Den alarmierenden Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Gesundheitsschäden durch Feinstaub haben offensichtlich auch die europäischen Umweltminister gelesen. In ihrer Debatte zum Thema Luftreinhaltung am 23. Oktober in Luxemburg erinnerten die meisten Redner daran, dass die durchschnittliche Lebenserwartung jedes Mitteleuropäers durch feinste Staubpartikel in der Atemluft um acht Monate sinkt. Nach Berechnungen der WHO sind winzige Partikel in der Atemluft für 350.000 vorzeitige Todesfälle jährlich in der EU verantwortlich.
Doch während Schweden oder Frankreich auf strenge Grenzwerte und kurze Übergangsfristen dringen, fühlen sich Länder wie Polen, das noch immer viel Energie aus Kohle herstellt, durch die geplante Neufassung der Feinstaubrichtlinie überfordert. Die Umweltminister einigten sich daher auf einen Kompromiss: Für Kleinstpartikel von 2,5 Mikrogramm soll es ab 2010 einen unverbindlichen Zielwert geben, der 2015 durch einen verbindlichen Grenzwert ersetzt wird. In der derzeit geltenden Feinstaubrichtlinie sind Kleinstpartikel überhaupt nicht erfasst.
Der Wert für Partikel von zehn Mikrogramm soll beibehalten werden. Allerdings erhalten Mitgliedstaaten, sobald das Gesetz in Kraft ist, eine Frist von bis zu drei Jahren, um den Grenzwert zu erreichen. Außerdem wird eine "Flexibilitätsklausel" eingeführt. Danach sollen Länder, die nachweisen können, dass sie alle "vernünftigen Maßnahmen" ergriffen haben, eine "begrenzte Ausnahmegenehmigung" erhalten, wenn sie den Grenzwert in besonders belasteten Regionen nicht einhalten können. Diese Regionen müssen in einem Luftreinhalteplan darlegen, wie sie Abhilfe schaffen wollen. Umweltkommissar Stavros Dimas warnte bei der Ratssitzung: "Die Flexibilitätsklausel darf nicht dazu führen, dass das Schutzniveau sinkt oder Maßnahmen zur Luftreinhaltung aufgeschoben werden." Dagegen sagte der polnische Umweltminister, Jan Szyszko: "Schauen Sie sich die Landkarte Europas an!" Es seien die Länder, die schon jetzt kein Problem mit Kleinstpartikeln in der Luft hätten, die strengere Grenzwerte für die gesamte EU forderten. "Wir wollen, dass Länder mit anderen Bedürfnissen, deren Möglichkeiten nicht ausreichen, von den Grenzwerten für 2,5-Mikrometer-Partikel freigestellt werden!" verlangte er.
Das EU-Parlament hatte im September in erster Lesung beschlossen, den Mitgliedsländern mehr Spielraum zu gewähren, als Kommission und Rat das wünschen. So sollte es für die Kategorie der Partikel von zehn Mikrometer großzügige Ausnahmeregelungen geben. Den Mitgliedstaaten sollte es zum Beispiel freistehen, die Zahl der Tage, an denen der Grenzwert überschritten werden darf, von heute 35 auf 55 Tage im Jahr zu erhöhen. In der deutschen Diskussion ist die Feinstaubrichtlinie zu einem Symbol für Brüsseler Überregulierung geworden. 26 deutsche Städte schafften es in diesem Jahr nicht, die derzeit geltenden Obergrenzen einzuhalten und müssen, wenn sie die Feinstaubbelastung nicht senken, mit Strafgeldern aus Brüssel rechnen. Deshalb kommentierte ein deutscher Diplomat den Luxemburger Kompromiss vergangene Woche mit dem Hinweis: "Es nützt nichts, superscharfe Grenzwerte in ein Gesetz zu schreiben. Dann kann man das Vertragsverletzungsverfahren gleich mit einplanen!" Nun ist das Europaparlament erneut am Zug. Es muss jetzt in zweiter Lesung entscheiden, ob es dem Ratskompromiss folgen will. Falls nicht, folgt ein Vermittlungsverfahren.