Wie Erbsen auf dem Teppich im Kinderzimmer wirken unten in der Tiefe die Baucontainer auf der Wiese. Christian Kuntz steht in 160 Meter Höhe hart an der Kante der kleinen Plattform. Über ihm ragt ein Rotorblatt bis in mehr als 200 Meter Höhe auf - so hoch wie die Aussichtsetage des Berliner Fernsehturms auf dem Alexanderplatz. Kuntz ist Monteur der Fuhrländer AG, er steht auf der höchsten Windenergieanlage, die jemals gebaut wurde. Von hier oben wirken auch die Löcher klein, die einst Braunkohlebagger ins Brandenburger Land gefressen haben und die sich inzwischen mit Wasser gefüllt haben.
Windkraft im Braunkohlerevier also, und das in Weltrekordgröße. So etwas ist typisch für die Windbranche, in der Technikfreaks ihr Weltverbesserertum ausleben. Niemand steht dafür so sehr wie Joachim Fuhrländer, Gründer der gleichnamigen Firma, der den höchsten Windturm des Planeten hat bauen lassen. Das Image des Alternativen, das bei anderen Konzernen wie PR wirken würde, verkörpert Fuhrländer mit seinem Auftritt in alter Jeans, labbrigem Pullover und Rauschebart. Er will eine bessere Welt schaffen. Mit weniger Abgasen und ohne Abhängigkeiten von Gas aus Russland oder Öl aus afrikanischen Diktaturen. Dafür geht er auch wirtschaftliche Risiken ein: Ob das Riesenwindrad am Ende ein verrücktes Unikat bleibt, weiß heute niemand.
Doch es geht um mehr. Die große Tradition im Maschinenbau und die neue Angst vor der Klimakatastrophe haben sich zu einer sehr deutschen Erfolgsgeschichte vereint. Der Bau von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland mittlerweile eine verblüffend wichtige Branche geworden. Die Liste der Unternehmer ist lang: Solarworld-Chef Frank Asbeck exportiert 70 Prozent seiner Module zur Erzeugung von Strom aus Sonnenlicht. Ulrich Schmack von Schmack Biogas, führend bei der Technologie zur Erzeugung von Energie aus Mist oder Mais, will diese bald in die Erdgasnetze einspeisen. Die Firma Enercon von Aloys Wobben ist der größte Hersteller von Windenergieanlagen in Deutschland und weltweit die Nummer drei. Seit der Gründung 1984 hat Wobben 6.000 Menschen eingestellt. Die Branche hat heute in Deutschland 170.000 Beschäftigte und setzt 16 Milliarden Euro um, das jährliche prozentuale Wachstum ist zweistellig.
Die Firmen boomen. Aber das Energieproblem Deutschlands werden sie nicht allein lösen können. Um den Klimawandel zu bremsen, müssen die Industriestaaten ihre CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent senken. Trotz ihres enormen Wachstums deckten die Erneuerbaren Energien Ende 2005 nur 10,2 Prozent des deutschen Strombedarfs. Der Blick auf den gesamten Energieverbrauch inklusive Treibstoff und Heizen ist noch ernüchternder: Hier tragen sie nur zwischen 4,6 und 6,6 Prozent bei. Die Arbeitspferde heißen Wasserkraft und Windenergie, doch beide geraten heute in Deutschland an ihre Grenzen. Die Flüsse haben keine Ausbaureserven mehr. Und der Platz für die Windkraft an Land ist begrenzt, an der Küste wehren sich viele Kommunen gegen die "Spargel".
Der Bau großer Windkraftwerke auf hoher See krankte bisher an technischen Problemen und hohen Kosten. Erst Ende Oktober hat der Bundestag beschlossen, dass die Seekabel und damit etwa ein Drittel der Investitionen nicht von den Windparkbetreibern sondern von allen Stromverbrauchern bezahlt werden müssen. Damit soll der Ausbau starten. Der Boom der Erneuerbaren bringt unerwartete Probleme mit sich. Inzwischen wächst die Branche so schnell, dass sie ihren Personalbedarf nicht mehr befriedigen kann, so eine aktuelle Studie. In Hamburg konkurrieren die Windkraftfirmen Nordex und Repower mit Airbus um junge Techniker. Denn seit zwei Jahren hat auch das Ausland die Bioenergie entdeckt: Die Exportquoten von Nordex liegen bei 80 Prozent, bei Repower über 70 Prozent.
Die Hersteller von Solarzellen verkaufen einen großen Teil ihrer Produktion ins Ausland: Bei der QCells AG in Thalheim etwa sind das Anfang 2006 genau 49,1 Prozent. Je höher der Ölpreis klettert, desto mehr Länder bauen die Nutzung der erneuerbaren Energien aus. Der Weltmarkt soll sich nach einer Studie des Umweltministeriums darum bis zum Jahr 2020 auf 250 Milliarden Euro versechsfachen. Der Exporterlös deutscher Firmen wird dann bei mindestens 16 Milliarden Euro liegen.
Für den Arbeitsmarkt brächte das 130.000 zusätzliche Jobs. Und der Strompreis? Heute zahlen die deutschen Stromverbraucher 1,2 Milliarden Euro für die Förderung von Energie aus Wasser, Wind und Sonne, das Gesetz erzwingt es. Jahrelang haben Wirtschaftsvertreter und konservative Politiker deshalb dem grünen Strom die Schuld an steigenden Preisen gegeben. Bis sie sich ausgerechnet von Wissenschaftlern des deutschen Stromkonzerns E.ON sagen lassen mussten, dass eher das Gegenteil richtig ist: Weht der Wind, drücken die deutschen Windräder so viel Strom ins Netz, dass die Preise an der Leipziger Strombörse sinken. Übers Jahr gleicht das die Förderung wieder aus.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.