UN-NaturschutzKOnferenz
Die Frage des gerechten Zugangs zu genetischen Ressourcen birgt Konfliktstoff
Der Affe wirkt entspannt. Er hockt im Baum, hält sich mit seinen langen Armen an zwei Ästen fest, sein rotbraunes Fell hängt in zotteligen Strähnen herunter, er scheint zu dösen. Wenn er einen Begriff von sich, der Welt und seiner Existenz hätte, wäre es mit seiner Gelassenheit wohl vorbei. Schließlich gehören er und seine Artgenossen, die Orang-Utans der indonesischen Insel Sumatra, zu den vom Aussterben bedrohten Arten, die die Weltnaturschutzunion IUCN in ihrer Roten Liste aufführt. Der Orang-Utan teilt sein Schicksal mit Tausenden anderer Lebewesen. Das Verschwinden der Arten und ganzer Ökosysteme zu stoppen, die biologische Vielfalt der Erde zu erhalten, das ist das hochgesteckte Ziel der internationalen Staatengemeinschaft, die sich vom 19. bis 30. Mai 2008 zur Naturschutzkonferenz der Vereinten Nationen in Bonn trifft.
Regierungsdelegationen, Entwicklungshelfer, Vertreter von Umweltgruppen - man rechnet mit etwa 5.000 Teilnehmern bei der "Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt", so der offizielle Titel der Konferenz, die im Zwei-Jahres-Turnus und nun zum neunten Mal stattfindet. Sie ist das politische Entscheidungsgremium der UN-Biodiversitätskonvention (englisch kurz: CBD), die 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro verabschiedet wurde. Rund 190 Staaten haben seither die CBD unterzeichnet und sie damit zu einem der größten internationalen Abkommen überhaupt gemacht.
In der Präambel der Konvention erkennen die Vertragsparteien die Bedeutung der Biodiversität "in ökologischer, genetischer, sozialer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, erzieherischer, kultureller und ästhetischer Hinsicht" an. So zahlreich die Aspekte sind, so komplex darf man sich die Probleme beim Schutz der Biodiversität vorstellen. Während die Staatengemeinschaft schon mit dem Washingtoner Artenschutzabkommen von 1973 ein Instrument entwickelt hat, vor allem den internationalen Handel mit gefährdeten Tieren und Pflanzen zu regeln beziehungsweise zu unterbinden, gehen die Ziele der CBD über den Horizont bisheriger Naturschutzabkommen hinaus: Neben dem Artenschutz geht es um die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen. Das dritte Ziel lautet: gerechter Vorteilsausgleich. Dabei wird ein gerechter Zugang zu genetischen Ressourcen und ihrer Nutzung angestrebt.
Dieses Thema bildet einen der Schwerpunkte der diesjährigen Konferenz. Und es birgt erheblichen Konfliktstoff - schließlich sind es auf der einen Seite vor allem Entwicklungsländer, die über einen großen Artenreichtum verfügen, denen aber die finanziellen oder wissenschaftlichen Mittel fehlen, diese Ressourcen selbst zu nutzen. Andererseits machen die Industrienationen mit den aus den Urwäldern gewonnenen Wirkstoffen Profit in der Pharma-, Kosmetik- oder Biotechnologiebranche. Die Biodiversitätskonvention will mit dem "gerechten Vorteilsausgleich" den Nutzerländern den Zugang zur genetischen Vielfalt sichern, im Gegenzug die Herkunftsländer beispielsweise am Gewinn beteiligen oder Technologie- und Wissenstransfers in die ärmeren Ländern fördern. Auf eine rechtsverbindliche Regelung aber haben sich die Vertragsstaaten seit 1992 nicht einigen können. Die Verhandlungen sind zäh, denn hier geht es zugleich um die Interessen von Staaten und Konzernen, das uralte Wissen indigener Völker oder auch nationale Patentgesetze. Länder wie Kanada, Japan, Australien oder Neuseeland etwa, so die Kritik aus den Reihen der Nichtregierungsorganisationen, blockierten verbindliche Beschlüsse. In Bonn wird weiterverhandelt. Die Bundesrepublik strebt "im Grundsatz eine Einigung" zu diesem Thema an und setzt beispielsweise auf ein Zertifizierungssystem zur Herkunft genetischer Ressourcen.
Zweiter Diskussionsschwerpunkt auf der Bonner Agenda: die Errichtung eines weltweiten Netzes an Schutzgebieten, bis 2010 an Land, bis 2012 auf den Meeren. Laut der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, sind ein Viertel der weltweiten Fischbestände stark gefährdet und die Hälfte immerhin so stark ausgebeutet, dass sich die Fangquoten nicht mehr erhöhen lassen. Und in Afrika beispielsweise sind nach Angaben der Organisation zwischen 1990 und 2005 neun Prozent des Waldbestandes verschwunden. Schutzgebiete jedoch kosten Geld: Für die Einrichtung und Überwachung der Gebiete, aber auch um nachhaltige Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung zu schaffen. Schließlich kann kein Schutzgebiet lange bestehen, wenn die Menschen aus Armut gezwungen sind, ihre Ziegen und Rinder doch wieder in den geschützten Arealen weiden zu lassen.
Zurzeit werden nach Angaben der Bonner Nichtregierungsorganisation Forum Umwelt und Entwicklung etwa sechs bis zehn Milliarden Euro im Jahr für den Erhalt von Schutzgebieten ausgegeben, das meiste davon allerdings in den Industrieländern. In den ärmeren Staaten fehlten für diese Vorhaben jährlich 2,5 Milliarden Euro. Und so gehen laut FAO noch immer, auch wenn inzwischen etwa zwölf Prozent der Landfläche des Globus wenigstens auf dem Papier unter Schutz stehen, 13 Millionen Hektar Waldfläche im Jahr verloren.
Der Waldschutz ist denn auch das dritte große Thema der Konferenz: Zum einen, da in ihnen meist eine hohe Zahl verschiedener Pflanzen- und Tierarten heimisch ist. Zum anderen, weil an den Wäldern der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Klimawandel deutlich wird. Nach Schätzungen von Experten geht etwa ein Fünftel des vom Menschen verursachten CO2-Ausstoßes auf die Rodung von Wäldern zurück. Wenn die pflanzlichen Kohlenstoffdioxid-Konsumenten verschwinden, bedeutet das eine Beschleunigung des Treibhauseffekts, und dieser wirkt dann wieder auf die Artenvielfalt zurück. Eine Veröffentlichung des Bundesumweltministeriums gibt an, dass ein Drittel aller heute lebenden Arten durch den Klimawandel vom Aussterben bedroht sei.
Zahlreiche weitere Themen werden im Lauf der Bonner Konferenz diskutiert werden, denn das Geflecht an Arbeits- und Sonderprogrammen um die Biodiversitätskonvention ist inzwischen dicht gesponnen. Dabei stehen Meere und Küsten im Fokus, Trockengebiete und Binnengewässer und nicht zuletzt die Vielfalt in der Landwirtschaft. Sie ist zunehmend gefährdet, seit sich einige wenige Arten - hochgezüchtete Nutztierrassen oder besonders ertragreiche Getreide- oder Reissorten - weltweit durchsetzen.
Andere Arbeitsbereiche behandeln übergreifende Fragen, etwa, wie sich Anreize für den Biodiversitätsschutz schaffen lassen oder wie mit dem Problem umzugehen ist, dass Arten in fremde Ökosysteme eindringen. Ein zentrales Zusatzabkommen ist das "Cartagena-Protokoll" von 2003. Es zählt über 140 Vertragspartner, 80 haben es bisher ratifiziert, und regelt den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen und deren Handel. Schließlich könnte genmanipuliertes Saatgut auch eine Gefahr für Mensch und Umwelt bedeuten. Das Protokoll soll für mehr Transparenz sorgen, damit Staaten beispielsweise den Import kritischer Organismen untersagen können.
Das Zusammentreffen im Mai wird vor allem eines zeigen: Ob die Beteiligten in der Lage sind, sich über die Willensbekundungen hinaus auf völkerrechtlich verbindliche Beschlüsse einigen zu können. Und wie ernst es den Staaten ist, das vor sechs Jahren in Johannesburg beschlossene so genannte 2010-Ziel zu erreichen: das Verschwinden der Arten bis dahin zu stoppen oder zumindest erheblich zu verlangsamen. Viel Zeit bleibt also nicht mehr.
Die Autorin arbeitet als Wissenschaftsjournalistin in Berlin.