GEORGIEN
Der einst bejubelte Präsident Saakaschwili hat knapp gesiegt. Nicht nur die Opposition wirft ihm Wahlfälschung vor.
Georgier, die sich mit Politik befassen, neigen zum Pathos. Lewan Gatschetschiladse, Oppositionskandidat, erklärte den "tödlichen" Hungerstreik, um gegen seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag zu protestieren. Und auch Amtsinhaber Michail Saakaschwili sparte nicht mit markigen Worten:"Selbst wenn Sie mich töten" drohte er, "ich werde kämpfen bis zum Ende".
Bei den Wahlen am 5. Januar hatte Präsident Saakaschwili über 52 Prozent der offiziell ausgezählten Stimmen erhalten, Gatschetschiladse gut 25 Prozent Stimmen, alle übrigen Kandidaten landeten weit abgeschlagen. Aber die Opposition schreit Zeter und Mordio, internationale Beobachter bezeugen massive Fälschungsversuche. So sollen am Wahltag hunderte von Kleinbussen Studenten von einem Wahllokal zum anderen gekarrt haben, wo sie immer wieder für Saakaschwili stimmten. Nach Angaben der Opposition sind mindestens sechs Prozent des Stimmanteiles für Saakaschwili gefälscht. Auch der Leiter der OSZE-Beobachterkommission, Dieter Boden, der noch am Montag erklärte, es habe "keinen Fälschungsversuch großen Maßstabes" gegeben, redet jetzt von "groben, fahrlässigen und vorsätzlichen Fälschungen". Selbst der Chef der georgischen Wahlkommission beklagte, viele Wahlzettel seien spurlos verschwunden.
All das spricht dafür, dass es Saakaschwili nicht mit fairen Mitteln gelungen ist, seinen Stimmanteil über die 50 Prozent-Hürde zu hieven, und einem zweiten Wahlgang zu entgehen. Die Opposition droht jetzt, nach ukrainischem Vorbild ihre Anhänger auf die Straße zu rufen, um Saakaschwili noch einmal an die Urne zu zwingen.
Der Präsident, der 2003 selbst durch die so genannte "samtene Revolution" an die Macht gekommen war, beschwört nun nationalen Konsens: "Niemand kann die Meinung der Leute ignorieren, die uns nicht gewählt haben." Saakaschwili versprach, er werde keinen seiner politischen Gegner verhaften, und bot der Opposition Ministerposten im neuen Kabinett an. Er will offenbar sowohl bei seinen Landsleuten, als auch gegenüber dem Westen sein Gesicht als Vorkämpfer der Demokratie in der GUS wahren. Selbst seinem Lieblingsfeind Russland versprach er eine Verbesserung der Beziehungen.
Aber auch, wenn es keine massenhaften Dauerproteste gegen seinen fadenscheinigen Sieg geben wird, und die Weltöffentlichkeit noch einmal ein Auge zudrückt, hat der Präsident diese Wahlen zumindest moralisch verloren. Bei den Wahlen 2004 hatte er noch über 96 Prozent der Stimmen für sich verbuchen können. Dieses Vertrauen ist nun aber fast um die Hälfte geschmolzen. Seine Wirtschaftsreformen haben trotz guter Ansätze nichts daran geändert, dass über ein Drittel der 4,5 Millionen Georgier unterhalb der Armutsgrenze leben, Inflation und Arbeitslosigkeit steigen wieder und liegen derzeit bei über zehn Prozent. Und auch eine andere Wunde ist weiter offen: Die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien betreiben weiter unter dem Schutz Russlands ihre Unabhängigkeit von Tiflis. "Wir malochen, aber unser Präsident amüsiert sich tagelang", schimpft ein Wähler gegenüber der russischen Zeitung "Moskowskij Komsomolez". Früher hätte der Präsident gerade einmal 300 Dollar besessen, heute sei er Milliardär, klagt er. Saakaschwili sei kein Volksheld. Allerdings ist auch sein Konkurrent Gatschetschiladse noch kein Volksheld. Auch wenn der für Mittwoch angekündigte Hungerstreik der Opposition, mit der ein neuer Wahlgang erzwungen werden sollte, in der vergangenen Woche abgesagt wurde, wäre fraglich gewesen, ob die Opposition den Vorsprung zum amtierenden Präsidenten bei einer Neuwahl auch wirklich aufgeholt hätte.
Falls doch, hätte Gatscheschiladse als Präsident jedoch sehr schnell sehr ähnliche Probleme wie Saakaschwili bekommen. Denn auch wie fast alle georgischen Politiker ist auch er auf einem Westkurs und hofft wie das ganze Land auf einen Beitritt zur Nato.
Vor der Wahl pries Saakaschwili die Nato populistisch als "großen Bruder", mit dessen Hilfe man Russland aus Abchasien und Nordossetien herausdrängen könne - wenn nötig mit Waffengewalt. Bei einem Referendum, das parallel zu den Wahlen stattfand, sprachen sich 61 Prozent der Georgier für einen Nato-Beitritt aus. Der Präsident, der seinen Bürgern aber irgendwann erklären muss, dass die Nato gar nicht daran denkt, wegen Georgien mit Russland eine militärische Auseinandersetzung zu beginnen, dürfte ein Problem bekommen. Verglichen mit vergangenen Zeiten wirkt die Konfrontation aber noch zivil. Aber sie kann eskalieren und könnte auch wieder in Richtung eines Bürgerkrieges abrutschen.