In der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ziehen Kommission und EU-Parlament an einem Strang. Vertreter aller großen Fraktionen begrüßten vergangene Woche die Vorschläge von EU-Innenkommissar Franco Frattini, wie die gemeinschaftliche Politik in diesem Bereich zu verbessern sei. Doch die Einflussmöglichkeiten von Kommission und Parlament sind in diesem Bereich äußerst gering. Nach wie vor gilt das Einstimmigkeitsprinzip im Rat - das Parlament wird lediglich angehört.
Deshalb hat EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso zusammen mit der seit dem 1. Juli amtierenden finnischen Ratspräsidentschaft einen neuen Vorstoß unternommen. Artikel 42 des derzeit geltenden EU-Vertrages sieht nämlich vor, dass dieser Politikbereich in die sogenannte Mitentscheidung überführt werden könnte (qualifizierte Mehrheit im Rat und Zustimmung einer Mehrheit der Abgeordneten), wenn die Regierungschefs sich darauf einstimmig verständigen. Deutschland ist dagegen - mit der offiziellen Begründung, es sollten nicht Teile aus dem Verfassungsvertrag vorab in Kraft treten, um das Projekt nicht zu zerstückeln. Tatsächlich tat sich schon die rot-grüne Regierung schwer mit dem Gedanken, Hoheitsrechte in der Innen- und Justizpolitik an die europäische Ebene abzutreten. Auch Großbritannien hat Vorbehalte dage-gen angemeldet, das Vetorecht in dieser Frage aufzugeben.
Die in der EU-Sprache "Passerelle" genannte Klausel, der Durchgang von einem Gesetzgebungsverfahren ins andere, spielte bei der Debatte in Straßburg eine große Rolle. So forderte die niederländische Abgeordnete Jeanine Hennis-Plasschaert, spätestens zum Ende des Haager Programms 2010 müsse das Asylverfahren europaweit vereinheitlicht sein. Das könne nur gelingen, wenn das Einstimmigkeitsgebot im Rat falle. Die Liberale verlangte auch, Einwanderung, illegale Migration und die Situation in den Herkunftsländern nicht länger als getrennte Bereiche zu betrachten, sondern Zusammenhänge zu erkennen und die Politiken aufeinander abzustimmen.
Das möchte auch Innenkommissar Frattini in Zukunft mehr tun. "Wir müssen die Migration umgestalten in eine freiwillige Aktion von Menschen, die nicht aus Not, sondern aus freiem Willen zu uns kommen", erklärte der Kommissionsvizepräsident den Abgeordneten. Legale Zuwanderung sehe er als Chance an, nicht als Gefahr. Die Entscheidung, welches Land wie viele Menschen aufnehme, bleibe aber ein nationales Hoheitsrecht. Wichtig sei, dass nicht nur Hochgebildete angeworben würden. "Wir brauchen auch Saisonarbeiter, Helfer in der Landwirtschaft - wir sollten uns nicht auf Ingenieure, Ärzte oder Forscher beschränken". Was die Flüchtlinge in Europa verdienten, fließe teilweise in die Herkunftsländer zurück und trage dort zur Verbesserung der Situation bei. Zusammen mit der Weltbank wolle die Kommission daher ein Modell entwicckeln, wie Zuwanderer Mikrokredite für Investitionen in der Heimat erhalten könnten. Als "ebenso große Herausforderung wie die Erweiterung", bezeichnete der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses, Stavros Lambrinidis, das Flüchtlingsproblem. "Im Grunde sind die Migranten ein 26. Mitgliedstaat. Aber im Gegensatz zu den anderen Erweiterungen gibt es dafür sehr wenig finanzielle Mittel!" Der sozialistische Abgeordnete aus Griechenland kritisierte, dass die meisten Probleme nach wie vor auf lokaler oder regionaler Ebene behandelt würden. Die EU habe sich bei Fragen wie Bildung oder Familienzusammführung nicht auf einheitliche Standards verständigen können. Sein spanischer Fraktionskollege Manuel Medina Ortega fragte: "Was tun wir dagegen, dass die Auswanderung die einzige Einkunftsquelle eines Landes ist?" Wie im Haager Programm vorgesehen, solle die EU die legalen Möglichkeiten dafür schaffen, dass Wirtschaftsflüchtlinge zeitlich befristet nach Europa kommen könnten, um dort Geld zu verdienen. Ortega beklagte, dass die humanitären Lasten nach wie vor ungleich verteilt seien. Nur 5,7 Millionen Euro stünden dieses Jahr für gemeinschaftliche Grenzsicherung und Flüchtlingsbetreuung zur Verfügung. Kommissar Frattini stellte heraus, dass bei der aktuellen Krise auf den Kanarischen Inseln dreizehn Mitgliedstaaten Boote und Flugzeuge zur Unterstützung angeboten hätten. Zum ersten Mal finde eine solche Aktion unter der Regie der neuen EU-Grenzagentur FRONTEX statt. Malta solle ebenfalls Hilfe erhalten. Für den 19. Juli kündigte der Kommissar Leitlinien der Kommission zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung an. Es solle konsequenter gegen Arbeitgeber vorgegangen werden, die Flüchtlinge ohne Papiere beschäftigen. Die Kommission wolle Informationskampagnen in den Herkunftsländern starten, um Fluchtwillige über die Gefahren aufzuklären. Gleichzeitig sollten für die Flüchtlinge aber Sprachkurse und berufsbildende Kurse angeboten werden, um die "legale und notwendige" Zuwanderung besser vorzubereiten und zu unterstützen.