KLIMASCHUTZ
Brüssel hat ambitionierte Pläne für die Reduzierung der CO2-Emissionen. Bis 2020 sollen sie um 20 Prozent sinken. Unternehmen fürchten jetzt Wettbewerbsnachteile.
Wenn alle ein bisschen unzufrieden sind, spricht man gemeinhin von einem aussichtsreichen Kompromiss. Gemessen an den Reaktionen aus Parteien, Verbänden und Hauptstädten müsste das vergangene Woche von der EU-Kommission beschlossene Klimapaket gute Erfolgschancen haben. Natürlich warnte der Europäische Stahlverband vor steigenden Kosten und ins Ausland abwandernden Unternehmen. Greenpeace und WWF hätten sich ehrgeizigere Sparziele gewünscht. Doch im Europaparlament gab es quer durch die Parteien und Ländergruppen Applaus für die Vorschläge der Kommissare Stavros Dimas (Umwelt), André Piebalgs (Energie) und Neellie Kroes (Wettbewerb).
Das von drei Kommissaren und mehreren Generaldirektionen betreute Klimapaket ist das umfangreichste und ehrgeizigste Projekt in Barrosos erster Amtszeit. Noch enthält es viele weiße Flecken, Fragezeichen und schwammige Formulierungen, die Raum für Interpretationen lassen. Vielleicht waren auch deshalb bislang die Reaktionen darauf so verhalten.
Bis zur nächsten Europawahl im Sommer 2009 sollen sich Rat und Parlament auf wasserdichte Gesetzestexte einigen, die das System des Emissionshandels auf eine völlig neue Grundlage stellen, nationale Sparziele für die Emissionen aus Landwirtschaft, Gebäuden, Müll und Verkehr festlegen und erneuerbare Energien stärker fördern. Streit wird es dabei vor allem darüber geben, welche Industriezweige ab 2013 ihre Verschmutzungsrechte bei Auktionen ersteigern müssen und welche Industrien weiterhin wie bisher kostenlos mit solchen Zertifikaten versorgt werden. Die Kommission will diese Frage erst 2010 endgültig klären, wenn die nächste Klimakonferenz in Kopenhagen vorbei ist.
Dort wird sich zeigen, ob andere Industrienationen wie die USA und China dem Kyoto-Protokoll beitreten und ebenfalls Verschmutzungszertifikate für ihre Unternehmen einführen. Sollte - unter neuer politischer Führung in den USA - ein Durchbruch im Dezember 2009 in Kopenhagen gelingen, will die EU-Kommission die europäischen energieintensiven Unternehmen wie Zement-, Stahl- oder Aluminiumhersteller stärker in die Pflicht nehmen. Denn ihre Konkurrenten außerhalb der EU würden dann ebenfalls durch Klimaschutzauflagen belastet. Doch der Spardruck innerhalb der EU würde gleichzeitig weiter steigen, denn die Union hat sich beim EU-Gipfel vergangenen März verpflichtet, in diesem Fall ihre Emissionen um weitere 10 Prozent zu reduzieren - auf dann 30 Prozent, gemessen am Ausstoß von 1990. Dieses striktere Sparziel will die EU-Kommission vor allem dadurch erreichen, dass Unternehmen verstärkt in klimafreundliche Technologien außerhalb der EU investieren. Doch Umweltverbände warnen, dass dieser sogenannte "Clean Development Mechanism" (CDM) aus dem Kyoto-Abkommen schlecht zu kontrollieren und seine Wirksamkeit fragwürdig sei. Ohne Einigung in Kopenhagen wird der Anteil von CDM auf drei Prozent begrenzt.
Weitere Einsparungen verspricht sich die Kommission von der "Carbon Capture and Sequestration" (CCS), einer neuen Technik, mit der die CO2-Emissionen aus Kraftwerken abgefiltert und unterirdisch gelagert werden sollen. Diese Technik befindet sich aber erst im Entwicklungsstadium. Fachleute bezweifeln, dass sie rechtzeitig zur Serienreife gelangt, um vielleicht schon 2010 zum Einsatz zu kommen.
Als EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sein Klimapaket vergangene Woche im Europaparlament vorstellte, stieß vor allem dieser Punkt neben der vorgesehenen Quote von zehn Prozent Biotreibstoff bei vielen Abgeordneten auf Kritik. Die grüne Energieexpertin Rebecca Harms sagte: "Wenn auf die sogenannte saubere Kohle gesetzt wird, wenn verdeckt für Atomkraft geworben wird, wenn Pflanzentreibstoff statt einer Kehrtwende in der Verkehrspolitik propagiert wird, bekommen wir keine gute Klimapolitik."
Abgeordnete aller Fraktionen warnten Barroso davor, bei seinen Klimaplänen zu stark auf Biokraftstoff zu setzen. Dieser "grüne" Energieträger aus Mais, Getreide oder anderer Biomasse war in den vergangenen Monaten heftig in die Kritik geraten. Zum einen wird seine Ökobilanz in Frage gestellt, da die große Nachfrage dazu führt, dass für neue Anbauflächen Naturreservate und Regenwaldgebiete zerstört werden. Zum anderen steigen die Lebensmittelpreise, weil in den Tanks der Industrienationen landet, was auf den Tellern in den armen Ländern dringend gebraucht wird.
Der Kommissionsentwurf ist insgesamt weniger wasserdicht, als es auf den ersten Blick scheint. Planungssicherheit für mehrere Jahre im Voraus, wie sie Energiekonzerne und Großunternehmen brauchen, bietet er nicht. Die amtierende slowenische und die künftige französische und tschechische Ratspräsidentschaft haben sich letzte Woche in Brüssel getroffen und sich gegenseitig versichert, das Paket bis zum Frühjahr 2009 durchs Gesetzgebungsverfahren bringen zu wollen. Das wird ihnen sicher gelingen. Die Frage ist nur, welche Abstriche der Klimaschutz auf dem gesetzgeberischen Weg hinnehmen muss.