Energiepolitik
Die Debatte über eine unabhängige Netz AG gewinnt an Fahrt
Sie beflügelt offenbar die Phantasie, die nationale Netz AG als Betreiber der deutschen Elektrizitäts- und Gastrassen. Gudrun Kopp schwebt vor, dass die Konzerne ihre Fernübertragungsleitungen für Strom und Gas freiwillig in eine solche Gesellschaft einbringen, dort entsprechend ihrem Eigentumsumfang Anteile erwerben, aber bei Investitionsentscheidungen nicht mitbestimmen können. Wie die Energiepolitikerin der FDP-Bundestagsfraktion lehnt ihr CDU-Kollege Joachim Pfeiffer eine staatliche Beteiligung an einer Netz AG ab und kann sich unter deren Besitzern neben anderen privaten Investoren auch Energieproduzenten vorstellen: "Warum sollen die nicht ihr Know-how einbringen?" Die Abgeordneten Axel Berg (SPD) und Kerstin Andreae (Grüne) wollen hingegen die Konzerne wie andere Energieerzeuger von einer Netz AG fernhalten und plädieren für einen staatlichen Mehrheitsbesitz von knapp über 50 Prozent. Ulla Lötzer (Linkspartei) fordert, Strom- und Gastrassen als "natürliches Monopol" vollständig in staatliche Hand zu nehmen.
Für das Schweizer Modell einer Betreibergesellschaft, die mehrheitlich in staatlichem Besitz und privatrechtlich verfasst ist, aber nicht an die Börse gehen darf, wirbt Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Eon und RWE bekunden Interesse an einer Beteiligungan an der Netz AG. Bei dieser neuen Einrichtung wollen auch die Anbieter regenerativer Energien über ein Fondsmodell mit knapp 25 Prozent einsteigen. Für Solarworld-Chef Frank Asbeck ist etwa der Eon-Anteil ein "dicker Fisch", auf den es "eine sichere Rendite" gebe.
Über die Netz AG wird heftig debattiert, obwohl die Organisationsform der Fernleitungen überhaupt noch nicht geklärt ist. Allerdings scheint das Kampfgetümmel auf eine solche Gesellschaft zuzulaufen. Bei dieser Kontroverse stehen die Stromtrassen im Vordergrund, doch dreht es sich auch um Gasnetze.
Angesichts massiv steigender Energiepreise suchen Regierung, Bundestag und Brüssel mit Hilfe des Wettbewerbsrechts gegenzusteuern. Eon, RWE, Vattenfall und EnBW beherrschen rund 80 Prozent des Markts. Die Konzerne verfügen nicht nur über gewaltige Kraftwerkskapazitäten, sondern kontrollieren als Eigentümer der Elektrizitäts- und Gas-"Autobahnen" auch die Einspeisung durch andere Anbieter in die Fern- und somit auch in die oft von Stadtwerken gemanagten lokalen Verteilnetze. Die vier Großen sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden den Zugang von Konkurrenten erschweren und so billigeren Strom wie preisgünstigeres Gas vom Markt fernhalten.
Die Brüsseler Kommission dringt auf eine komplette eigentumsrechtliche Trennung zwischen Konzernen und Trassenbetreibern. Im EU-Ministerrat erreichten Deutschland und Frankreich jedoch, dass den Mitgliedstaaten Spielräume in Gestalt dreier Varianten eröffnet werden: das Konzept der Kommission, die Überantwortung der im Besitz der Konzerne verbleibenden Leitungen an Treuhänder sowie die Eigenständigkeit einer gesellschaftsrechtlich weiterhin unter dem Dach der bisherigen Besitzer angesiedelten Netzgesellschaft. Letzteres favorisieren Berlin und Paris. Das EU-Parlament beharrte zwar mit einfacher Mehrheit auf der strengen Entflechtung im Sinne von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, allerdings zeichnet sich die bei der zweiten Lesung erforderliche absolute Mehrheit nicht ab.
Nicht wegen der Brüsseler Kommission und der Straßburger Abgeordneten, sondern wegen der Konzerne hat das Berliner Modell freilich schlechte Chancen. Um immensen Geldbußen wegen mutmaßlicher kartellrechtlicher Verstöße zu entgehen, wollen nämlich Eon das Elektrizitätsnetz (10.000 Kilometer) und RWE die Gasleitungen (4.100 Kilometer) veräußern. Auch Tuomo Hatakka, Chef der deutschen Vattenfall Europe, rechnet mit einer Abspaltung seiner 9.500 Kilometer umfassenden Ferntrassen für Strom: "Es wird eine Trennung geben."
So scheint die hiesige Entwicklung doch in die von Kroes skizzierte Richtung zu tendieren. Für Joachim Pfeiffer hat eine nationale Netz AG jedenfalls einen "gewissen Reiz". Dort einsteigen dürften aber nur Private, wobei man "in ganzer Breite" offen sein solle: "Warum sollen etwa Pensionsfonds wie in Spanien nicht dabei sein?" Hingegen zeigt sich der CDU-Abgeordnete "sehr skeptisch" gegenüber ausländischen Staatsfonds. Die Liberale Gudrun Kopp rechnet nicht damit, dass Eon einen Käufer für sein Elektrizitätsnetz finden wird. Der Konzern solle seine Fernleitungen lieber in das von der FDP konzipierte Modell einer Netz AG einbringen. Die öffentliche Hand zum Miteigentümer zu machen, sei "völlig absurd", insistiert Kopp, so etwas führe nicht zu mehr Wettbewerb.
Axel Berg sieht indes gute Argumente für eine Mehrheitsbeteiligung des Staats als "neutralstem Akteur". Ein Arbeitspapier der SPD-Fraktion hält auch einen mit Sonderrechten ausgestatteten Minderheitsbesitz der öffentlichen Hand für denkbar. Berg hat private Miteigner mit langfristigen Interessen im Auge, etwa Pensionsfonds oder Versicherer, "es darf kein kurzfristiges Spielgeld dabei sein". Der Staat solle seinen Anteil den Konzernen abkaufen, so der SPD-Energiepolitiker, eine Enteignung würde sich zu lange hinziehen. Für eine Sozialisierung der Ferntrassen mit Entschädigung plädiert jedoch Ulla Lötzer: Das werde "keine Unsummen kosten", kalkuliert die Obfrau der Linkspartei im Wirtschaftsausschuss, da man bisherige Monopolrenditen und unterlassene Investitionen gegenrechnen könne. Ein alleiniger Staatsbesitz der Netz AG sei geboten, weil Konzerne auch auf der Basis von Minderheitsanteilen die Geschäftspolitik maßgeblich beeinflussen könnten. Die Grünen-Abgeordneten Kerstin Andreae und Hans-Josef Fell befürworten eine öffentliche Mehrheitsbeteiligung: "Das Interesse aus der Branche erneuerbarer Energien begrüßen wir, sofern es sich dabei nicht um Energieerzeuger handelt, um den Grundsatz der Entflechtung nicht zu gefährden."
Kaum diskutiert wird die "schwierige Frage" (Kopp), ob es für die "Autobahnen" bei Elektrizität und Gas eine einheitliche Netz AG oder zwei getrennte Einrichtungen geben soll. Außer RWE hat im Übrigen noch kein Versorger die Bereitschaft zum Verkauf von Gasleitungen erkennen lassen. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) bezweifelt, dass alle Stromtrassen auf einmal in eine einheitliche Gesellschaft überführt werden können.