schmuggel
Gefährliche Jagd auf seltene Tiere und Pflanzen
Sie wollten nur ihre Aquarien füllen. Aber Tierschmuggel ist kein Kavaliersdelikt. Das bekamen Tino Hummel und Dirk Helmut Reinecke zu spüren. Die Hobby-Ichthyologen (Fischkundler) wurden im Februar 2004 im brasilianischen Manaus verhaftet, als sie gerade ihr Flugzeug bestiegen. Was die Zöllner im Gepäck der beiden fanden, erbaute den Staatsanwalt nicht: massenweise Zierfische ohne Ausfuhrerlaubnis. Die Deutschen landeten im Gefängnis, und nur durch den geballten Einsatz ihres Anwalts kamen sie vier Wochen später frei und unter Hausarrest.
Aber es sind nicht nur Amateure, die schmuggeln. Der illegale Handel mit Tieren wird weltweit inzwischen so professionell betrieben wie der Drogenschmuggel. Im Januar 2006 etwa nahmen Zollbeamte des Frankfurter Flughafens eine 49-jährige Brasilianerin aus São Paulo fest, die 28 Papageieneier in Nylonstrümpfen und Unterwäsche versteckt hatte. Ihr Auftraggeber war ein tschechischer Außenhandelskaufmann, der einen gewerbsmäßigen Tierschmuggel betrieb. Die Eier stammten von der gefährdeten Diadem-Amazone aus Nordwestbrasilien.
Allein 2005 habe das Hauptzollamt des Frankfurter Flughafens bei fast 620 Aufgriffen rund 20.000 geschützte Tiere, Pflanzen und aus ihnen gewonnene Produkte sichergestellt, klagt die Umweltschutzorganisation WWF. Herkunftsgebiete der geschmuggelten Arten sind meist Mittel- und Südamerika, Afrika, Thailand, Indonesien und die Philippinen. Seltene Arten werden von Schmuggler-Banden bevorzugt, denn sie bringen die höchsten Preise: Für einen Lear-Ara (eine vom Aussterben bedrohte Art der Neuweltpapageien) zum Beispiel, von denen es nur noch etwa 150 Brutpaare in freier Wildbahn gibt, werden heute auf dem Schwarzmarkt über 30.000 Euro gezahlt.
Tiere und Pflanzen sterben aus, weil ihr Lebensraum zerstört wird und sie als exotische Ware verhökert werden. Spät hat man daraus mit dem Washingtoner Artenschutz-Übereinkommen von 1973, das den Bioschmuggel verbietet, die Konsequenzen gezogen. Diese Art von Schmuggel war schon immer eine Einbahn-Straße: aus den "exotischen", tropischen und armen Ländern in die reichen Metropolen der gemäßigten Klimazonen.
Die Faszination, die die artenreichen Tropen auf die Europäer ausübten, hat Geschichte. Den Amazonasforschern des 19. Jahrhunderts, die die Natur sezieren und bestimmen, aber nicht plündern wollten, folgte nur zu bald der "Mob der seelenlosen Naturforscher", wie Charles Darwin ihn nannte. Zu ihnen zählten nicht zuletzt die Orchideenjäger. Auf der Suche nach besonders seltenen Exemplaren, die in London astronomische Summen einbrachten, durchkämmten Ende des 20. Jahrhunderts Sammler-Horden die Regenwälder - und fällten beispielsweise in Kolumbien 4.000 Bäume, nur um von ihnen die begehrten "Odontoglossum-Crispum"-Orchideen abzuernten.
Die Flora Brasiliens weist von allen Gebieten der Erde den buntesten Artenreichtum der Pflanzenwelt (allein 55.000 Blütenpflanzen) auf. Das Amazonasbecken mit 40 Prozent der Fläche Brasiliens ist die größte genetische Bank der Welt. Dort finden sich zum Beispiel 2.500 Baumarten und 1.000 Arten Farne und Orchideen. Aber auch der Cerrado, die weite zentrale Hochebene und Trockensavanne (23 Prozent Landesanteil) birgt eine bislang wenig bekannte Vielzahl von Pflanzen. Auch was die Fauna angeht, ist wieder das Amazonasgebiet eine besonders reich gefüllte biologische Schatzkammer. 3.000 Wirbeltierarten, ebensoviele Süßwasserfische, immerhin noch 524 Säugetierarten und 51 Spezies von Primaten wurden gezählt - und es werden mit der Forschung immer mehr, da die Bio-Schatztruhen des Regenwaldes noch keineswegs völlig erkundet sind. Beinahe überflüssig zu sagen, dass die Amphibien (517 Arten) und Reptilien (468 Arten) besonders reich vertreten sind. Von einer Tierklasse werden sie allerdings bei weitem regelrecht überflügelt: von den Insekten, deren Gegenwart Reisende immer wieder schmerzlich spüren.
