PATIENTENVERFÜGUNG
Sachverständige sind sich einig: Eine gesetzliche Regelung ist unabdingbar - welcher der drei Gesetzentwürfe sich durchsetzen wird, ist allerdings weiter ungewiss
Eine gesetzliche Regelung der sogenannten Patientenverfügungen ist notwendig. Dieser Meinung waren fast alle Sachverständigen, die zu einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 4. März geladen waren. Gegenteilige Behauptungen - wie sie etwa von der Bundesärztekammer vertreten würden - wiesen sie zurück. Die Experten äußerten sich vor allem zu drei parlamentarischen Initiativen, die dem Bundestag zurzeit vorliegen.
Der Gesetzentwurf einer Gruppe um den SPD-Abgeordneten Joachim Stünker und den FDP-Parlamentarier Michael Kauch ( 16/8442) berücksichtige am besten das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, so Professor Friedhelm Hufen von der Universität Mainz. Das Sterben in Würde und die Beachtung eines in freier Selbstbestimmung geäußerten Patientenwillens gehörten zur Menschenwürde. Ärzte, Betreuer und Gerichte seien folglich an den verfassungsrechtlich geschützten Patientenwillen gebunden.
Ein dem Rechtsausschuss vorliegender Änderungsantrag der SPD-Abgeordneten Marlies Volkmer vereinige die Vorzüge des an der Selbstbestimmung orientierten Entwurfes von Stünker/Kauch und die auf Information und Konsens setzenden Elemente des Entwurfes, der unter Federführung des CSU-Abgeordneten Wolfgang Zöller und des CDU-Parlamentariers Hans Georg Faust ( 16/11495) entstanden ist. Michael de Ridder, Chefarzt der Rettungsstelle des Vivantes Klinikums Am Urban in Berlin, betonte, nicht wenige Patienten, gerade im hohen Alter, würden sich mit einer Patientenverfügung gezielt und bewusst gegen Optionen der Medizin entscheiden und lieber ihren eigenen Abwägungen als fremdem ärztlichen Urteil folgen.
Professor Gian Domenico Borasio, Interdisziplinäres Zentrum für Palliativmedizin aus München, machte darauf aufmerksam, der beste Schutz vor ärztlichen Fehlern am Lebensende bestehe in einer besseren Ausbildung der Ärzte in der Palliativmedizin. Dringend notwendig sei ein Gesetz, das die Palliativmedizin als Pflichtfach in die ärztliche Approbationsordnung einführe.
Borasio schlug weiterhin vor, den Entwurf Zöller/Faust, der seiner Ansicht nach am besten die Bedeutung der Umsetzung der Patientenverfügung zwischen Arzt und Betreuer sichere, mit zwei wichtigen Elementen der beiden anderen Entwürfe zu bereichern: Aus dem Gesetzentwurf des Abgeordneten Wolfgang Bosbach und anderer ( 16/11360) sei die qualifizierte ärztliche Beratung als "Soll-Vorschrift" zu übernehmen, aus dem Stünker/Kauch-Entwurf die Formulierungen zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten.
Hans-Joachim Heßler, Vizepräsident des Oberlandesgerichts München, machte deutlich, in der Patientenverfügung sei ein Freiheitsrecht enthalten. Dieses gebe Schwerstkranken einen Anspruch, in Würde sterben zu dürfen. Die Ärzte dürften den Patienten nicht als Objekt, sondern als Subjekt wahrnehmen, äußerte Professor Volker Lipp, Universität Göttingen. Der Wille des Patienten sei stets uneingeschränkt anzuerkennen. Somit sei er aus verfassungs- wie betreuungsrechtlichen Gründen stets zu beachten, unabhängig von der Form und der Art seines Nachweises.
Nach Ansicht von Professor Wolfram Höfling von der Universität Köln lässt sich ein "gutes Patientenverfügungsgesetz" aus dem Gesetzentwurf Bosbach u.a. einerseits und dem Änderungsantrag Volkmer andererseits formulieren. Er stellte die Frage, ob jede Patientenverfügung eine strikte Verbindlichkeit genieße. Es sollte nicht mehr ernsthaft darum gestritten werden, dass sie schriftlich abgefasst sein müsse, so der Medizinjurist. Darüber hinaus helfe die Beratung den Ratsuchenden, sich mit dem medizinischen Für und Wider auseinanderzusetzen. Der einer vorangegangen Aufklärung nicht selten erhobene Vorwurf der "Überbürokratisierung" des Sterbens gehe fehl. Die medizinischen und pflegerischen Fragen um Leben, Sterben und Tod seien viel zu kompliziert, um ernstlich erwarten zu können, dass jeder von sich aus in der Lage sei, komplizierte und erst dadurch in der kritischen Behandlungssituation anwendbare Erklärungen zu formulieren.
Der Beratungsbedarf für eine kompetent ausgefüllte Patientenverfügung sei "unendlich hoch", stellte Privatdozent Stephan Sahm, Chefarzt an Ketteler-Krankenhaus in Offenbach, fest. Deswegen erscheine es geraten, nur Patientenverfügungen, die formale und inhaltliche Anforderungen erfüllten, eine hohe Verbindlichkeit zukommen zu lassen. Dies rechtfertige sich aus der Pflicht des Staates zum Lebensschutz. Es gelte, Patienten vor womöglich unreflektiert abgefassten Willensbekundungen zu schützen.
Deutliche Kritik am Bosbach-Entwurf übte unter anderem der Berliner Chefarzt der Rettungsstelle de Ridder: Die Vorlage enthalte im Kern eine Entmündigung der Person, die eine Patientenverfügung erstellt habe. Ihr Selbstbestimmungsrecht stehe weitgehend unter Kuratel von Arzt, Betreuer und Notar und erfahre damit eine "hochgradige Einschränkung". Der Experte Borasio zog das Fazit, die letzte Lebensphase würde "massiv verrechtlicht und damit entmenschlicht". Der Gesetzentwurf beraube sehr viele Menschen ihres Grundrechts auf einen friedlichen Tod.