Zielsicher steuert Nino Galetti durch das Labyrinth der Gänge unter dem Reichstagsgebäude. Der promovierte Politikwissenschaftler kennt das weitläufige Berliner Parlamentsviertel, verlaufen würde er sich hier nicht. Vielen Volksvertretern fiel die Orientierung nicht so leicht, als sie im Mai 1991 probehalber die erste Arbeitssitzung im provisorisch hergerichteten Reichstag abhielten: "Zahlreiche Abgeordnete klagten, dass sie sich im Hause verirrt hätten", schreibt Galetti in seiner Doktorarbeit "Der Bundestag als Bauherr in Berlin". Der 36-Jährige erzählt darin von den Bonner Jahren des Parlaments, von der Entscheidung, in die neue Hauptstadt Berlin zu ziehen, und von den vielen Entwürfen, aus denen sich die heutige Form des Parlamentsviertels herauskristallierte.
Für sein Buch wurde er am 4. März von Bundestags- präsident Norbert Lammert mit dem Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages ausgezeichnet. Der Hamburger Staatsrechtler Ulrich Karpen, Vorsitzender der Jury, lobte Galettis Arbeit als "beeindruckende Lektüre zur Geschichtspolitik, die überzeugend und distanziert" sei.
Dabei hat Nino Galetti viele Entscheidungen ganz aus der Nähe erlebt. Als sich die Volksvertreter im Juni 1991 mit knapper Mehrheit entschieden, bald in Berlin zu tagen, war er noch Abiturient. Den Umzug in die neu vereinigte Hauptstadt hielt er damals vor allem für "teuer". Während seines Studiums in Bonn jobbte der architekturbegeisterte Galetti im Büro der schwäbischen Abgeordneten Brigitte Baumeister und bekam bei der Sprecherin der Unionsfraktion in der Baukommission Einblick in die Planungen. Einige Jahre später packte er Kisten, als die Abgeordneten 1999 von Bonn nach Berlin zogen, übergangsweise in Büros ehemaliger DDR-Ministerien. "In den ersten Tagen herrschte Anarchie", erzählt Galetti. "Manche Kollegen mussten tagelang auf dem Boden arbeiten, weil die Möbel noch nicht da waren." Mit dem neuen Parlamentssitz hatte er sich da schon angefreundet: "Es gibt schließlich Schlimmeres für einen 27-Jährigen, als nach Berlin zu ziehen."
Für seine Doktorarbeit hat Nino Galetti die Tätigkeiten des Bundestages als Bauherr von den Anfangszeiten in Bonn bis zum Umzug nach Berlin noch einmal systematisch aufgerollt. Er wühlte sich durch die Protokolle der Bau- und Konzeptkommissionen, die als Bundestagsgremien über das neue Parlamentsviertel und den Umzug diskutierten, sprach mit den wichtigsten Abgeordneten, las stapelweise Zeitungsberichte und Memoiren. Dabei fand Galetti heraus, dass die Bundestagsabgeordneten bei den Berliner Planungen die Erfahrungen aus den Bonner Jahren genutzt hatten. Die Rheinstadt war als "Provisorium" im geteilten Deutschland angelegt, für repräsentative Bauten fehlte jahrzehntelang der politische Wille - und das Geld. Nach Weltkrieg und deutscher Teilung wurde in Bonn erst einmal Bescheidenheit demonstriert. Als 1992 endlich der neue, helle Plenarsaal des Architekten Günter Behnisch eingeweiht wurde, hatten sich die Abgeordneten längst für den Umzug nach Berlin entschieden. Aber die Bonner Erfahrungen halfen dem Bundestag, als Bauherr in der neuen Hauptstadt Fehler wie überlange Planungen, ausufernde Kosten und provisorische Lösungen zu verringern. "In Berlin bekam der Bundestag als Bauherr eine zweite Chance", sagt Galetti.
Doch auch dort gab es Reibereien: Architekt Sir Norman Foster wollte zuerst keine Kuppel, sondern einen riesigen Glasbaldachin mit Solarzellen über den Reichstag spannen. Später schlug er einen zylinderförmigen Dachaufbau mit Aussichtsplattform vor, eine Kuppel lehnte er damals "aus ästhetischen und technischen Gründen" ab. Die gläserne Halbkugel sei deshalb auch der "Hartnäckigkeit des Parlaments als Bauherr" zu verdanken, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert bei der Preiverleihung. Sir Norman Foster sei vom Bundestag "gegen seinen Willen in die Architekturgeschichte gehoben worden".