Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) betonte, der 582-seitige Entwurf sei eine gute Grundlage, die medizinische Versorgung für 82 Millionen Menschen zu sichern. "Hinter diesem Ziel müssen alle Lobbyinteressen zurücktreten", fügte sie angesichts der angekündigten massiven Protesten von Ärzten, Kassen, Apothekern, Gewerkschaften und Arbeitgebern hinzu. Der geplante Gesundheitsfonds solle zu einer "gerechteren Verteilung" der Mittel führen, die an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) fließen. Der künftig zu erhebende einheitliche Beitragssatz werde dazu führen, dass die Versicherten stärker von ihrem Wechselrecht Gebrauch machten und so Druck auf die Kassen ausübten, "besser mit ihren Geldern umzugehen", prophezeite Schmidt. Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Zöller (CSU) unterstrich, der Gesetzentwurf sei "wesentlich besser als von vielen behauptet". Erstmals gebe es bei einer Gesundheitsreform keine höheren Zuzahlungen oder Leistungseinschränkungen; im Gegenteil gebe es Verbesserungen bei Eltern-Kind-Kuren und bei der Betreuung Todkranker. Zudem erhalte künftig jeder einen Versicherungsschutz. Versicherte der privaten Krankenversicherung (PKV) könnten leichter den Anbieter wechseln, da Altersrückstellungen übertragbar würden. "Das wird frischen Wind in die PKV bringen", hofft Zöller.
Die Opposition forderte einmütig einen Reformstopp. Zu befürchten seien höhere Kosten und eine schlechtere Patientenversorgung. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast geißelte die Koalitionsvorschläge als "Reformattrappe". Schwarz-Rot habe sich an die Grundprobleme des Gesundheitswesens nicht herangetraut. Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, sagte, die Reform werde dazu führen, dass der Grundsatz "Arm stirbt früher" Realität werde.
Ein wichtiges Element der Gesundheitsreform ist bereits unter Dach und Fach, bevor sich die Parlamentarier mit dem Gesetzentwurf in den Ausschüssen beschäftigt haben. Die Koalition hat die Vorschriften zur Entschuldung der Kassen - eine Voraussetzung für den Start des Gesundheitsfonds Anfang 2009 - kurzfristig an das Vertragsarztänderungsgesetz angehängt. Für das Gesetz votierten in namentlicher Abstimmung 355 Abgeordnete bei 111 Gegenstimmen und 44 Enthaltungen. Bis spätestens Ende 2008 müssen die Kassen nun schuldenfrei sein; gegebenenfalls sind die Verbindlichkeiten von anderen Kassen einer Kassenart auszugleichen - für die Koalitionsfraktionen ein Akt notwendiger Solidarität. Die Opposition rechnete dagegen mit Beitragssatzerhöhungen von bis zu zwei Prozentpunkten bei einigen Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). Der FDP-Abgeordnete Heinz Lanfermann kritisierte zudem das Verfahren: Nur "neun Tage für ein Gesetzgebungsverfahren, mit dem dreieinhalb Milliarden Euro verschoben werden, sind eine Zumutung für alle Beteiligten und eine Blamage für das Parlament", sagte er.
Das eingeschlagene Tempo bei der Gesundheitsreform bemängelte auch Bundesärztekammer--Präsident Jörg-Dietrich Hoppe auf einem außerordentlichen Ärztetag. Das Gesetz werde "im Schweinsgalopp" durchgepeitscht. Eine sachgerechte Diskussion sei damit unmöglich. Der Zeitplan der Koalition sieht vor, dass die Beratungen im Bundestag in diesem Jahr abgeschlossen werden und das Gesetz den Bundesrat Anfang kommenden Jahres passiert. In den weiteren parlamentarischen Beratungen wird es auch um einen Antrag des Bundesrates zur Verbesserung von Kassenfusionen, einen Antrag der Linksfraktion zur solidarischen Bürgerversicherung und ein Gutachten zur Qualität im Gesundheitswesen gehen, die das Plenum an den Fachausschuss überwies. Abgelehnt wurde ein Antrag von Die Linke zum Risikostrukturausgleich.