Beirut. Ein Paar Schuhe, Plastikspielzeug der Kinder, ein Kochtopf: Das ist alles, was Haidar an diesem Tag in den Trümmern findet, wo einmal das Haus stand, in dem er mit seiner Familie im vierten Stock wohnte. Bagger sind angerückt, um den Schutt zu entfernen. Zurück bleiben riesige Krater, die die Bomben gerissen haben. Manche füllen sich mit Grundwasser und werden zu kleinen Seen - mitten im Süden Beiruts. Haret Hreyk heißt das Viertel, wo zumeist Schiiten wohnen und wo die israelische Armee Hisbollah-Kämpfer ausgemacht haben will. Es wurden ein Krankenhaus, Kindergärten und Wohnblocks bombardiert; sechs Kleider- und zwei Schuhfabriken, ein Matratzenlager und ein Papiertütenbetrieb. Den Sommer 2006 werden die Menschen in Haret Hreyk nie vergessen. "Mein Fotogeschäft musste umziehen", steht auf einem Fetzen Laken geschrieben, das an einem Straßenlaternenpfahl befestigt ist, gleich neben einer zerbombten Tankstelle. Insgesamt forderte der 34 Tage dauernde Krieg zwischen Israel und Libanon das Leben von mehr als 1.000 Libanesen, zumeist Zivilisten. 162 Menschen wurden auf israelischer Seite getötet, zumeist Soldaten.
Das Ausmaß der Zerstörung gehe weit über das hinaus, was er sich vorgestellt habe, kommentiert Bischof Wolfgang Huber das, was er in der libanesischen Hauptstadt gesehen hat. Der Vorsitzende des Rates der EKD nahm das 150-jährige Bestehen der evangelischen Gemeinde in Beirut zum Anlass, "ein Zeichen zu setzen" und in den Libanon zu reisen. "Die Reaktion Israels hat das Maß der Verhältnismäßigkeit weit überschritten", sagt Huber sichtlich bewegt. "Diese Bomben haben Verständigungsbereitschaft zerstört, Chancen für Versöhnung und Vertrauen zunichte gemacht. Es sind nicht nur Häuser kaputt und der Lebensraum von Menschen zerstört, sondern noch viel mehr." Die Spuren würden auf Jahre hin sichtbar sein. Die Wunde, die dieser Krieg gerissen habe, werde sehr, sehr lange bleiben. "Und es wird große Anstrengungen kosten, einem neuen Friedensansatz in dieser Region den Weg zu ebnen."
Die Behauptung der israelischen Armee, in den bombardierten Gebäuden hätten sich Hisbollah-Kämpfer befunden, beantwortet Haidar mit einem Lächeln. "Wir sind hier alle für die Hisbollah", weiß er und zeigt mit der Hand um sich herum. "Sie hätten also alles zerbomben können!" Der 47-jährige Schiit gehört zwar der Hisbollah nicht direkt an, ist aber Mitglied der Amal-Partei, die kräftig mit Hassan Nasrallah und seiner "Partei Gottes" sympathisiert. 1975, zu Beginn des 15 Jahre dauernden Bürgerkrieges gegründet, ist diese Partei zur einflussreichsten Schiiten-Vertretung im Libanon geworden. Während sie sich noch im Bürgerkrieg gegen Hassan Nasrallahs ebenfalls schiitischer Hisbollah positionierte, zieht sie jetzt am selben Strang. "Die Hisbollahleute sind die einzigen in diesem Land, die sauber und nicht so korrupt sind, wie die anderen", begründet Haidar seine Haltung und übt damit Kritik an seiner eigenen Partei. "Und sie sind die einzigen, die jemals ernsthaft den Israelis die Stirn geboten haben." Aus Haidars Stimme klingt ein gewisser Stolz. "Eine Riesen-Kriegsmachinerie gegen eine kleine Miliz!" Sollte Unifil, die von der UNO zusammengestellte Friedenstruppe für den Libanon, ihren Auftrag nicht erfüllen und zu sehr im Sinne Israels agieren, werde Hisbollah wieder kämpfen, ist Haidar überzeugt. Auch der schiitische Parlamentspräsident und Vorsitzende von Amal, Nabih Berri, warnt vor neuen militärischen Auseinandersetzungen nach dem Ende des Ramadans. Sollte Israel nicht aus den immer noch besetzten Shebaa-Farmen abziehen, würde es gewaltsam von dort vertrieben.
Doch nicht nur der kleine Landstreifen im Dreiländereck Syrien-Libanon-Israel ist Stein des derzeitigen Anstoßes. Es geht noch um drei weitere auf der UN-Karte rot markierte Felder, um deren Zugehörigkeit seit dem Abzug der Israelis aus Südlibanon im Jahr 2000 gestritten wird.
