Was Ziad Jarrah und Omid Nouripour gemeinsam haben? Eine provokante Frage. Schließlich ist Jarrah einer der Attentäter des 11. September 2001, Nouripour Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Doch der grüne Politiker hat sich diese Frage trotzdem gestellt, nicht nur als Migrationsexperte seiner Partei, sondern auch aufgrund seiner eigenen Geschichte: Er wollte herausfinden, warum Jarrah - ebenso alt wie er, Muslim und Einwanderer - sich in Deutschland nie heimisch fühlte, mit nur 26 Jahren zum Todespiloten und vielfachen Mörder wurde.
Nouripour selbst ist in Deutschland angekommen. Mit 13 Jahren floh er mit seiner Familie von Teheran nach Frankfurt. Im "Gottesstaat" Iran war es zu gefährlich für die aufgeklärt denkende Familie geworden. Für den heute 32-Jährigen wurde so die hessische Metropole zur zweiten Heimat - besonders das multikulturelle Nordend, wo Nouripour aufwuchs und zur Schule ging. "Jedes Mal, wenn ich von Berlin nach Frankfurt zurückfahre", erzählt er, "muss ich erst einmal durch die Straßen laufen - da überkommen mich echte Heimatgefühle!" Er denkt nach und fügt hinzu: "Das klingt pathetisch, aber vielleicht ist das eine Art Kompensation für die Heimat, die ich früh verloren habe." Seit 20 Jahren ist Nouripour nicht mehr im Iran gewesen. Seine Großmutter starb, ohne dass ihr Enkel sie besuchen konnte.
Für einen kurzen Augenblick sitzt der Jungpolitiker still auf einem Sessel in seinem Berliner Abgeordnetenbüro - dem Büro, das er ebenso wie sein Abgeordnetenmandat von Joschka Fischer übernahm, als dieser sich im September 2006 aus der Politik verabschiedete.
Die Eingewöhnung in Deutschland fiel Nouripour nicht allzu schwer und auch die Sprache lernte der Junge schnell: "Ich hatte Freunde, die korrigiert haben, ohne mich dabei auszulachen." Auch seine Eltern, beides Ingenieure, legten auf Bildung Wert, schickten ihren Sohn auf ein Gymnasium. Nach dem Abitur 1996 begann Nouripour zu studieren, Soziologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre. In dieser Zeit entwickelte er sich auch zu einem fanatischen Leser. Autoren wie Kaminer und Zaimoglu gehören zur Lektüre, ebenso wie französische Phänomenologie. Doch der Deutsch-Iraner ist keiner, der vergeistigt wirkt. Im Gegenteil, Nouripour ist ein Tausendsassa: Er liebt Fußball, engagiert sich mit dem Frankfurter Künstler Bomber für "Graffiti-Kunst im öffentlichen Raum" - und macht HipHop: Lange bevor Außenminister Frank-Walter Steinmeier sein musikalisches Talent mit dem "Deutschland"-Song entdeckte, hat Nouripour im Wahlkampf 2005 für seine Partei und einen "grünen Sommer" gerappt. Kein Wunder, dass für seine Promotion oft die Zeit fehlt. Die Politik kommt Nouripour regelmäßig in die Quere.
Mitglied bei Bündnis 90/ Die Grünen wurde er 1996, sein Vorbild damals: Cem Özdemir - der erste türkischstämmige Bundestagsabgeordnete. "Als ich ihn 1994 im Fernsehen sah, wurde mir überhaupt erst bewusst, dass das möglich ist als 'Ausländer'! Ohne diese Initialzündung wäre ich wohl nie in eine Partei eingetreten", erinnert sich Nouripour. Aber es gab auch handfeste Gründe, "den Hintern zu bewegen" und sich zu engagieren: Die Unterschriften-Kampagne der hessischen CDU im Jahr 1999 gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ärgerte ihn maßlos - zumal er selbst darum kämpfte, einen deutschen Pass zu bekommen.
Eigene Erfahrungen sind es, die Nouripour antreiben: Als Sprecher der Bundes-Arbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge setzt er sich genauso für das kommunale Ausländerwahlrecht ein wie für eine Europäisierung der Zuwanderungspolitik. Die Erinnerung an den Krieg zwischen Irak und Iran, den er als Kind hautnah erlebte, machten ihn zudem zum Europafan. Während in der Öffentlichkeit die EU als "bürokratischer Moloch" wahrgenommen wird, ist sie für Nouripour "ein ungeheuer wichtiges Friedensprojekt". Als Mitglied im Europaausschuss möchte er deshalb helfen, die EU von ihrem Negativimage zu befreien. "Wir brauchen mehr Transparenz. Es geht nicht, dass Brüsseler Entscheidungen im Bundestag nur abgenickt werden. Wir müssen sie im Vorfeld beeinflussen!"