Früher hat Herr Wang noch viel in Deutschland eingekauft. Er hat Freunde dort, spricht recht passabel Deutsch. Jetzt aber ist ihm Deutschland "zu anstrengend" geworden. "Die Deutschen sind einfach zu unflexibel." Wenn sie einmal einen Preis genannt hätten, seien sie kaum noch zum Feilschen bereit, sagt Wang. Egal, ob es vergleichbare Ware in den USA oder Italien viel billiger gibt. Auch was Geschäftsmethoden betrifft, seien die Deutschen "so geradlinig, so honorig und prinzipientreu, dass sie oft einfach nicht die Kurve kriegen". In China aber müsse man durch viele Kurven navigieren, sagt Herr Wang. Die Verantwortlichen bei den großen Sendern erwarteten nun einmal Schmiergelder. Die Deutschen aber seien dazu nicht bereit. Er kenne "kein anderes Land, in dem die Leute so wenig von China verstehen wie Deutschland", sagt Herr Wang. Außerdem stocke seit dem Besuch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in China ohnehin das Geschäft, weil die "in China zu viel geredet" habe. Zu viel über die Menschenrechte geredet, heißt das.
Diese Klagen mögen eine persönliche und etwas extreme Ansicht sein. Natürlich kann man stolz darauf sein, wenn Deutsche nicht korrupt sind und eine moralisch integre Kanzlerin haben. Doch Wangs Aussagen sind in mehr als einer Hinsicht repräsentativ. Viele Stichwörter aus seinen Aussagen kehren immer wieder, wenn Chinesen über Deutschland reden. "Anständig", "zuverlässig", "gute Qualität" - diese Stichwörter fallen wie automatisch, wenn von Deutschen und deutschen Produkten die Rede ist. Eine Möbelfirma warb kürzlich mit dem Satz "Zhen de hen deguo" - "wirklich sehr deutsch!". Jeder Chinese verstand, was gemeint war: Deutsch ist gleich Qualität. Das gilt für deutsche Autos wie für deutsche Technik insgesamt. Diese Haltung spiegelt sich auch in den Handelsstatistiken.
Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in der EU. Weltweit war die Bundesrepublik 2005 mit einem Volumen von 63 Milliarden US-Dollar der sechstgrößte Handelspartner, nach den USA, Japan, Hongkong, Südkorea und Taiwan. Genauso häufig wie all die positiven Begriffe fällt aber das Wort "unflexibel", wenn in China von Deutschland die Rede ist. Duan Qiurong, ein 35-jähriger Unternehmer, Besitzer der Beijing Laolite Trading Company, reist beruflich um die ganze Welt. Mehrmals im Jahr ist er in den USA und in Kanada. "Ich denke nicht einmal daran, in Deutschland Geschäfte zu machen", sagt er. "Es klingt einfach zu kompliziert. Ständig gibt es diese Antidumping-Initiativen der Europäischen Union. Das ist mir zu gefährlich." Und dann sei da noch ein anderes Problem, fügt er hinzu. "Ich kann Englisch, aber können das die Deutschen?"
Die Sprachbarriere halte viele Chinesen von einem größeren Engagement in Deutschland ab, erklärt auch die Professorin Liu Shuguang, Vizedekan am Institut für Internationale Wirtschaft an der Chinesischen Universität für Auswärtige Beziehungen. Es gebe relativ wenige Chinesen, die Deutsch sprechen, sagt Frau Liu. "Wenn Leute eine Sprache nicht sprechen, sind sie generell weniger an diesem Land interessiert und haben Hemmungen, dort geschäftlich tätig zu werden." Im Falle Deutschlands komme noch erschwerend hinzu, dass es kein Einwanderungsland sei, sagt Liu. Deshalb seien die USA, Kanada und Australien für viele Chinesen weit attraktiver, auch wenn es um Geschäftsentscheidungen geht.