Zaki fährt Taxi in Beirut. Wild gestikuliert er hinter dem Steuer seines alten Mercedes, den er von seinem Deutschland-Aufenthalt in den 80er-Jahren mitgenommen hat. "Ich war überall: in Dresden, Berlin, Frankfurt, Dortmund." Sein Bruder lebt noch immer in Essen. Als Bürgerkriegsflüchtlinge hat man sie damals aufgenommen. Zaki wollte wieder zurück in den Libanon. Eigentlich stammt er aus dem Süden, aber von seinem Dorf ist nicht mehr viel übrig geblieben - "zu nah an der israelischen Grenze". Auch sein Haus liegt in Schutt und Asche. Als Hisbollah-Kämpfer hat er Soforthilfe bekommen: 40 Millionen libanesische Lira (etwa 23.000 Euro). Nun wartet er noch auf die von der Regierung versprochenen 20.000 Dollar. Ob der Betrag allerdings in voller Höhe bei ihm ankommen wird, bezweifelt der 51-Jährige. "Ich weiß nicht, durch wie viele Taschen das Geld wandert." Abgesehen von der Riesensumme (940 Millionen US-Dollar), die die Geberkonferenz Ende August in Stockholm für Libanon beschlosen hat, sollen weitere 30 Millionen Dollar aus den USA und 35 Millionen aus dem Irak nach Beirut fließen. "Eine unvorstellbare Menge Geld", meint Zaki. "Doch bei uns im Süden ist davon noch nicht viel angekommen."
In der Hauptstadt und auf den Hauptstraßen von und nach Beirut sieht man indes überall Bautrupps, die Straßen und Brücken reparieren. Deutsche, italienische und französische Umweltexperten säubern die vom Öl verschmutzten Strände im Norden des Landes. Wie viel der Iran für Direkthilfen über die Hisbollah im Süden ausgezahlt hat, bleibt ein Geheimnis. Auch die libanesische Tageszeitung "Daily Star" bekam auf ihre Nachfrage in Teheran keine Antwort. Zaki erzählt vom Krieg. "Wahre Heldentaten" seien von den einfachen Menschen in seinem Dorf vollbracht worden. So habe eine Familie mit Vater und vier Söhnen zwölf israelische Panzer zerstört. Drei Familienmitglieder seien dabei ums Leben gekommen. "Die Waffen kamen alle aus dem Iran", ereifert sich der Libanese und sein gehäkeltes Käppi rutscht vor Aufregung fast vom Kopf, "Raketen, Panzerfäuste, Munition - einfach alles." 54 israelische Panzer seien allein in seiner Region zerstört, 34 israelische Soldaten getötet worden. Über eigene Verluste spricht er kaum.
Es gebe mehrere Arten von Zugehörigkeit zur Hisbollah, erklärt er: den harten Kern der festen Hisbollah-Kämpfer schätzt er auf nur wenige Tausend. Sie erhalten einen Monatslohn von einer Million libanesischen Lira (etwa 450 Euro). So genannte Reservisten gebe es mehr.
Auch Zaki ist einer von ihnen und bekommt monatlich 250.000 Lira, etwas mehr als 100 Euro. Die libanesische Armee stellte ihm einen Waffenschein aus. Was die Bewegung der Hisbollah aber ausmache, sei das große Heer der Sympathisanten, ergänzt der Reservist. "In diesem Krieg haben auch Drusen und Christen mit uns gekämpft", sagt der Sunnit, dessen Frau Schiitin ist. Er vergisst dabei den Verkehr und muss eine Vollbremsung hinlegen, um nicht auf den Vorderwagen aufzuprallen. Als er im Süden gekämpft habe, musste er eines Tages Blut spucken. "Blut kam auch aus den Ohren - auch heute noch." Vergangenen Montag musste das israelische Verteidigungsministerium zugeben, dass die Armee Phosphor-Bomben im Libanon eingesetzt hat. Diese Waffen können schwerwiegende Verbrennungen hervorrufen und dürfen laut Genfer Konvention nicht gegen Zivilisten eingesetzt werden. Israel behauptet, diese Bomben aber nur zur Markierung von Zielen und Gebieten verwendet zu haben.
Dass die Deutschen vor der Küste Libanons Dienst schieben, sozusagen als Küstenwache, findet Zaki in Ordnung. Dass dabei Waffen für die Hisbollah gefunden würden, hält er allerdings für unwahrscheinlich. "Die kommen über andere Wege", bemerkt er vielsagend.