Die Bedeutung der Zoos
Gezielte Züchtungen helfen, ausgestorbene Tiere in der Natur wieder anzusiedeln
Auch die Liebe zu Eisbären hat ihre Grenze. Liegt sie vielleicht bei 50 oder doch erst bei 100 Kilogramm? Knut jedenfalls, der kleine flauschig-weiße Held des vergangenen Jahres, wiegt heute, mehr als ein Jahr nach seiner Geburt im Zoologischen Garten Berlins, ganze 130 Kilogramm. Und das ist auf jeden Fall zu viel für den gemeinen Zoobesucher. Niemand stellt sich mehr in eine Schlange, um Knut zu sehen. Heute muss sich das einstige Kuscheltier gar als Schmuddelbär beschimpfen lassen, denn weiß ist sein Fell nicht mehr: "Kann den nicht mal jemand waschen, so verdreckt wie der ist?", empört sich einer der wenigen Zaungäste vor dem Gehege.
Ist der Versuch, die Menschen mit Hilfe von Knut für die Lebensbedingungen von Eisbären in freier Natur zu sensibilisieren, also schief gelaufen? Oder war der Besucher schon einen Gedankenschritt weiter und denkt sich: Zoos sind ohnehin kein Abbild der freien Natur, also sollte auch der Eisbär aussehen wie ein künstliches Stofftier.
Heiner Klös, der Kurator des Zoos, kennt dieses Problem. Mit dem Dilemma, beständig zwischen den Interessen der Besucher, der Tiere und Tierschützer und einem Bildungsauftrag hin- und hergerissen zu sein, ist der 49-jährige Biologe aufgewachsen. Sein Vater, Heinz-Georg Klös, leitete von 1956 an mehr als 30 Jahre lang den Zoologischen Garten. "Ich lebe seit 40 Jahren hinter Gittern", bemerkt er ironisch. Einen Medienhype wie bei Knut habe er vorher noch nicht erlebt. Dennoch sei es nicht gelungen, den Bären nachhaltig für etwas einzusetzen, was sich seit Jahren mehr und mehr als die Hauptaufgabe von Zoos herauskristallisiert: Artenschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt. "Er ist als niedlicher Bär im Boulevard untergegangen", resümiert Klös.
Festgeschrieben ist diese Aufgabe in der Welt-Zoo-Naturschutzstrategie, die der Welt-Zoo-Verband (WAZA) 2005 formuliert hat, und die seitdem weltweit als verbindliche Grundlage für die Arbeit der Zoologischen Gärten dient. "Nur sie, zusammen mit den botanischen Gärten, können das ganze Spektrum der Naturschutzaktivitäten abdecken", heißt es dort. Das fängt bei der Ex-situ-Zucht (außerhalb des natürlichen Lebensraums) bedrohter Arten an, schließt Forschung, Bildung und Beratung und schließlich auch den In-situ-Schutz (innerhalb der natürlichen Lebens- räume) mit ein.
Ein einzelner Zoo hat aber nicht die Kapazitäten, um diesen Aufgaben auf allen Ebenen gerecht zu werden. Allein die Zucht bestimmter Populationen funktioniert nicht in Eigenregie, da hierfür die genetische Vielfalt eine zentrale Voraussetzung ist. Und die wird nur durch einen Tier-Tausch zwischen den Zoos gewährleistet. Unter der Regie der WAZA werden deshalb so genannte internationale Zuchtbücher für 182 seltene oder bedrohte Arten geführt. Diese Zuchtbücher helfen, einen Überblick über die Bestände der jeweiligen Tierart in den über 1.000 in Zoovereinigen organisierten Zoos zu bewahren. "Dadurch wird es möglich, ganz gezielt zu entscheiden, in welchem Zoo welche Tiere leben sollen." Heiner Klös ist ein Fan der neuen Vernetzungsoffensive der WAZA: "Es findet eine Bewussteinsänderung hin zu einem globalen Denken statt, die gerade für unsere internationalen Kampagnen wichtig ist."
