biokraftstoffe
Die Produktion auf dem Subkontinent boomt
Biokraftstoffe sind en vogue. Immer mehr Länder setzen auf die grüne Energie - um das Klima zu schützen, aber auch, um ihre zukünftige Energieversorgung sicherzustellen. Der Höhenflug des Ölpreises sowie wie die Sorge, von großen Förderländern abhängig zu sein, die langfristig nicht als verlässliche Lieferanten gelten, haben eine Versorgungsdebatte angefacht wie sie zuletzt in den 70er-Jahren zu beobachten war. Große Verbraucherländer wollen daher mithilfe von erneuerbaren Treibstoffen, die vor allem aus Soja, Mais und Zucker gewonnen werden, ihren Energiekonsum diversifizieren: Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 zehn Prozent der für den europäischen Verkehr genutzten Treibstoffe durch Biosprit (Bioethanol und Biodiesel) abzudecken. Die USA wollen bis 2017 15 Prozent des bis dahin erwarteten fossilen Kraftstoffverbrauchs durch Biokraftstoffe ersetzen. Aus eigener Produktion sind diese Zielgrößen nicht zu erreichen. Die EU und die USA setzen daher neben eigenen Produktionssteigerungen auf Importe und strategische Energiepartnerschaften.
Davon profitiert Lateinamerika, an erster Stelle Brasilien. Das Land nimmt unter den Produzenten von Biokraftstoffen weltweit eine herausragende Position ein - aufgrund seines günstigen Klimas, seiner vorhandenen Flächen und deren Ertragskraft, aber auch aufgrund seiner 30-jährigen Erfahrung bei der Produktion von Bioethanol. Brasilianisches Ethanol ist nicht nur das billigste weltweit, sondern auch konkurrenzfähig zum Rohöl: Die Herstellung eines Liters Bioethanol aus Zuckerrohr kostet etwa 20 Eurocent.
2006 lag Brasilien in der Rangliste der größten Ethanolproduzenten knapp auf Platz zwei hinter den USA. Heute hat das Land einen Anteil von rund 50 Prozent am weltweiten Exportmarkt für Ethanol. Bis 2014 will die Regierung der Produktion von Bioethanol erneut verdoppeln. Auch Argentinien profitiert vom Boom. Um die Produktion von Biodiesel (hauptsächlich aus Sojaöl) anzuregen, gewährt das Land Produzenten umfassende Steuervorteile. Zudem müssen bis 2010 allen herkömmlichen Treibstoffen mindestens fünf Prozent Biokraftstoffe beigemischt werden. Argentinien kann Biodiesel für weniger als 59 Eurocent liefern und ist damit deutlich wettbewerbsfähiger als europäische Produzenten.
Ein wachsendes Interesse an der grünen Energie zeigen auch die Länder Zentralamerikas. Die gestiegenen Ölpreise stellen für die kleinen Volkswirtschaften eine erhebliche Mehrbelastung dar. Gerade für Länder, die weder über eigene Erdöl- noch Erdgasreserven verfügen, sind Biokraftstoffe eine attraktive Alternative. El Salvador will seine Biodieselproduktion aus Rizinus ausbauen; Honduras setzt zunehmend auf die Produktion von Biodiesel aus Palmöl, plant aber auch, die Ethanolproduktion aus Zuckerrohr auszudehnen. Biokraftstoffe tragen zur Diversifizierung der Energiematrix ebenso wie zur technologischen Kooperation in der Region bei. Unterstützung erhalten sie sowohl von Brasilien als auch von den USA.
Biokraftstoffe stellen Lateinamerika aber auch vor große Herausforderungen. Zum einen geht es darum, bei Produktion und Konsum eine positive ökologische und soziale Bilanz zu erzielen. Zum anderen muss sichergestellt werden, dass Bioenergie zur Kooperation in der Region beiträgt und nicht etwa geopolitische Konflikte verschärft. Gerade in Entwicklungsländern, in denen die für eine nachhaltige Produktion notwendigen Regulierungsstrukturen fehlen, kann der Anbau von Biomasserohstoffen (häufig in Monokulturform) schwerwiegende Folgen haben, darunter Umweltverschmutzung, Zerstörung von Ökosystemen und Artenvielfalt, gesundheitliche Folgeprobleme sowie soziale Verwerfungen, etwa durch die Verdrängung von Kleinbauern.
