PHARMAINDUSTRIE
Fragwürdige Zusammenarbeit mit EU
Die europäische Pharmaindustrie fühlt sich schlecht behandelt. So klagte der Vorstandsvorsitzende des Konzerns Bayer-Schering Pharma, Arthur Higgins, im Juni 2007 auf der EU-Konferenz Pharmazeutische Innovation, die EU-Mitgliedstaaten schienen "ganz allgemein nicht bereit zu sein, pharmazeutische Innovationen zu unterstützen und zu honorieren". Zu oft verschiebe sich das Gleichgewicht "eher zur Risikovermeidung hin und nicht in Richtung klinischer Nutzen". Auch das Unternehmen Boehringer-Ingelheim spricht auf seiner Home-page kritisch von "anhaltend schlechten pharmapolitischen Rahmenbedingungen".
Doch die Unternehmen haben Grund zu Freude: Im Dezember hat das Europäische Parlament der Gründung eines gemeinsamen Unternehmens "Initiative Innovative Arzneimitte" zugestimmt. Das heißt: Die Europäische Kommission und der Europäische Dachverband der Pharmazeutischen Industrie (EFPIA) gründen ein gemeinsames Unternehmen. Es soll so genannte innovative Arzneimittel erforschen. Damit soll dem Rückgang der pharmazeutischen Forschung in Europa entgegengewirkt werden. Pharmaunternehmen, Hochschulen sowie kleine und mittlere Unternehmen sollen so zur Zusammenarbeit gebracht werden.
Die öffentlich-private Initiative von Kommission und EFPIA will laut Selbstdarstellung helfen "Forschungsengpässe bei der Arzneimittelentwicklung" zu überwinden und Arzneimittelforschung fördern. Damit soll die Entwicklung "von sicheren und wirksameren Arzneimitteln für Patienten" beschleunigt werden.
Pharmaindustrie und Kommission werden das Unternehmen zu gleichen Teilen finanzieren. Während die Kommission 1 Milliarde Euro aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm investiert, stellt die EFPIA Sach- und Personalmittel in gleicher Höhe zur Verfügung. Welche Unternehmen und Hochschulen Fördermittel für Projekte erhalten, entscheiden beide Partner im Verwaltungsrat, dem ein wissenschaftlicher Beirat zur Seite steht. Diese Entscheidungen treffen die Gründungsmitglieder gemeinsam. Wenigstens vorläufig - das Unternehmen kann weitere Mitglieder aufnehmen, deren Stimmrechte "im Verhältnis seines Beitrags zum Gesamtbeitrag der Tätigkeiten des gemeinsamen Unternehmens IMI" festzulegen sind.
Ebenfalls noch festzulegen sind die Regeln des Unternehmens für die Nutzung und Weitergabe der Forschungsergebnisse. Auf der Homepage des Unternehmens, das seine Arbeit demnächst aufnehmen soll, gibt es allerdings ein Dokument, das die Grundzüge des Umgangs mit dem geistigen Eigentum skizziert. Danach soll der Eigentümer der Ergebnisse sein, der sie entwickelt hat.
Wie kann nun die EU-Kommission aber sicherstellen, dass Forschungsergebnisse, die sie mitfinanziert hat, auch in ihrem Interesse genutzt werden? Das fragen sich nicht nur die Gesundheitspolitiker des Bundestags. Sie durften, weil das Geld aus dem Forschungsrahmenprogramm stammt und damit der Bildungsausschuss federführend ist, nur mitberaten. Zum Schluss aber nicht einmal das. "Als die IMI auf der Tagesordnung auftauchte, war noch von einem Vorschlag des Rates die Rede", erinnert sich SPD-Gesundheitsexpertin Marlies Volkmer. "Als wir dann beraten wollten, ging es plötzlich um einen Beschluss, den wir nur noch zur Kenntnis nehmen konnten." Auch Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) hat mit diesem Tempo seine Probleme. "Dass so etwas innerhalb eines halben Jahres vom Vorschlag bis zum Beschluss durchgepeitscht wird, habe ich in meinen zwei Jahren als EU-Berichterstatter noch nicht erlebt", sagt Terpe.
Noch größere Probleme haben die Parlamentarier allerdings damit, dass für sie bei weitem nicht alle Fragen rund um das neue Unternehmen geklärt sind. "Die Satzung ist an verschiedenen Stellen äußerst schwammig", so Terpe. Weder gebe es klare Vereinbarungen, welche Forschungen genau gefördert werden sollten, noch wisse man genau, wer die Forschungsergeb-nisse letztendlich verwerten kann. Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Martina Bunge (Linksfrak-tion), hält "das ganze Konstrukt für fragwürdig". Durch die Öffnungsklausel für weitere Partner laufe die öffentliche Hand Gefahr, in eine Minderheitenposition zu geraten. "Im Grunde wird hier Gewinnmaximierung für Pharmaunternehmen mit öffentlichen Mitteln gefördert."
Die Unternehmen indessen jubeln. Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, früher selbst Abgeordnete, erklärte auf Anfrage des "Parlaments", die Initiative Innovative Arzneimittel habe das Ziel, die Medikamentenentwicklung generell zu beschleunigen und die Rate scheiternder Projekte zu senken. Viele Ergebnisse würden ohnehin nicht patentierbar sein. "Bei diesen dürfte den beteiligten Unternehmen und Forschungsgruppen aber klar sein, dass sie diese ohne IMI gar nicht hätten bekommen können. Durch die Veröffentlichung der Ergebnisse geben sie also nichts aus der Hand, was sie sonst hätten für sich haben können."
Bislang liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Arzneimittelprodukte den Weg von der vorklinischen Entwicklungsphase bis hin zur Marktzulassung erfolgreich zurücklegen, bei nur sechs Prozent trotz hoher Ausgaben der Pharmakonzerne für Forschung und Entwicklung. So hat Bayer Schering Pharma 2006 rund 1,7 Milliarden Euro für Forschung ausgegeben, Boehringer Ingelheim 1,6 Milliarden.
Die insgesamt zwei Milliarden für die IMI erscheinen da manchem Beteiligten nicht allzu groß. Der Europaabgeordnete Thomas Ulmer (CDU) sagte gegenüber dieser Zeitung, der Betrag sei "nicht viel" und "mehr ein Impuls", um Grenzen einzureißen.
Die deutschen Bundestagsabgeordneten sind da weniger entspannt. Es könne nicht sein, so Volkmer, dass die EU ein Sechstel der Ausgaben für Gesundheit aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm in die IMI investiere und der Profit allein an die Unternehmen gehe.
Die Gesundheitspolitiker wollen das Thema weiter im Auge behalten. Man habe, so Michael Hennrich (CDU), im Gesundheitsausschuss Fragen formuliert, die nun an den federführenden Bildungsausschuss gehen und schließlich im Bildungsministerium beantwortet werden sollen. "Wir fragen, nach welchen Zielvorstellungen die Forschungsmittel vergeben werden. Und wir wollen wissen, wie sichergestellt wird, dass die Ergebnisse der Öffentlichkeit zu Gute kommen."
Im Ministerium teilt man die Skepsis der Abgeordneten allerdings nicht. Die Pressestelle teilt mit, in diesem Rahmen könne man allenfalls zu "marktfähigen Produkten" kommen - und es sei ja gerade das Ziel der IMI, "wieder eine konkurrenzfähige Arzneimittelentwicklung in Europa zu haben".