In Berlin sammelt der Zoologische Garten zum Beispiel die Daten zweier Nashornarten und des Gaurs, eines asiatischen Wildrindes, und koordiniert deren Weitergabe an andere Zoos. Wie die meisten Einrichtungen in Deutschland ist er noch auf anderer Ebene international aktiv. In Madagaskar, "einem Hot Spot der Evolution", so Klös, finanziert der Zoo beispielsweise Projekte zum Schutz wichtiger Trockenwaldreste, die auch Lebensraum der in Berlin gezüchteten Schmalstreifenmungos sind, jährlich mit mehreren Tausend Euro. Schwieriger gestaltet sich dagegen der Aufbau beziehungsweise die Vergrößerung stabiler Mungopopulationen in Madagaskar. "Man braucht vor Ort Leute, auf die man sich hundertprozentig verlassen kann, um die Projekte längerfristig zu koordinieren. Und das ist nicht immer einfach." Deshalb arbeite der Berliner Zoo seit längerem daran, diese Populationen zunächst außerhalb Madagaskars, nämlich in den USA, aufzubauen, hebt der Biologe hervor.
In dieser Begegnung vor Ort zeigen sich die Grenzen des Engagements für den Erhalt der Biodiversität, denn "in Madagaskar ist praktisch alles bedroht", sagt Heiner Klös. Und sein Kollege, der Direktor des Zoos Hannover, Klaus-Michael Machens, stellt fest: "Wir als Zoo können natürlich nicht die Welt retten. Aber die Konsequenz daraus kann nicht sein zu sagen: Weil wir nicht alle Antilopen der Welt retten können, retten wir auch nicht die Addax-Antilope in Nordafrika." Der Zoo Hannover ist für das Zuchtbuch der Addax-Antilope verantwortlich. War diese Antilopenart fast ausgestorben, so konnte sich in den Zoos in den vergangenen 35 Jahren der Bestand von wenigen auf fast 2.000 Tiere vermehren. 85 Tiere wurden mittlerweile über den "Erlebnis-Zoo" Hannover nach Nordafrika ausgeflogen und in Nationalparks angesiedelt. Und vor einigen Wochen erst hat der Zoo einige in Hannover geschlüpfte Bartgeier-Kücken in den Alpen ausgewildert. Bartgeier gehören, nachdem sie Anfang des 20. Jahrhunderts als ausgerottet galten, zu den seltensten Greifvögeln Europas.
Knut wird dieses Erlebnis nie teilen, denn Auswilderungen würden bei großen Raubtieren nicht funktionieren, sagt Heiner Klös. Der Eisbär im Gehege kann seinen Artgenossen in freier Wildbahn daher nur indirekt helfen: als Symbol. Inwieweit er zu einem solchen tatsächlich geworden ist - darüber gehen die Meinungen auseinander. Klaus-Michael Machens beklagt zwar, ähnlich wie Heiner Klös, die "Verniedlichung" des Bären. Aber: "Es ist eben eine zweischneidige Geschichte. Andererseits ist es natürlich gut, wenn sich die Menschen auf diese Weise für das Thema interessieren." Und das habe Knut schon bewirkt. So sieht es auch Magnus Herrmann, Arten- und Naturschutzreferent beim Naturschutzbund Deutschland (NABU): "Knut hat zweifellos die Aufmerksamkeit auf die Situation der Eisbären und damit auch seine Umweltbedingungen in freier Wildbahn gelenkt."
Nicht nur der NABU, auch der World Wide Fund for Natur (WWF) betonen deshalb die Bedeutung der Zoos für den Artenschutz in mehrfacher Hinsicht: Zum einen liege sie in der Umweltbildung, so Herrmann: "Menschen brauchen nun mal den direkten Kontakt zu den Lebewesen, um für deren Situation sensibilisiert zu werden." Zum anderen können "gut geführte Zuchtprogramme einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz leisten und Auswilderungen das Überleben bestimmter Tierpopulationen sichern", betont Stefan Ziegler, Artenschutzreferent beim WWF Deutschland. Beide Umweltorganisationen verweisen in diesem Zusammenhang auf die positiven Impulse, die von der Welt-Zoo-Naturschutzstrategie ausgehen können.
Kritik kommt dagegen von Tierschützern. "Der Beitrag von Zoos zur Rettung der Biodiversität in freier Natur wird von Seiten der Zoos erheblich übertrieben. Trotz einiger gelungener Wiederansiedlunsgprojekte spielen Zootiere im Artenschutz nur eine marginale Rolle", betont etwa Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Und in Bezug auf die momentan wenig rosig aussehenden Zukunftsaussichten der Eisbären stellt er fest: "Die Haltung von in der Natur ausgestorbenen Tieren im Zoo hat letztlich etwas Zombiehaftes."
Aber noch ist Knut kein Zombie. Noch beweisen andere, dass man aus diesem Stadium auch endgültig ins Reich der Lebenden zurückfinden kann: Bartgeier und Addax-Antilopen sind nur zwei Beispiele für erfolgreiche Rückkehrer.