Ein wesentlicher Faktor dabei ist die Flächenkonkurrenz der Bioenergiegewinnung zur Nahrungsmittelproduktion. Die steigenden Maispreise in Mexiko - bedingt durch die erhöhte Nachfrage der USA für deren heimische Ethanolproduktion - und der "Tortilla-Aufstand" der Bevölkerung zeigen dies eindrücklich. Eine Ausweitung der Produktion von Biotreibstoffen ist daher nur durch die Umwandlung vor allem von Regenwäldern in Agrarflächen möglich. Im Extremfall kann dies zu einer negativen Ökobilanz führen. Brasilien gilt zwar als Musterschüler in der Biokraftstoffproduktion, doch sind auch hier diese Risiken nicht von der Hand zu weisen. So muss es zwar nicht zu einem Vordringen von Zuckerrohrplantagen in den Amazonasregenwald kommen, da noch ausreichend große ungenutzte Flächen zur Verfügung stehen.
Dennoch: Schon jetzt stammen die meisten Kohlendioxid-Emissionen Brasiliens aus der Entwaldung. Der intensivere Zuckerrohranbau kann diesen Trend verstärken, indem Viehzucht aus dem Süden in den Norden ausweichen muss und damit den Regenwald gefährdet.
Nicht minder groß sind die mit dem Vormarsch von Biokraftstoffen verbundenen geopolitischen Herausforderungen auf dem Kontinent. Denn Energieträger sind eine wichtige außenpolitische Machtressource. Brasilien nutzt Biokraftstoffe nicht nur, um sein internationales Profil zu stärken, wovon die mit den USA im März 2007 unterzeichnete Absichtserklärung über eine Energiekooperation ebenso zeugt wie die mit der EU im Juli 2007 eingegangene strategische Energiepartnerschaft. Biokraftstoffe sind für Brasilien auch ein ordnungspolitisches Instrument - als Gegengewicht zu Venezuela.
Venezuela sieht sich daher in seiner Energiehoheit bedroht, was sich nach dem neuen brasilianischen Erdölfund verstärken dürfte. In diesem geopolitischen Kontext sind die kritischen Äußerungen der Staatschefs Venezuelas, Boliviens und Kubas zu sehen, die die Gefahren von Biokraftstoffen gerade für die Nahrungsmittelsicherheit betonten. "Der Boden sollte nicht zur Ernährung der Autos benutzt werden" - so Hugo Chávez. Der Präsident des Landes mit den größten Gasreserven in Lateinamerika bezeichnet Biokraftstoffe als soziale und ökologische Katastrophe.
Der vermehrte Monokulturanbau sei nur eine neue Form der Verarmung und werde gravierende wirtschaftliche Abhängigkeit mit sich bringen, wettert Chávez. Vor allem verurteilt er die Energiekooperation Brasiliens und der USA - dem Hauptabnehmer venezolanischen Öls. Diese Zusammenarbeit zwischen dem nordamerikanischen und dem südamerikanischen Großstaat soll die Verbreitung von Biokraftstoffen insbesondere in Zentralamerika und der Karibik fördern - und deren Abhängigkeit vom venezolanischen Öl entgegenwirken. Chávez versucht hier gegenzusteuern: Im März 2007 schlug er die Bildung eines regionalen Kartells der Gasexporteure vor. Der so genannten Opegasur (Organización de Países Exportadores y Productores de Gas del Sur) gehören bereits neben Venezuela Argentinien und Bolivien an. Brasilien warnt hingegen, dass eine solche Initiative eher Konflikte zwischen Produzenten und Konsumenten, als die regionale Integration fördere. Der Wettstreit um die regionale Führungsrolle zwischen Brasilien und Venezuela zeigte sich beim ersten Südamerikanischen Energiegipfel im April 2007 auf der venezolanischen Isla Margarita. Auch wenn die verschiedenen Energieinitiativen offiziell für kompatibel und sogar komplementär erklärt wurden, spielten Venezuela mit seinem Gasförderungs- und -infrastrukturprojekt (Gasoducto del Sur) und Brasilien mit seiner Biokraftstoffoffensive jeweils ihre geostrategische Karte. Vor diesem Hintergrund darf man mit Biokraftstoffen keine unrealistischen Integretionshoffnungen für Lateinamerika verbinden.
"Wir können zusammen das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Veränderung der Energiematrix der ganzen Welt machen", warb der brasilianische Präsident für eine umfassende Biokraftstoffkooperation bei den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen im südbrasilianischen Blumenau im Herbst 2007. Bei aller Kritik bergen Biokraftstoffe Chancen nicht nur für Brasilien, sondern auch für ganz Lateinamerika. Angesichts der sozialen, umweltpolitischen und geo- strategischen Herausforderungen gilt es aber, für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Biokraftstoffproduktion zu sorgen.
Die Autorinnen sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Stiftung Wissenschaft und Politik, Forschungsgruppe Amerika.