MICHAEL HÜTHER
Der Wirtschaftsprofessor hält einen Abschwung nicht für ausgemacht. Doch Unwägbarkeiten bleiben.
Herr Professor Hüther, geringeres Wachstum, Alarmmeldungen aus den USA, weltweite Panikreaktionen der Börse. Stehen wir vor einer Rezession?
In der Tat: Die Konjunkturaussichten haben sich eingetrübt. Einige der Gründe müssen jedoch keine Sorgenfalten verursachen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Aufschwung nach längerer Dauer eine Moderierung erlebt, weil die Lager nun wieder angepasst sind und meist verzögert nach den Gewinnen auch die Löhne anziehen. Doch eine solche Dämpfung ist in der Regel nur vorübergehend, ein Abschwung in die Rezession ergibt sich daraus nicht. Anders sieht es mit den Unwägbarkeiten aus, die derzeit immer stärkere dunkle Striche in das Konjunkturgemälde ziehen: die Konjunktur in den USA, die Entwicklung der Rohstoffpreise und vor allem die Kreditmarktkrise. Die damit verbundenen Unsicherheiten haben eine doppelte Qualität: Zwar belasten diese Faktoren, doch niemand kann das Ausmaß der Konjunkturbelastung bestimmen. Die Faustregeln der Vergangenheit haben weitgehend ihre Aussagekraft verloren.
Also eher eine Konjunkturdelle?
Ausgemachte Sache ist der Abschwung nicht. Unverändert ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es sich um einen Zwischenhänger der Konjunktur handelt als um den Anfang vom Ende des Aufschwungs. Dafür spricht vor allem, dass die gesamtwirtschaftliche Besserung der letzten Jahre am Arbeitsmarkt eine deutliche Unterstützung erfahren hat. Unverändert haben die Unternehmen die Absicht, auch 2008 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Im Jahres- durchschnitt sollte es gelingen, die Arbeitslosigkeit unter 3,5 Millionen zu halten. Damit wird die Basis für die Binnenwirtschaft deutlich breiter.
Was sind die Risikofaktoren?
Eine gewisse Orientierung für die Priorität und Bedeutung der einzelnen Faktoren lässt sich aus Unternehmensbefragungen ermitteln. Der Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft vom Spätherbst zufolge sehen die Unternehmen vor allem in dem Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise wie der Schwächung der US-Konjunktur Belastungen. In beiden Fällen bestehen kurzfristig nur begrenzte Reaktionsmöglichkeiten. Der US-Konjunktur gegenüber ist die deutsche Wirtschaft durchaus robuster geworden, nicht jede Verwerfung muss sich bei uns analog niederschlagen.
... und die Finanzkrise?
Der Wechselkurs wird ebenso wie die Kreditmarktkrise von Seiten der Unternehmen als sehr nachrangig bewertet. Das hat damit zu tun, dass unsere Unternehmen weniger über den Preis ihre Marktposition auf den Weltmärkten erarbeiten, sondern über Qualität und vor allem kundendifferenzierte Lösungen. Die Probleme der Banken haben sich bislang nicht greifbar in der Realwirtschaft ausgewirkt. Das mag jedoch angesichts der in letzter Zeit scharfen Reaktionen der Finanzmärkte anders werden. Die Belastungen der Banken können das Kreditvergabepotenzial beschränken.
Apropos Position der Unternehmen. Müssen wir uns damit abfinden, dass in Deutschland Werke geschlossen werden wie von BenQ oder von Nokia in Bochum?
Die Schließung des Nokiawerkes ist trotz der ersten Anmutung kein Widerspruch zu der These, dass Deutschland unverändert als Industrieland erfolgreich ist. Denn der Erfolg speist sich aus Innovationskraft, kundendifferenzierten Produktlösungen sowie engen Netzwerken aus Vorleistungslieferanten, anderen Produzenten sowie der Wissenschaftsinfrastruktur. Deutschland kann nicht gewinnen bei standardisierter Produktion. Dies gilt für Oberhemden ebenso wie für Handys. Am Standort Bochum ist es gerade die mangelnde Einbindung in ein Netzwerk gewesen, das die Entscheidung unabhängig von den Lohnkosten begründet. Die Schlussfolgerung aus dem Vorgang bezieht sich auf die regionale Wirtschaftsförderung. Statt große Summen für Ansiedlungen auf der grünen Wiese bereitzustellen, sollte stärker und unternehmensorientierter in die Infrastruktur sowie die Bildungsinstitutionen investiert werden. So lassen sich die entscheidenden Erfolgsfaktoren deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb stabilisieren.
