenauer, Ludwig Erhardt und Kurt Georg Kiesinger.
Der Titel "Kiesinger: Wir leben in einer veränderten Welt" - ist vielsagend. Denn trotz des Wahlsieges 1965 steuert die Union in unruhige Fahrwasser. Bereits fünf Monate nach der Bundestagswahl findet der inzwischen 90-jährige Adenauer mahnende Worte: "Wir werden bei der Wahl 1969 nicht mit Worten durchkommen (...) In diesem Kreise darf ich sagen, ich fürchte, unsere Partei wäre als Oppositionspartei nicht lebensfähig." Im März 1966 tritt Erhardt die Nachfolge Adenauers gegen dessen Widerstand als Vorsitzender an, verliert aber, da er es beispielsweise in der Debatte um die Modernisierung der Parteistrukturen deutlich an Führungsqualitäten mangeln lässt, schnell an Unterstützung. Die Krise spitzt sich zu. Ende des Jahres zerbricht die Koaltion mit der FDP und Kiesinger wird Kanzler der Großen Koaltion. Im Mai 1967 übernimmt er auch den Parteivorsitz.
Die Protokolle sind zwar eine spannende Lektüre, aber die Brisanz der Wortgefechte erschließt sich eben nur dem, der um die konkreten Hintergründe der Auseinandersetzungen und die Brisanz so mancher versteckter Verbalattacke zu deuten weiß. Die Einleitung von Günter Buchstab ist insofern nicht nur hilfreich, sondern zwingend zu lesen. Für Parteieinforscher ist der Band jedoch eine wahre Fundgrube.
Günter Buchstab (Bearb.)
Kiesinger: "Wir leben in einer veränderten Welt."
Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1965 - 1969.
Droste Verlag, Düsseldorf 2005; 1570 S., 78 Euro.