Wehrdienst
Sten Nadolny und Jens Sparschuh erinnern sich
Gedient? Wenn ja, wo? Wie lange? Welche Einheit?" Generationen von Männern - und in Zukunft verstärkt auch Frauen - kennen diesen Gesprächseinstieg. Was folgt, ist meist eine Reihung der immer gleichen Geschichten. Geschichten über öden Kasernenalltag, Schlafentzug im Manöver, brüllende Unteroffiziere, miese Verpflegung, stundelanges Waffenreinigen, Saufgelage nach Dienstschluss. Und dennoch schleicht sich nicht selten eine augenzwinkernde Nostalgie ein: "Weißt Du noch, damals beim Barras?"
Auch für Sten Nadolny und Jens Sparschuh war es dieser Gesprächseinstieg beim gemeinsamen Wandern in der Sächsischen Schweiz, der den Ausgangspunkt für ihr Buchprojekt "Putz- und Flickstunde" bildete. So trafen sich die beiden Schriftsteller zu langen Gesprächen, um ihre militärische Vergangenheit aufzubereiten. Auf rund 200 Seiten ist dieser Dialog nun nachzulesen. Dies klingt zunächst nicht sonderlich spannend. Ist es aber doch - denn hier treffen zwei Veteranen des Kalten Krieges aufeinander.
Nadolny diente Anfang der 1960er Jahre in der noch jungen Bundeswehr, Sparschuh rückte 1983 als Reservist in die Nationale Volksarmee der DDR ein. Der eine als Fernmelder oder "Tastenficker", wie Nadolny den deutschen Bund-Slang zitiert, der andere als Pionier -"dumm, stark, wasserdicht".
Im Kriegsfall hätten sie aufeinander schießen sollen. Gelegenheiten hätte es beinahe gegeben: "Wir mussten plötzlich auf dem Exerzierplatz antreten, man wollte uns verkünden, die Lage sei Ernst", erinnert sich Nadolny. "Ich hielt das zunächst für eine Art geistig-moralischen Übungsalarm, es war aber die Kubakrise." Doch der Ernstfall blieb aus. Und deshalb können Nadolny und Sparschuh unbehelligt jenes launige Gespräch führen, das zu ihrer Dienstzeit noch einem Fall von Landesverrat gleichgekommen wäre: "Bei uns gab es für Kontaktaufnahme mit dem Feind fünf Jahre mindestens, wenn nicht noch mehr", versichert Sparschuh seinem Gegenüber.
Neben all den vergnüglichen, absurden und nachdenklich stimmenden Geschichten, sind es vor allem zwei Botschaften, die Nadolny und Sparschuh vermitteln. Die beiden Armeen tickten in den unterschiedlichen Systemen bis zu einem bestimmten Punkt gleich. Wenn die Mauer eines nicht zu trennen vermochte, dann waren es gewisse deutsche Militärtraditionen - und sei es nur das Vokabular. Hätten die beiden Schriftsteller ihre Väter und Großväter am Erinnerungs-Stell-Dich-Ein beteiligen können, dann hätten die wohl ähnliche Geschichten aus Kaisers und Führers Zeiten zum Besten gegeben. Aber Nadolny und Sparschuh können statt dessen auf die Werke älterer Kollegen - etwa "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque und "08/15" von Hans Hellmut Kirst - zurückgreifen.
Eines trennte die Truppen in Ost und West dann aber doch. Während in der NVA der Geist der sozialistischen Unfreiheit wehte, bemühte man sich in der Bundesrepublik letztlich erfolgreich, die Armee auf die Prinzipien einer freiheitlichen Demokratie einzuschwören.
Vielleicht findet sich hier der Grund dafür, dass Bundeswehrsoldaten ihren Vorgesetzten bis heute ihre Stube als "gereinigt und gelüftet" melden müssen. In sozialistischen Kasernen hingegen, so erzählt Sparschuh, wurde nie gelüftet: "All das braute sich mit der Zeit zusammen zu dieser einzigartigen NVA-Duftnote: der Geruch von Schweißfüßen, die Nachtausdünstungen, der Alkohol und das alles."
Funker Nadolny und Pionier Sparschuh haben ihre Erinnerungsstuben zumindest vorbildlich gereinigt und gelüftet. In diesem Sinne: Rührt Euch!
Putz- und Flickstunde. Zwei Kalte Krieger erinnern sich.
Piper Verlag, München 2009; 209 S., 16,95 ¤