Es ist eine Geschichte ein bisschen wie aus dem Märchenbuch. Sie handelt von einem ebenso bodenständigen wie stolzen deutschen Unternehmen, dessen Gründer im Jahr 1886 mit dem dreirädrigen Motorwagen einen Bestseller namens Automobil erfand, das mit immer neuen technischen Innovationen wie ABS, Airbag oder ESP über die Jahrzehnte zum am hellsten strahlenden Stern am Autohimmel wurde. Jahrzehntelang war das Signet von Mercedes-Benz dank seines Rufs makelloser Qualität der Inbegriff deutscher Ingenieurskunst, von Alaska bis in die arabische Wüste.
Doch in späteren Jahren reichte den Königen des blitzenden Mercedes-Sterns das alles nicht mehr. Mal wollten sie - so der damalige Manager Edzard Reuter in den 1980er-Jahren - einen "integrierten Technologiekonzern" mit Töchtern wie AEG und MBB schaffen. Mal sollte es eine "Welt AG" des Autos mit dominanten Marken in Europa, den USA und Japan werden. So beschwor es von der Mitte der 90er-Jahre bis fast zu seinem Abgang vor einem knappen Jahr der Vorstandschef Jürgen Schrempp.
Die Fantasie schien kaum zu bremsen zu sein, als der "Überzeugungstäter" Schrempp und der damalige Chrysler-Boss Bob Eaton 1998 eine "Hochzeit im Himmel" versprachen. Die Konzerne fusionierten. Längst sind die Partner hart auf dem Boden des Alltags aufgekommen. Jüngst wollte DaimlerChryslers Finanzvorstand Bodo Uebber angesichts der erneut strauchelnden Chrysler-Geschäfte, zu der vor allem eine verfehlte Modellpolitik und hohe Kraftstoffpreise beitrugen, nicht einmal eine Trennung ausschließen.
Den Plan für eine abermalige Sanierung diskutieren Uebber und seine Vorstandskollegen in den nächsten Wochen hinter verschlossenen Türen. Dem aktuellen Thronfolger - derzeit herrscht Dieter Zetsche an den Konzernsitzen von DaimlerChrysler in Stuttgart und Auburn Hills - obliegt es, die Scherben der Vorgängerstrategie aufzukehren. Es war Zetsche, der bis zu seinem Wechsel an die Spitze die erste Runde der Sanierung von Chrysler erfolgreich betrieb. Sein simples Rezept für die erneute Rosskur des amerikanischen Patienten: "Im Grunde geht es darum, die Kosten bei der Konzerntochter zu senken und die Einnahmen zu erhöhen."
Kein leichtes Unterfangen angesichts der von Rick Wagoner, Chef des angeschlagenen weltgrößten Autobauers General Motors (GM), angezettelten Rabattschlacht auf dem amerikanischen Automarkt. Um ihre Überkapazitäten an den Mann zu bringen, überbieten sich die US-Hersteller GM, Ford und Chrysler mit ihren Nachlässen. Beim Verkauf des 2006er Modelljahrgangs gibt Chrysler pro Fahrzeug aktuell bis zu 6000 Dollar Rabatt. Ein zusätzliches Problem sind bei Chrysler gewaltige Kosten für Gesundheits- und Altersvorsorge der Mitarbeiter. In den goldenen Zeiten wurden sie eingeführt, jetzt erweisen sie sich als Last. Die amerikanische Autoarbeiter-Gewerkschaft UAW machte Ford bereits Zugeständnisse bei der Krankenversicherung. Zetsche hofft nun auf einen ähnlichen Deal bei Chrysler.
Mehrfach scheiterte das Unternehmen in den vergangenen Jahren daran, die Marke Chrysler in nennenswertem Umfang auf den Weltmärkten zu verankern. Zuletzt unternahm der Autobauer mit der ur-amerikanischen Marke Dodge einen erneuten Anlauf. Doch was in den USA ankommt, das erweist sich international oftmals als Ladenhüter. Vom Design einmal ganz abgesehen, ist es ein Unterschied, ob sich ein Auto auf endlos langen Highways gut kutschieren lässt oder etwa in den engen Gassen einer europäischen Altstadt. Die Berater von McKinsey bringen die Erkenntnis auf die schlichte Formel: "Das Weltauto gibt es nicht." Kein Hersteller konnte bislang mit demselben Fahrzeug eine vergleichbar starke Marktposition in den USA, Europa und Asien erreichen.