Zurück zur schwächeren Konjunktur. Die USA reagieren mit Zinssenkungen. Was kann die deutsche Politik tun?
Die Staatsfinanzen sind auf dem Weg der Besserung. Vor allem bei den Ländern und vielen Kommunen hat sich das Bild ins Positive gekehrt. An diesem Kurs sollte mit Blick auf die schlechte Haushaltsstruktur nichts geändert werden, ebenso bei den Gemeinden. Der Bund läuft der Entwicklung hinterher, weil er 2007 viele neue Ausgaben zugelassen hat. Trotz der erheblichen Steigerung der für 2008 erwarteten Steuereinnahmen wird es dem Bund nach eigener Planung noch nicht gelingen, das Defizit auf Null zu bringen. Das ist bei weitem nicht ehrgeizig genug. Das beschränkt den Handlungsspielraum für abgabenseitige Entlastungen. Mit Blick auf die Konjunktur müsste es zumindest gelingen, vermeidbare Abgabensteigerungen zu verhindern. Das gilt für die Pflegeversicherung und für die Krankenversicherung. Daneben wäre es wichtig, für mittlere Einkommen eine Tarifsenkungsperspektive bei der Einkommensteuer zu eröffnen, die freilich nicht heute, sondern erst ab 2010 greifen kann.
Ist der jüngste Aufschwung bei den Menschen angekommen?
Die Lohnpolitik ist seit Mitte der 90er-Jahre einem moderaten Kurs gefolgt und hat damit zur Stärke und Beschäftigungswirkung dieses Aufschwungs beigetragen. In dem historischen Höchststand der Beschäftigung mit über 40 Millionen Erwerbstätigen und dem mit 700.000 stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit in einem Jahr liegt der Beleg dafür, dass der Aufschwung etwas bringt. Das Risiko des Arbeitsplatzverlustes ist gesunken, die Beschäftigungschancen sind gestiegen. Dazu gehört, dass 2007 die Entgelte durch neue Tarifverträge um durchschnittlich 2,5 Prozent angehoben wurden. Zudem hat sich bei den Sonderzahlungen der Trend umgekehrt, von Einschränkungen zu Erhöhungen. Für dieses Jahr muss für die Konjunktur die durchschnittliche Anhebung von 2007 die absolute Obergrenze markieren. Dabei sollte erleichternd wirken, dass die Inflationsentwicklung spürbar flacher sein wird.
Wieso?
Nun, die Basiseffekte aus der Anhebung der Mehrwertsteuer Anfang 2007, dem realisierten hohen Ölpreis und anderen Dinge wie der Einführung von Studienbeiträgen sind ausgelaufen. Eine Fortschreibung der Inflationsentwicklung aus den letzten Monaten des Jahres 2007 ist unbegründet.
Wie sinnvoll sind Mindestlöhne?
Mindestlöhne werden sozialpolitisch als notwendig angesehen. Es soll damit gelingen, die Anzahl der so genannten Aufstocker beim Arbeitslosengeld II zu reduzieren. Die Daten weisen aber aus, dass allenfalls 100.000 Personen ganzjährig vollzeiterwerbstätig sind und zusätzlich Alg II erhalten. Dies ist kein dominantes Problem, auf das gesetzlich zu reagieren wäre. Politik muss auch Maß und Mitte wahren. Bei allen anderen Aufstockern führen entweder Familienzuschläge zu so hohen Transfers, dass entsprechend der Mindestlohn bei weit über 10 Euro liegen müsste, oder sie haben Teilzeit- beziehungsweise Minijobs, wo ebenfalls Mindestlöhne nicht helfen. So gilt: Mindestlöhne sind nicht nur ökonomisch unsinnig, sie sind auch sozialpolitisch ineffizient.
Sind sie denn mit der Tarifautonomie vereinbar?
Nein. Die jetzt vorgelegten Pläne des Bundesarbeitsministers stellen einen gravierenden Eingriff in die Tarifautonomie dar. Denn es werden nicht nur Lohnuntergrenzen branchenweise definiert, der Gesetzgeber kann künftig bestehende Tarifverträge aushebeln. Wir sind auf dem Weg in die staatliche Lohnfestsetzung. Unser durchaus fein justiertes System der Lohnfindung wird dadurch in seinen Grundfesten bedroht.
Das Interview führte Hans-Willy Bein.
Professor Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.