Wenig deutet darauf hin, dass Dunia Hamulis Traum in Erfüllung geht. "Für mich sind die Wahlen wie eine Schwangerschaft. Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Du weißt nicht, ob das Kind gesund auf die Welt kommt. Und den Geburtstermin kennst Du auch nicht", sagt die Marktfrau Beatrice Lusamba in Kinshasa.
25,6 Millionen Kongolesen haben sich als Wähler registrieren lassen, nahezu jeder Erwachsene. Vom 30. Juni an sollen Präsident, Parlament und Provinzregierungen in mehreren Wahlgängen bestimmt werden. Es geht um 500 Abgeordnetensitze, 10.000 Parlaments- und 33 Präsidentschaftskandidaten. Es sind die ersten demokratischen Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo seit 1965. Ob sie zu einer Stabilisierung der Region der Großen Seen führen, ist ungewiss. Ob sie friedlich verlaufen werden, ist noch ungewisser. Selbst der Wahltermin könnte erneut verschoben werden. Zum achten Mal innerhalb eines Jahres.
Eine halbe Milliarde Dollar haben Vereinte Nationen, Europäische Union und Deutschland in den Wahlprozess investiert. Nun sollen die Menschen wenigstens den Weg zum Wahllokal überleben. Deshalb hat die Europäische Union ihr EUFOR-Kontingent mit rund 2.000 Soldaten bereitgestellt, das die 17.800 Blauhelme der UN-Mission MONUC unterstützen soll. Darunter sind 780 Deutsche. Ihr Einsatz, sollte er tatsächlich nur vier Monate dauern, kostet ein Zehntel dessen, was die Weltgemeinschaft für die Wahlen bereitgestellt hat.
Deutsche Techniker, Hubschrauberpiloten, Kommunikationsexperten und Sanitäter sind schon in Kinshasa eingetroffen, eine Vorhut. Auf dem heruntergekommen Stadtflughafen N´Djili errichten sie Zelte und Container, damit sie schnell aus dem schäbigen Grand Hotel herauskommen, wo sich reiche Kongolesen und hübsche Prostituierte an der Bar drängen. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich, das Massenelend in dem Moloch Kinshasa schockieren die Soldaten. Von den sechs bis neun Millionen Einwohnern - so genau weiß das keiner - lebt die Mehrheit in Slums. "Man ist da ratlos. Man fragt sich auch, ob das, was wir hier einbringen, letztendlich wirklich hilft", sprach der Hubschrauberpilot Thomas Hafner dem WDR-Reporter Wim Dohrenbusch ins Mikrofon. Strikter Neutralität wollen die deutschen Militärs sich befleißigen, damit sie nicht zwischen die Fronten der Wahlkämpfer geraten oder als Erfüllungsgehilfen des Präsidenten Kabila angegriffen werden.
Bald wir die Zahl der deutschen Soldaten in Kinshasa die angestrebte Zahl von 280 erreicht haben. 500 bleiben als Notfallreserve im anderthalb Flugstunden entfernt gelegenen Gabun. Weihnachten soll die deutsche Truppe wieder in der Heimat feiern, verspricht Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Und erweist der EUFOR-Einheit damit einen Bärendienst. So entkräftet er die Drohkulisse, die die Europäer gegenüber möglichen Störern aufbauen wollten. "Dann warten wir eben", werden die sich sagen. Weihnachten wird es im Kongo noch keine Regierung geben, wenn der erste Wahlgang nicht allzu krass zu Gunsten eines Präsidentschaftskandidaten gefälscht wird. Mit freien und fairen Wahlen rechnet ohnehin niemand. "Akzeptabel", würde schon reichen, sagen viele Kongolesen.
Für 53.000 Wahllokale gibt es 2.000 ausländische Beobachter, davon nur 250 aus Europa, was absurd anmutet angesichts dessen, was Europa im Kongo investiert und mit seinem Truppeneinsatz riskiert. Mindestens zehn Tage, wahrscheinlicher drei Wochen, werden vergehen, bis amtliche Ergebnisse verkündet werden. Keine 500 Kilometer Straßen sind im Kongo asphaltiert - einem Land, das so groß ist wie Westeuropa und Großbritannien zusammen. Allein der Transport der Wahlurnen zu den zentralen Zählstationen wäre eine logistische Großtat. Was auf dem Weg mit den Wahlscheinen passiert? Wer weiß das schon.