Das Abenteuer Japan darf ebenfalls kaum als ermutigendes Beispiel der Internationalisierung gelten. Nach intensiver Suche beteiligte sich DaimlerChrysler an der Autosparte von Mitsubishi. Pannen und anschließende Verschleierungsversuche der japanischen Manager kosteten viel Geld und noch mehr Glaubwürdigkeit. In der Folge zog sich der deutsch-amerikanische Konzern zurück, geblieben ist die Zusammenarbeit mit Mitsubishi beim Kleinwagen-Problemkind Smart. Kein Wunder, dass sich angesichts der Kosten in der heimischen Belegschaft Unmut breit macht - vor allem angesichts massiven Jobabbaus. Mehr als 9.000 Stellen sind hierzulande betroffen.
Ironie am Rande: Bei den Nutzfahrzeugen ist die "Welt AG" immerhin automobile Wirklichkeit geworden. Als größter globaler Hersteller verfügt der Konzern über die Marken Mercedes-Benz in Europa und Lateinamerika, Freightliner/Sterling in den USA und die übernommene Sparte Mitsubishi Fuso in Japan. Was sonst vom Traum der Weltspitze übrig bleibt, ist ein Absatz von 4,9 Millionen Fahrzeugen bei weltweit gut 380.000 Beschäftigten im Jahr 2005: Platz fünf der Branche. Zum Vergleich: Im Jahr 1995 war es Platz 14 mit knapp einer Million Einheiten. DaimlerChrysler fertigt heute an 100 Produktionsstätten in 20 Ländern, die Bandbreite reicht vom Zweisitzer Smart bis zum 40-Tonnen-Truck.
Welche Rolle spielt Deutschland noch im internationalen Konzern? Nur noch 17 Prozent seines Umsatzes macht DaimlerChrysler mittlerweile hierzulande. Dafür tätigt das Unternehmen 40 Prozent der Sachinvestitionen in der Heimat und sogar 60 Prozent der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Und die Stuttgarter bieten weiter die wichtigste Lehrwerkstatt der deutschen Autobranche. Fast 40 Prozent der Auszubildenden der deutschen Hersteller lernen im Konzern. Deutschland bleibt ein Autoland. Jeder siebte Arbeitsplatz, insgesamt rund 5,5 Millionen Jobs, basieren auf Nutzung und Herstellung des Autos. Auch der in Sonntagsreden so häufig angeführte Innovationsstandort läuft auf vier Rädern: Sieben der Top Ten der deutschen Patentstatistik sind Automobilunternehmen oder Zulieferer. Deutschlands zweitgrößtes Unternehmen nach dem Finanzriesen Allianz ist im Weltmaßstab allerdings eher Mittelmaß: Platz 45 für DaimlerChrysler in der Liste der größten Unternehmen des US-Wirtschaftsmagazins Forbes. Weit abgeschlagen hinter dem japanischen Konkurrenten Toyota, der mehr als den dreifachen Börsenwert auf die Waage bringt.
Die Sucht nach Größe führte zu Problemen. Um die Pannen des kurz nach der Übernahme bereits strauchelnden US-Partners in den Griff zu kriegen, entsandten die Deutschen Trupps ihrer besten Ingenieure und Manager nach Amerika. Der Brain Drain rächte sich. Qualitätspannen bei den wirtschaftlich wichtigsten Modellen Mercedes E- und C-Klasse verärgerten selbst treue Kunden, verursachten teure Nachbesserungen und lasten bis heute als Kratzer auf dem Image des Stern. Dabei spielt der Trend zu teuren Autos vor allem der Nobelmarke Mercedes in die Hände. Jedes zweite exportierte Auto deutscher Marken ist ein Premiumprodukt. Vor zehn Jahren war es nur jedes dritte. Doch der Autobauer, der auszog, seine Rivalen das Fürchten zu lehren, stellte sich oft genug selbst ein Bein. Derzeit ist der Ausgang des Abenteuers Chrysler offener denn je.
Der Autor ist Redakteur beim Wirtschaftsmagazin "Capital".