KENIA
Präsident Kibaki agiert nach dem Prinzip »Frechheit siegt«. Doch dieser Sieg kommt dem Land jetzt teuer zu stehen.
Es war einmal ein schöner Dezemberabend in Nairobi im Jahr 2002. Mit Gips am Bein parierte der bei einem Autounfall verletzte Mwai Kibaki blitzgescheit alle Fragen nach seinem politischen Programm. Nein, er werde nur eine Amtszeit lang Präsident sein. Nein, er habe nicht vor, sein Konterfei auf der kenianischen Währung zu verewigen. Korrupte Deals seines Vorgängers Daniel arap Moi würden rückgängig gemacht, kriminelle Machenschaften verfolgt. Die Bekämpfung der Korruption sei sein wichtigstes Anliegen. Außerdem werde er binnen 100 Tagen die Verfassung ändern. Fünf Jahre und ein paar Tage ist das her. Kurz darauf gab es die Kibaki-Münze, eine Neuprägung. Dann erlitt der britische Botschafter Sir Edward Clay in aller Öffentlichkeit einen wohlkalkulierten Wutanfall, weil Kibakis Regierung seiner Meinung nach "einem Haufen Vielfraße" ähnele, die sich in ihrer Gier so vollstopften, dass sie andern Leuten "auf die Schuhe kotzen" und auch noch glaubten, die würden es nicht merken. Clays Wortwahl wurde als wenig diplomatisch abgetan.
Dass Kibaki 2007 erneut als Präsident kandidierte und damit sein Versprechen von 2002 brach, überraschte dann niemanden mehr. Kibaki hält sich nicht an Absprachen. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht weniger überraschend, mit welcher Dreistigkeit der 76-Jährige und seine Verbündeten von der "Mount-Kenya-Mafia" vor laufenden Fernsehkameras den Ausgang der Wahlen vom 27. Dezember zu seinen Gunsten fälschten. Doch die korrekt verlaufenen Wahlen 2002 und der ebenso ermutigende Verlauf des Verfassungsreferendums 2005, als die Regierung dem oppositionellen Orange Movement unterlag und die Niederlage freimütig einräumte, ließen Kenia als reife Demokratie erscheinen.
Die Verfassung wurde allerdings nie geändert, weil Kibaki sich noch immer weigert, Macht an einen Premierminister abzugeben. Dieses Amt hatte er seinem damaligen Königsmacher, dem Luo-Führer Raila Odinga versprochen. Der hatte die Stimmen der Luos ins Kibaki-Lager gerettet und der Regenbogenkoalition aus 16 Parteien so den überwältigenden Wahlsieg über die seit 39 Jahren regierende Kanu (Kenya African National Union) Jomo Kenyattas und Daniel arap Mois beschert. Doch schon bald wollte Kibaki von dem Abkommen mit Odinga nichts mehr wissen. Nach diesem Vertrauensbruch sieht der 62-jährige Odinga heute keinen Grund, mit Kibaki über ein Kabinett der nationalen Einheit zu verhandeln. Er traut ihm nicht.
Umgekehrt hat Kibakis Lager nackte Angst vor Odinga. Der saß zu Mois Zeiten, als Kibaki Minister und Vizepräsident war, jahrelang in Haft und wurde auch gefoltert. Wie würde er - einmal an der Macht - mit seinen einstigen Peinigern umgehen? Während Kibaki und Moi 2002 Absprachen getroffen hatten, die dem Kleptokraten Moi und seinen Söhnen weitgehende Immunität zusicherten, ist von ähnlichen Absprachen zwischen Odinga und Kibaki allerdings nichts bekannt.
Bei der von Botschafter Clay kritisierten Affäre handelte es sich unter anderem um die geplante Beschaffung von Kriminallabors und eines Systems zur Herstellung von fälschungssicheren Pässen bei einer Tarnfirma namens Anglo-Leasing, die nicht einen Bleistift hätte liefern können. Diese Deals haben das Image von Kibakis Regierung frühzeitig auf Dauer ramponiert. Der Ethikstaatssekretär John Githongo, von Kibaki eigens zur Korruptionsbekämpfung berufen, fürchtete um sein Leben und floh nach London. Er hatte den Skandal aufgedeckt und schlüssig nachgewiesen, dass Mwai Kibaki selbst von den schmutzigen Geschäften gewusst habenmuss. Doch außer dem Rauswurf einiger Staatssekretäre und Minister passierte wenig.
Das war, bevor der damalige Sicherheitsminister John Michuki 2005 den Überfall auf den regierungskritischen "Standard" anordnete, woraufhin die Zeitung erstmals seit 1902 nicht erscheinen konnte. "Wer mit der Schlange rasselt, muss damit rechnen, dass sie zubeißt", verhöhnte Michuki anschließend seine Opfer. Angehörige der Mungiki-Bande bedrohte er im Sommer 2007 direkt mit dem Tod. Sie würden sich schon bald auf dem Friedhof wiederfinden, sagte Michuki. Anschließend beklagten Menschenrechtler, man habe rund um Nairobi 500 Leichen gefunden. "Extralegal killings", außergesetzliche Hinrichtungen, nennen Menschenrechtler diese Methode. Michuki ist im neuen Kabinett für das Transportwesen zuständig, was ihm als Eigentümer einer Buslinie nicht schadet.