Was ist noch hinnehmbar und was nicht in einem Land, das seit zehn Jahren in blutiger Anarchie versinkt? Erdrückend sind die Hinweise, dass sich die verfeindeten Kriegsfürsten, die seit dem Friedensabkommen von Sun City im Jahr 2003 die politische Spitze des Landes bilden, schamlos an Rohstoffreserven, Zolleinkünften und willkürlich festgelegten Gebühren bereichern. Im Eiltempo lässt der 35-jährige Präsident Joseph Kabila noch vor den Wahlen staatliche Schürflizenzen verkaufen, sagen Beobachter. Nach dem Mining-Code müssten sie öffentlich ausgeschrieben werden. Werden sie aber nicht. "Die Erlöse versickern in den Wahlkampagnen", kritisiert die Lobbygruppe Global Witness. Juristisch gegen die Plünderung vorzugehen ist sinnlos. Es gibt kaum Richter im Kongo. Der Oberste Gerichtshof ist von Günstlingen Kabilas besetzt.
Irgendwo müssen die 54 Millionen Dollar ja herkommen, die Joseph Kabila in seinen Wahlkampf investiert. Manche Quellen sprechen auch von 100 Millionen Dollar. Landesweit lässt er gelbe Fahrräder mit dem Logo seiner Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung (PPRD) verschenken. Omnipräsent sind die Kabila-Wimpel. Seine Großplakate versprechen ein Ende der Gewalt: "Es lebe die Nächstenliebe. Es lebe der Frieden." Schöne Worte. Aber noch lieber haben die verarmten Kongolesen Bargeld. "Es ist wahrscheinlich, dass viele ihre Stimme verkaufen werden", sagt der Analyst der International Crisis Group, Jason Stearns, einer der besten Kongo-Kenner.
Klar ist: Nur wer in der Regierung sitzt, hat viel Geld für seine Wahlkampagne. Kabila, Sohn des 2001 von einem Leibwächter ermordeten Laurent Kabila, ist der Favorit. Er könnte im ersten Wahlgang mehr als 30 Prozent der Stimmen holen. Der einzige, der auf ein vergleichbares Ergebnis hoffen könnte, tritt gar nicht an zur Wahl. Etiènne Thisekedi (73) ist seit Jahrzehnten der wichtigste Oppositionspolitiker. Jahre verbrachte er unter Mobutu in Folterzellen, wurde auch unter Laurent Kabila inhaftiert. Als ehemaliger Premier verfügt der Jurist über beachtliche Erfahrung. Doch er ließ seine Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS) diesmal nicht registrieren. Weil er in Sun City nicht als einer der vier Vizepräsidenten Kabilas an die Macht kam, fühlte er sich benachteiligt und entschied, den gesamten Wahlprozess zu boykottieren. Was macht er mit seinen zwei bis drei Millionen Anhängern? Ruft er sie zu Protest und Gewalt auf? Dann stehen den deutschen Soldaten in Kinshasa unruhige Wochen bevor. Oder wirft er sein Gewicht beim zweiten Wahlgang in die Waagschale und unterstützt Kabilas zweiten aussichtsreichen Herausforderer, Oscar Kashala?
Oscar Kashala ist der große Unbekannte, der aus den USA kommend in den Wahlprozess im Kongo einstieg. Gemäß seiner Homepage ist er ein weltbekannter Krebsforscher von der US-amerikanischen Harvard-Universität, der schon in seiner Jugend in Kinshasa politisch verfolgt wurde und sein eigenes Hilfswerk betreibt. Der etwa 55-jährige Mediziner verfügt über beachtliche Mittel und bietet sich vor allem den gebildeten Ständen zur Wahl an. Wenn Tshisekedi ihn unterstützt, dann wird es in der Stichwahl eng für Joseph Kabila. Dann würden sich auch die Hoffnungen des mutmaßlichen Kriegsverbrechers und Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba und seiner Kongolesischen Befreiungsbewegung (MLC) zerschlagen.
Bembas Parole ist "Congolité". Damit spielt er die nationalistische Karte, was gefährlich ist in einem Land mit 200 Ethnien. Nur waschechte Kongolesen dürfen regieren, sagt Bemba. Das richtet sich gegen Kabila, der in Tansania aufwuchs und dessen Vater ein so schlimmer "Trunkenbold und Hurenbock" war, das sich sogar sein Mitkämpfer Che Guevara darüber aufregte. Auch Kashala, der sein halbes Leben in den USA verbrachte, ist ein Opfer der Congolité-Propaganda. Zimperlich sind die Parteien ohnehin nicht in ihren weitgehend inhaltslosen Kampagnen. Bemba selbst wird als Pygmäenfresser verunglimpft. Seinen Milizen werden kanibalistische Übergriffe auf die Pygmäen vorgeworfen, die seitdem im Volksmund "chakula ya Bemba heißen", Bembas Frühstück.