In Brasilien sitzt die Angst besonders tief, man könnte erneut ein Opfer der Biopiraterie werden. Der Engländer Henry A. Wickham hatte 1875 gegen schärfstes Verbot den Samen des brasilianischen Kautschukbaumes Hevea Brasiliensis säckeweise außer Landes geschmuggelt und damit zum Untergang des Kautschukbooms in Brasilien beigetragen, denn der Baum gedieh nun vorzüglich auf Plantagen in Malaysia. Also führte das Land mit dem "Lei de natura" ("Naturgesetz") 1998 besonders scharfe Schutzbestimmungen ein. Dessen ungeachtet geht der Raubbau weiter, beinahe die Hälfte des ursprünglichen Regenwaldes wurde schon vernichtet. Landspekulanten und die Holzfällermafia teilen sich mit örtlichen Honoratioren die lukrative Beute.
Natürlich fällt auch etwas fürs Fußvolk ab. Der Schmuggel mit Zierfischen beispielsweise ist so alt wie die Goldgräberei in Amazonien. Viele Fischer am Rio Negro haben sich inzwischen auf das Geschäft mit den Aquarien-Lieblingen verlegt. Die "Piabeiros" (Name für die Angler. Viele Flussfische werden "Piaba" genannt, Anm. d. Red.) paddeln meist mit der ganzen Familie zu den Fanggründen in das Wasserlabyrinth der Igarapes und der toten Arme tief in den moskitoverseuchten Regenwald hinein, um Zierfische zu fangen.
Für die Flussbewohner ist der Zierfisch-Fang ein Geschäft, wenn auch ein mageres. Für tausend "Kardinäle" beispielsweise bekommen die "Piabeiros" umgerechnet nicht mehr als zehn Dollar. Im Großhandel auf den Hobbymärkten in Japan, Europa und den USA wird die gleiche Menge schon 50-fach höher gehandelt. Im Fachhandel zahlt man dann noch einmal zehn mal mehr.
Bis die Fische in Europa oder Japan ins Aquarium gelangen, gehen mehr als die Hälfte der Tiere zugrunde. Denn die farbenfrohen Winzlinge sind äußerst sensible Flosser. Beim Zwischenhandel in Manaus werden sie deshalb erst einmal wochenlang aufgepäppelt, bevor sie die lange Flugreise über den Ozean antreten können. Nur die wenigsten Arten - darunter die Guppies - reproduzieren sich massenweise in Gefangenschaft.
Brasilien gestattet den Handel mit 177 Arten tropischer Zierfische. Doch wer kann das kontrollieren? Rund 10 bis 15 Millionen Exemplare werden schätzungsweise allein am Rio Negro jährlich gefangen. Der Ort Barcelos, rund 400 Kilometer nordwestlich von Manaus gelegen, gilt als Zierfisch-Metropole am Rio Negro; rund 300 Familien leben dort vom Zierfischfang und -handel. Einmal im Jahr findet ein Zierfischfest statt, wo Angler seltene Fischarten ausstellen.
In Barcelos waren auch Tino Hummel und Dirk Helmut Reinecke auf einen örtlichen Führer gestoßen, der ihnen die Fischgründe zeigen sollte. Pech bloß, dass der Mann schon bei der Polizei bekannt war. Zwei deutsche Bioschmuggler gefangen - das ist etwas für die erste Seite. Wie viel tausend andere Räuber nicht ins Netz gehen, darüber schweigt die Presse.
Der Autor arbeitet als Südamerika-Korrespondent und lebt in Rio de Janeiro.