IRAK
Das Parlament wandelt sich vom sinnlosen Debattierclub zur ernst zu nehmenden Volksvertretung
Sie mag vielleicht 13 Jahre alt sein, die kleine hellhäutige Irakerin, mit dem weißen Tuch um den Kopf, das kein Haar sichtbar werden lässt. Traurig sieht sie zum Himmel, öffnet ihre Hände und weint. Links neben ihr auf dem Bild ist eine irakische Fahne montiert, noch die alte Version mit den drei Sternen. Und über allem steht: "Allah, rette mein Irak!" Derartige Aufkleber findet man seit geraumer Zeit in verschiedenen Variationen. Sie liegen auf kleinen, hölzernen Verkaufstischen in der Mutanabi-Straße im Herzen Bagdads, wo im März vergangenen Jahres ein verheerender Bombenanschlag vieles zerstörte und fast 100 Menschen das Leben kostete. Bagdads berühmte Büchermeile wird langsam wieder aufgebaut. Die Aufkleber haben alle dieselbe Botschaft: für die Einheit des Landes, gegen den Terror, wir stehen zusammen. Sogar der kurdische Fußballnationalspieler auf einem anderen Sticker hat eine irakische Fahne auf seinem Trainingsanzug, obwohl es gerade die Kurden waren, die lange separatistische Töne anstimmten.
Nun empfinden sich auch die Kurden mehr und mehr als Iraker. Auch die Amerikaner haben den Willen zur Einheit der Iraker inzwischen erkannt und finanzieren ihrerseits großflächige Plakate an den Straßenrändern, die ebenfalls diese Botschaft verkünden. Sie sind nur bunter, moderner, peppiger als die etwas kitschig anmutenden Mutanabi-Aufkleber. Doch typischer sind diese allemal.
Die Dynamik zum Erhalt des Landes steckt an. Nirgends wird dies so deutlich wie im Parlament. Noch Anfang des Jahres stellten sich die 275 Abgeordneten als sinnloser Debattierclub dar, zerrissen zwischen den Fronten der blutig ausgetragenen ethnischen Konflikte.
"Zwischen Boykott und Benchmarks" lautete denn auch der Titel einer Analyse des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman, die von der jordanischen Hauptstadt aus den Irak betreut. Viele Parlamentarier würden nicht zu den Sitzungen erscheinen und die Amerikaner gäben die Leitlinien vor, so der Tenor des Papiers damals.
Die Autoren sprechen darin von dem Scheitern des Versuchs, die "nationale Einheit durch eine ethnisch- und konfessionsübergreifende Mehrparteienkoalition zu stärken". Die Regierung des schiitischen Premierministers Nuri al-Maliki würde nur noch von der United Iraqi Alliance (UIA) und der Democratic Patriotic Alliance of Kurdistan getragen, nachdem der sunnitische Block der Iraqi Accord Front (IAF) aus Protest über die von Schiiten und Kurden dominierte Regierungspolitik ihre sechs Minister abzog.
Inzwischen hat die rasante Entwicklung im Irak diese und viele andere Analysen Lügen gestraft. Nuri al-Maliki ist heute stärker als jemals zuvor in seiner zweijährigen Amtszeit. Der sunnitische Block ist mit sechs neuen Ministern ins Kabinett zurückgekehrt. Der Besuch des Premiers in Berlin wird bei den Irakern als durchschlagender Erfolg gewertet. Denn der Wunsch, Deutschland möge sich mehr im Zweistromland engagieren, ist bei Sunniten, Schiiten, Christen, Arabern und Kurden gleichermaßen unumstritten. "Am spannendsten aber ist die Rolle des Parlaments, die sich in den letzten Wochen völlig geändert hat", beobachtet Hans-Christof Graf von Sponeck, ehemaliger UN-Koordinator für den Irak. Aus Frust über die Auswirkungen des Öl-für-Lebensmittel-Programms während des UN-Embargos in den 90er-Jahren und die dadurch wachsende Armut der Bevölkerung war er 2000 von seinem Uno-Posten zurückgetreten. Gleichwohl verfolgt er bis heute die Geschehnisse in seinem ehemaligen Wirkungsgebiet.
Seit den Parlamentswahlen im Dezember 2005 hatten die Abgeordneten zwar 21 Gesetze verabschiedet - über Renten, den Umgang mit Massengräbern bis hin zu Olivenölbestimmungen. Die wirklich drängenden Probleme indes wurden immer wieder vertagt. Das änderte sich, als die Administration in Washington den Druck auf die Regierung in Bagdad und durch sie auf das Parlament erhöhte, doch endlich mit dem Ölgesetz "zu Potte zu kommen". Der Entwurf lag den Volksvertretern bereits seit Februar 2007 vor. Das Kabinett Maliki hatte ihn abgesegnet und George Bush drängte darauf, noch in seiner Amtszeit dieses Vermächtnis zu hinterlassen. Doch der Inhalt brach einen Sturm der Entrüstung los. Neben der inner-irakischen Bedeutung für die Wirtschaft des Landes, hat das Gesetz auch eine internationale Komponente. Schließlich verfügt der Irak nach neuesten Erkenntnissen über die zweitgrößten Ölvorkommen der Welt. Das Gesetz soll neben einem rechtlichen Rahmen für ausländische Investitionen auch die Kontrolle über Erdölreserven regeln und einen Verteilungsschlüssel der Einnahmen beschließen.
Nachdem mehr als 400 irakische Ölexperten einen offenen Brief an das Parlament unterzeichneten und den Ausverkauf des in der Verfassung festgeschriebenen Allgemeinguts im dem Gesetz sahen, wachten die Volksvertreter auf. Seitdem ist der Gesetzentwurf bereits vier Mal modifiziert, aber immer noch nicht verabschiedet worden. Inzwischen hat sich eine Plattform von etwa 100 Parlamentariern über konfessionelle Schranken hinweg gebildet, ein Novum für den Irak. Die Abgeordneten verlangen, dass die Verwaltung der Bodenschätze durch eine in Bagdad angesiedelte zentrale Stelle erfolgt. Nur so sei der Abbau von Iraks Bodenschätzen im Einklang mit nationalen Interessen möglich. Außerdem hat das Parlament bewirkt, dass das bilaterale Abkommen zwischen den USA und dem Irak über den Verbleib amerikanischer Truppen, nicht nur auf Regierungsebene abgeschlossen wird. Die Volksvertreter werden das letzte Wort haben. Und die haben beschlossen, sich nicht vor 2009 zu entscheiden. Dann nämlich regiert ein anderer Präsident im Weißen Haus.