Bemba verfügt wie Kabila über starken militärischen Rückhalt. Kabilas Präsidialgarde ist mit rund 15.000 Mann vermutlich eine der größten der Welt, und auch Bembas nahe Kinshasa stationierte Leibgarde wird auf mindestens 1.000 Soldaten geschätzt. Diese Einheiten abzuschrecken und sie daran zu hindern, nach einer möglichen Wahlniederlage Kinshasa zu übernehmen, gehört zu den Aufgaben der EUFOR-Truppe. Dass Kabilas Soldateska Oppositionelle und Journalisten drangsaliert, dass seine undisziplinierte Armee in vielen Landesteilen Furcht und Schrecken verbreitet, weil die Soldaten ihren kargen Sold von zehn Dollar im Monat selten erhalten und sich an der Bevölkerung schadlos halten, werden wohl weder MONUC noch EUFOR unterbinden.
Zu den gefürchteten Schreckgespenstern gehört auch der desertierte Armeekommandant Laurent Nkunda. Er ist einer der mächtigsten Milizenführer im "wilden Osten" Kongos. In Masisi bei Goma unterhält er vier Trainingscamps, rekrutiert Soldaten der Regierungsarmee gleich in Brigadenstärke und zahlt jedem nach Angaben von Augenzeugen 20 Mal soviel wie Kabila. Ob aus taktischen Gründen oder aus Unvermögen, ist unklar, aber klar ist, dass MONUC und die Regierungsarmee Nkunda zurzeit nicht provozieren wollen. So könnte er die Wahlen im Osten unterbinden. Oder abwarten, bis ihm einer seiner Verbündeten in Kinshasa ein Angebot zur Beteiligung an der Macht unterbreitet.
Warum die EUFOR nicht wie die Franzosen vor drei Jahren mit ihrer höchst erfolgreichen Mission "Artemis" im Osten aufräumt, ist den meisten Kongolesen völlig unbegreiflich und vielen ausländischen Beobachtern ebenso. "Militär wird im Osten gebraucht", sagt Crisis-Group-Experte Stearns, "in Kinshasa reicht Polizei". "Kommt zu uns", bittet der deutsche Pharmaunternehmer Horst Gebbers in Bukavu. Und Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck spottet: "Die Bundeswehr geht im Kongo dahin, wo sie keiner braucht".
Mit dem Geld für die deutsche EUFOR-Beteiligung würde Neudeck lieber 1.400 Kliniken oder 1.244 Schulen bauen. Beides wird im Kongo dringend gebraucht. Im Osten geht kaum jedes zweite Kind zur Schule. Wer ein Antibiotikum braucht oder vor einer schweren Geburt steht, der kann schon mal 500 Kilometer durch den Busch laufen, bis er eine Klinik findet. Entsprechend hoch sind die Sterberaten. Auf 1.000 bis 1.200 täglich schätzen Hilfsorganisationen die Zahl der Opfer, die an den Folgen von Krieg, Hunger und oft leicht heilbaren Krankheiten sterben.
Besonders erschütternd ist das Schicksal der Frauen und Mädchen. Jeden Tag kommen allein im Krankenhaus von Panzi bei Bukavu zehn Frauen an, die an der "Fistula" leiden. Ihr Geschlechts- und Analtrakt wurden von ihren Vergewaltigern zerrissen. Die Frauen müssen mehrere komplizierte Operationen überstehen, bis sie wieder Kontrolle über ihre Ausscheidungen haben. "Noch nie wurde einer bestraft", sagt der leitende Arzt von Panzi, Denis Mukwege Mukangere, "obwohl die Frauen die Täter oft namentlich kennen". Aus seinen Statistiken, immerhin 3.500 Fälle im Jahr, kennt der Doktor die Zentren der Gewalt, aber weder Monuc noch die Polizei seien je dorthin ausgerückt.
Auch die deutschen Soldaten werden den Frauen im Ostkongo nicht helfen. Ihre Hauptaufgabe ist der Schutz und notfalls die Rettung der ausländischen Wahlbeobachter. "Die sind nur für sich selbst da", kritisieren die Kongolesen die EUFOR-Truppe schon jetzt. Frieden und ein "normales" alltägliches Leben werden jedenfalls mit oder ohne Wahlen noch lange nicht herrschen im Kongo.