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Horizon hat ergeben, dass die meisten Chinesen ein positives Bild von Deutschland haben. "Deutsche sind in China wohlbekannt für ihr Streben nach Präzision und Perfektion, und ihre Produkte genießen denselben Ruf", schreibt Horizon. Wenn es nicht um Autos oder Waschmaschinen geht, sieht das Bild jedoch sofort viel negativer aus. Als Studienort zum Beispiel ist Deutschland viel weniger gefragt als andere Länder. Nur 4,7 Prozent der Jugendlichen in China wünschten sich 2004 laut Horizon ein Studium in Deutschland, während 19,6 Prozent nach Australien und 22,1 Prozent in die USA strebten. Daran ist nicht nur die schwere deutsche Sprache schuld. Oft hat so etwas ganz banale bürokratische Gründe. Vor der Konsularabteilung der Deutschen Botschaft in Peking stehen täglich viele Dutzend Chinesen Schlange, die nach Deutschland reisen möchten. Viele von ihnen bekommen nie ein Visum. Schon den Schalter zu erreichen ist für viele unmöglich. Die Antragsteller warten schon im Morgengrauen in einer langen Reihe zwischen Eisengittern, doch bevor sie vorne angekommen sind und eingelassen werden könnten, hat das Konsulat manchmal schon wieder geschlossen. Es ist ein grauer Markt von zwielichtigen Agenten entstanden, die gegen Entgelt ein Touristenvisum für Deutschland besorgen können und den reicheren Chinesen das Schlangestehen abnehmen.
Man sei hoffnungslos unterbesetzt, klagen Mitarbeiter des deutschen Konsulats in Peking im vertraulichen Gespräch. Viele Visa-Ersuche werden offenbar blind abgeschmettert, weil man mit der Gesamtzahl der Anträge nicht fertig wird. Nicht nur ist Deutschland kein Einwanderungsland. Deutschland verschließt seine Tore auch gegenüber vielen an Deutschland interessierten chinesischen Touristen, Studienwilligen, Geschäftsleuten. Immer wieder klagen Chinesen, dass sie keine Einreiseerlaubnis bekommen, obwohl sie die Zulassung einer deutschen Universität oder die Einladung zu einem Symposium in Berlin in der Tasche haben. Sie werden wie Bittsteller behandelt.
Für Geschäftsleute auf der Suche nach Investititonsstandorten mag diese Hürde zu überwinden sein. Sie aber stoßen sich an der deutschen Wirtschaftspolitik, die in China durchaus aufmerksam verfolgt wird. "Große chinesische Unternehmen haben es nicht eilig, in Deutschland zu investieren, und der Grund dafür sind die vor sich hindümpelnden Sozialreformen in Deutschland", sagt Liu Shuguang. Solche Urteile könnten sich mittelfristig als echtes Problem für den Standort Deutschland erweisen. Hatten chinesische Firmen im Jahr 2004 nur 6,9 Milliarden US-Dollar im Ausland investiert, so waren es bis Ende 2005 bereits 50 Milliarden, so das chinesische Handelsministerium.
Wenn Professorin Liu weiter ausführt, was ihr an Deutschland alles missfällt, klingt die Wirtschaftswissenschaftlerin so gar nicht wie eine Stimme aus einem sozialistischen Land, eher wie eine konservative Kolumnistin etwa einer angelsächsischen Wirtschaftszeitschrift. Vor allem für kleine und mittelgroße chinesische Unternehmen sei der "Protektionismus der EU" ein so gut wie unüberwindbares Hindernis, sagt sie. Und für große Betriebe sei Deutschland aus anderen Gründen unattraktiv. Hohe Wohlfahrtsstandards in Deutschland bedeuteten hohe Kosten und geringe Profite für die Unternehmen. "Das Land muss so viele Handelsbarrieren errichten, um seine eigenen Indus-trien zu schützen", erklärt Liu. "Aber das ist völlig gegen den Trend der Globalisierung. Früher oder später wird sich das ändern müssen."
Der Autor ist China-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung".