AREALVERSCHIEBUNG
Nicht nur Eisbären müssen sich einen neuen Lebensraum suchen
Wenn das Eisbärmädchen "Flocke" den Nürnberger Zoo verlassen müsste - aus welchem Grund auch immer -, dann wären die Folgen klar: drastische Einnahmeverluste, kein mediales Interesse mehr, die Stadt verlöre eine Attraktion. Wenn Flockes Artgenossen in freier Wildbahn gezwungen sind, ihre angestammte Heimat zu verlassen, weil es dort zu warm geworden ist oder sie nicht ausreichend Nahrung finden, sind die Folgen ungleich gewichtiger und nicht so schnell aufgelistet. Die durch den Wandel des Klimas bewirkte Verdrängung von Tieren aus ihrem ursprünglichen Lebensraum hat nachhaltige Folgen, die - da sind sich Wissenschaftler einig - noch nicht abschätzbar sind.
Der Eisbär ist dabei nur ein prominentes, bildhaftes und durch Zoo-Attraktionen wie Knut, Flocke und Wilbär leicht vermittelbares Beispiel für eine globale Tierwanderung, die längst begonnen hat. Und er ist von der zu befürchtenden Verschiebung - im Expertenjargon "Arealverschiebung" genannt - existenziell betroffen. Denn während viele Tierarten, denen es in ihrem angestammten "Areal" zu warm wird, Stück für Stück in den kühleren Norden vordringen, fehlt dem Ursus maritimus diese Möglichkeit. Ihm schmilzt schlichtweg das Eis unter den Füßen weg. "Eisbären und einige Robbenarten", sagt denn auch Ulrich Sommer, Professor für Marine Ökologie am Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften der Universität Kiel, "werden leider ganz verschwinden oder nur in kleinen, begrenzten Bereichen der Arktis überleben können."
Doch man braucht nicht bis an den Nordpol zu schauen: Konkret sind die Auswirkungen der klimatisch bedingten Wanderung bereits vor den deutschen Küsten. Einerseits verschwinden heimische Fischarten, weil es ihnen in Nord- und Ostsee zu warm geworden ist und beispielsweise der Sauerstoffgehalt des Wassers abnimmt. Auf der anderen Seite haben dänische Meeresbiologen jüngst Schwertfische, Sardellen, Meerbarben und -brassen im Skagerrak, der Meerenge zwischen Dänemark, Norwegen und Schweden, gefangen - Fische, die üblicherweise im Mittelmeer oder der Biskaya heimisch sind. Ähnliche Wanderungen haben Forscher bei Vögeln, Schmetterlingen und Reptilien nachgewiesen.
Auch Knut steht wohl noch in diesem Jahr eine "Arealverschiebung" bevor: in einen anderen Zoo. Das hat allerdings nichts mit dem Klimawandel zu tun - in Berlin ist schlicht kein Platz.