Schon vor den Wahlen klagte Odinga unentwegt darüber, dass Kibaki sein Orange Democratic Movement (ODM) um den Sieg betrügen werde. Doch Beweise dafür legte er nicht vor, sorgte aber für gefährliche Spannung für den Fall einer Niederlage. In den Umfragen lag Odinga lange Zeit vorn, aber am Ende sah es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus. Und bis heute ist unklar, wer am 27. Dezember wirklich gewonnen hat. Kibaki lag nach offizieller Lesart 250.000 Stimmen vor Odinga, doch wurde nach einhelliger Meinung vieler Beobachter an den Zahlen herumgedoktert. Am 30. Dezember wurde offenbar, dass Kibakis Seite schmutzige Tricks anwandte, als noch immer kein Endergebnis vorlag. "Hier kann etwas nicht stimmen", monierte sogar der Chef der Wahlkommission, Samuel Kivuitu, bevor die live-Übertragung aus dem Wahlzentrum abgebrochen und Kibaki von Kivuitu im Staatsfernsehen zum Sieger erklärt wurde. Kurz darauf wurde er als Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte vereidigt. Odinga sprach von einem "zivilen Putsch".
Seitdem steht Ostafrikas Ferienparadies und wichtigste Wirtschaftsnation am Rande eines Bürgerkrieges. Mit Polizeigewalt ließ Kibaki alle Proteste im Keim ersticken. Drei Mal haben Odinga und seine Verbündeten Großdemonstrationen abgesagt, um das Leben ihrer Anhänger zu schonen. Diese, aber auch Vertreter anderer ethnischer Gruppen, halten sich an Angehörigen der Kikuyu-Ethnie schadlos, der auch Kibaki angehört. 600 Tote und 250.000 Vertriebene waren bereits Mitte vergangener Woche das Ergebnis des kenianischen Wahlchaos. Die Vereinten Nationen rechneten nach nur sechs Tagen Krawall mit zusätzlich 500.000 Hilfsbedürftigen in Kenia. Die Verluste der Wirtschaft summierte Finanzminister Amos Kimunya auf eine Milliarde Dollar.
Sollten die Unruhen anhalten, droht auch den Nachbarländern wie Uganda und Sudan und darüber hinaus Ruanda, Burundi oder dem Osten der Demokratischen Republik Kongo wirtschaftliches Ungemach. Sie sind auf Kenia als Transitland angewiesen. Das zerrüttete Somalia wird von Kenia aus versorgt. Als vermeintlicher Hort der Stabilität inmitten einer von Bürgerkriegen heimgesuchten Region galt Kenia. Bis vor zwei Wochen. Doch das war eine oberflächliche Sicht. Schon lange hat Kenias Regierung an vielen Grenzen den Überblick verloren und übt dort kaum mehr die Staatsgewalt aus. Am Mount Elgon gibt es eine regelrechte Rebellenarmee, die um Land kämpft. Die Bedrohung durch bewaffnete Kriminelle und Vergewaltiger hat in vielen Teilend des Landes ein dramatisches Maß angenommen. Besonders betroffen sind die Slums von Nairobi, wo Raila Odinga seine Anhänger hat. Als "The People?s President", Präsident des Volkes, hat er für sich geworben. Das war ein geschickter Zug in einem Land, wo nur ein Bruchteil der Bevölkerung von den sechs Prozent Wirtschaftswachstum profitiert hat. Der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmod Tutu, Mosambiks Ex-Staatschef Joaquim Chissano, die US-Diplomatin Jendayi Frazer und zuletzt der Chef der Afrikanischen Union (AU), Ghanas Präsident John Kufuor, bemühten sich um Vermittlung in der gefährlichen Pattsituation.
Doch am selben Tag, als John Kufuor zu Krisengesprächen anreiste, schuf Kibaki mit einem Rumpfkabinett vollendete Tatsachen und löste so erneut schwere Unruhen in Nairobi und in der Luo-Hochburg Kisumu am Viktoriasee aus. Er habe lediglich 17 Posten besetzt und viele für die Opposition übrig gelassen, argumentierte Kibaki. Doch tatsächlich hatte er alle wichtigen Ministerien vergeben. Finanzen, Innere Sicherheit oder Verteidigung gingen an Kibaki-Günstlinge. Welchen Kompromiss sollte der AU-Chef zu diesem Zeitpunkt noch aushandeln? Verglichen mit Äthiopien, Nigeria oder Simbabwe war der Wahlverlauf in Kenia doch geradezu vorbildlich, mag man auf AU-Seite ohnehin denken. Das Gremium der afrikanischen Autokraten ist nicht bekannt dafür, es allzu genau mit den Verfehlungen der herrschenden Mitbrüder zu nehmen. Neuwahlen fordert die Opposition dagegen, denn es sei zweifelhaft, dass sich die Ergebnisse der Dezemberwahlen neu auszählen ließen. Ob es dazu kommt und Kibaki dem mittlerweile nachlassenden Druck aus dem In- und Ausland nachgeben wird, ist zweifelhaft. "Frechheit siegt", scheint er zu denken und die Sache aussitzen zu wollen wie alle anderen großen Skandale. Das aber würde den ethnischen Zwiespalt in Kenia auf Dauer zementieren und der sozialen Integrität des Landes empfindlich schaden.
Die Demokratie hat ohnehin schon verloren. Es ist kaum denkbar, dass die Bevölkerung noch einmal in so großer Zahl an Wahlen teilnimmt. "Das endet dann doch nur in Blutvergießen und Elend", sagt eine junge Luo-Frau in Nairobi. Sie werde nie wieder wählen gehen. Nicht einmal für Odinga.