WEINBAU
Längere Sonnen- und Regenperioden verändern die Arbeit der deutschen Winzer - eine Umstellung auf neue Rebsorten ist aber noch nicht zwingend notwendig
Es ist ein dickes blaues Heft im Bücherregal hinter dem Schreibtisch; schlicht und unauffällig. Mit dem Kugelschreiber sind viele Daten handschriftlich eingetragen. Dieses Heft enthält lokale Indizien für den Klimawandel, genau wie die anderen Hefte, die neben ihm im Regal stehen. Es sind die "Herbstbücher", Erntetagebücher von Schloss Johannisberg im Rheingau, des nach eigener Aussage ältesten Riesling-Weinguts der Welt.
Hans Kessler, Weinbauingenieur des Gutes, breitet das Heft auf seinem Schreibtisch aus. Anhand der Daten kann der Önologe den Verlauf der Traubenernten verfolgen. 2002 haben die Erntehelfer am 14. Oktober angefangen und am 11. November aufgehört. Ein Jahr später waren die Trauben schon am 18. September reif, und die Ernte am 24. Oktober beendet.
Anhand dieser zwei Jahre will Kessler noch keine generelle Aussage über die Effekte einer Erderwärmung treffen. "Das ist noch zu sprunghaft." Er deutet auf einen Eintrag aus dem Jahr 1959. Da wurde auch schon Mitte September geerntet. Aber in den vergangenen zehn Jahren hat er dennoch Veränderungen beobachtet. "Seit 1997 hatten wir durchgängig relativ hochwertige Ernten mit weitaus reiferen Trauben und einem höheren Mostgewicht", sagt Kessler. Davor habe es immer wieder Jahrgänge gegeben, in denen die Trauben nicht reif wurden. "Die waren grasgrün, hatten vielleicht 50 Grad Oechsle. Da haben wir teilweise bis in den November mit der Ernte gewartet." Oechsle ist die Maßeinheit für das Mostgewicht der Trauben. Daran lässt sich der zu erwartende Alkoholgehalt des Weins ablesen. Ein zu hoher Alkoholgehalt beeinflusst den Geschmack des Rieslings genauso negativ wie ein zu niedriger. Der Johannisberger Riesling soll einer gutsinternen Regel zufolge mindestens 80 Grad Oechsle enthalten - und das erreichten die Trauben in den vergangenen Jahren fast ohne Probleme.
Auch Klimaforscher beschäftigen sich mit Veränderungen im Weinbau. Eine Gruppe von Forschern unter der Leitung von Manfred Stock, Professor am Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam, hat die Herbstbücher von Schloss Johannisberg von 1784 bis ins Jahr 2003 sowie Daten anderer Güter ausgewertet. Die Grafik, in der Stock die Anfangsdaten der Ernten von Johannisberg eingetragen hat, zeigen eine unebene Linie mit vielen Ausreißern nach oben und nach unten. Trotzdem steht für ihn fest, dass sich der Erntebeginn im Prinzip um zwei Wochen nach vorne verschoben hat. Hans Reiner Schultz, Professor an der Forschungsanstalt Geisenheim im Rheingau konstatiert: "Lokale Wetterdaten aus einzelnen deutschen Weinbauregionen zeigen deutliche Tendenzen zu höheren Temperaturen seit Beginn der Messreihen". Eine mögliche Konsequenz: Es könnte zu warm werden für die Riesling-Traube, stattdessen könnte vielleicht Chardonnay heimisch werden, eine Traube, die bisher unter anderem in Kalifornien und Frankreich angebaut wird.
Die Betonung liegt hierbei auf "könnte", denn der Zeitpunkt des Erntebeginns lässt keinen Rückschluss auf die Ursache zu, wie Hans Kessler betont. Die Entscheidung, wann geerntet werde, treffe jeder Besitzer eines Weingutes nach eigenen Maßstäben. "Vergangenes Jahr zum Beispiel haben viele Winzer gesehen, dass die Trauben reif sind, und haben sofort geerntet. Wir aber sind erst viel später rausgegangen."
Weinbauforscher Schultz sieht das ähnlich: "Der Anbau neuer Traubensorten muss nicht allein dem Klima geschuldet sein, sondern kann auch ökonomische Gründe haben, etwa wenn die Kunden gerne Chardonnay trinken." Trotzdem müssen sich Winzer seiner Meinung nach auf klimatische Veränderungen einstellen. Er prognostiziert "einen Anstieg in der Variabilität, beziehungsweise in den Schwankungen der Temperatur". Ein Problem könnten hohe Niederschläge im Winter und niedrige im Sommer werden. Böden mit viel Speicherkapazität könnten zwar die Feuchtigkeit im Frühjahr und Sommer an die Reben abgeben, schlechtere Böden jedoch nicht. Winzer müssten in Zukunft "extreme Flexibilität" zeigen und unter Umständen neue Wege in der Begrünung ihrer Weinberge gehen sowie über trockenresistente Unterlagen nachdenken. Kessler bestätigt diese Analyse. In den vergangenen fünf Jahren hätten die Wetterextreme zugenommen. "Früher hatten wir acht bis zehn Tage Sonne und drei bis vier Tage Regen. Heute haben wir Hitzeperioden von drei bis vier Wochen oder Zeiten, in denen es nur Bindfäden regnet."
Kessler steht am Aussichtspunkt des Schlosses, in dem alten Keller hinter ihm lagert noch eine Flasche Riesling von 1784. Er blickt über den Berg mit den 35 Hektar voller Rebstöcke. Unten fließt der Rhein. In der Mitte des Berges ragen zwei Pfähle mit zwei goldfarbenen "50" zwischen den Pflanzen hervor, Symbole für den 50. Breitengrad, auf dem das Gut liegt. Das ist die Nordgrenze für einen Großteil des deutschen Weinbaus. Nein, Schloss Johannisberg werde nicht auf neue Trauben umstellen, sagt Kessler. Aber die Winzer müssten ihre Berge noch besser pflegen, vielleicht schon während der Blüte die Pflanzen "entblättern" oder die Blüten so beschneiden, dass die Trauben später nicht so dicht aufeinander sitzen. Das beuge Verlusten bei großer Hitze oder Schädlingsbefall vor. Prophezeihungen, in 20 Jahren werde es keinen Riesling mehr im Rheingau geben, hält er für falsch. Die Arbeit aber - da ist er sich sicher - wird aufwändiger werden.