Wirtschaftsfaktor
Ein Hektar artenreicher Regenwald ist weniger Wert als ein Maisfeld
Als die Deutschen noch Kolonien hatten, beobachtete der Soldat Mehnert in Namibia, wie ein Medizinmann schwere Fleischwunden mit einer geheimnisvollen Pflanze heilte. Mehnert schickte seinen Hund auf die Fährte und stahl die viel versprechende Pflanze. So geht zumindest die Legende. Sicher ist, dass Mehnert das Gewächs Harpagophytum procumbens oder die Teufelskralle um 1903 nach Deutschland brachte, wo sie bis heute als Medizin gegen Rheuma oder Verdauungsbeschwerden vermarktet wird. Das Arzneimittelverzeichnis listet 23 Teufelskrallen-Präparate auf, Nutznießer sind Firmen wie Hexal, Ratiopharm und Dyckerhoff. Bezieht man auch Nischenprodukte mit ein, sind laut Marktforschungsfirma IMS Health insgesamt 98 Produkte am Markt und die deutschen Verbraucher haben dafür 2007 rund 17 Millionen Euro ausgegeben. Zum Vergleich: Der Aspirin-Wirkstoff Acetylsalicylsäure kommt in 137 Mitteln vor, mit denen 382 Millionen Euro umgesetzt worden sind.
Die Umsätze mit den Teufelskrallen-Produkten stehen für den Wert der Artenvielfalt schlechthin: Wer weiß, wie viele Produkte sich noch aus neuen Arten entwickeln lassen? In den 1980er-Jahren kalkulierte man den Wert einer Art auf durchschnittlich 23 Millionen Dollar. Neuere Studien sind da viel zurückhaltender. Sie geben den Wert der Biodiversität etwa für einen Hektar Regenwald nur noch mit einigen hundert Dollar an - da ist der Profit geringer als beim Maisanbau auf der Fläche. Genauer soll das nun eine Studie untersuchen, die die Bundesregierung und die EU-Kommission in Auftrag gegeben haben.
Wenn Firmen sich mit Artenvielfalt beschäftigen, geht es ihnen fast immer um ihr Image als Naturschützer: Krombacher zum Beispiel unterstützt die Wildhüter in einem Nationalpark in Zentralafrika und der Süßigkeiten-Hersteller Storck gibt Geld für Storchen-Wiesen an der Elbe.
"Es gibt nur wenige Beispiele, wo Unternehmen direkt in den Erhalt der Artenvielfalt investieren, um dann später einmal Gene zu nutzen", sagt Karin Holm-Müller. Die Professorin für Ressourcen-Ökonomie an der Uni Bonn hat 2005 in einer Studie 136 deutsche Unternehmen befragt und festgestellt, dass sich zwar 16 Prozent intensiv mit der Nutzung solcher Ressourcen beschäftigen. Das sind neben Universitäten vor allem Unternehmen, die Nutzpflanzen züchten oder Zierpflanzen verkaufen. Pharmafirmen stecken aber kaum Geld in diese Forschung, am ehesten investieren noch Hersteller von pflanzlichen Heilmitteln.
"Ein Unternehmen würde mit dem Investment, etwa in ein Stück Regenwald, ein öffentliches Gut erzeugen", erklärt Holm-Müller. Selbst wenn Mehnert also das Land gekauft hätte, auf dem er das Teufelskraut ausgegraben hat, hätte er die Pflanze nicht exklusiv vermarkten können.
Eine Ausnahme machte lange Costa Rica. Hier hat es das National Biodiversity Institute (INBio) übernommen, die enorme Artenvielfalt des Landes zu schützen und nach kommerziellen Anwendungen aus dem Regenwald und der indigenen Medizin zu suchen. Die US-Pharma Firma Merck & Co hat zwischen 1989 und 1990 eine Million Dollar dafür bezahlt, die von INBio gesammelten Pflanzen zu analysieren, und hätte INBio an Gewinnen aus neuen Produkten beteiligt. Heute sponsort der Konzern andere Aufgaben von INBio - und bessert so das eigene Image auf.
Der Autor arbeitet als Journalist in Berlin.