KINDERSCHUTZGESETZ
Die rheinland-pfälzische Familienministerin Malu Dreyer kritisiert die Bundesregierung
Jedes Jahr gibt es dramatische Fälle von Kindesmisshandlung. Jetzt will ein Gesetzentwurf der Bundesregierung den Kinderschutz verbessern. Können politische Entscheidungen an der Problematik etwas ändern?
Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die den Kinderschutz weiter fördern. Darum ist es erfreulich, dass die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode bereits zwei Gesetzesinitiativen vorgelegt hat und eigentlich alle Bundesländer eigene Vorhaben verfolgen. Auch ich sehe einen Handlungsbedarf auf Bundesebene. Dem jetzigen Gesetzesentwurf stehe ich allerdings sehr kritisch gegenüber.
Was genau bemängeln Sie?
Der Entwurf der Bundesfamilienministerin regelt dringend anstehende Aufgaben nicht und begnügt sich mit Einzelaspekten, die in der Fachwelt fast durchgängig abgelehnt werden. Viele Verbesserungsvorschläge wurden nicht aufgenommen. Gerade die Vergütung für die Geburtshilfekliniken muss gut geregelt werden.
In diesen Kliniken erhalten Familien erhebliche Unterstützung. Eine Leistung, die bisher finanziell nicht honoriert wird.
Wir haben ein Modellprojekt mit anderen Bundesländern, das auch durch den Bund gefördert wird. Dort werden in der Klinik die schwangeren Frauen und natürlich auch die Väter betreut. Es wird eingeschätzt, ob es eine Risikofamilie ist oder nicht. Diese Leistungen, die die Kliniken zusätzlich erbringen, werden nicht vergütet. Das ist einfach ein Mangel. Wenn wir heute Kinderschutz von Beginn an möchten, muss das geklärt werden.
In Rheinland-Pfalz wurde vor gut einem Jahr ein Kinderschutzgesetz mit sehr weitreichenden Regeln vom Landesparlament einstimmig verabschiedet. Wurden Ihre Erfahrungen von der Bundesregierung berücksichtigt?
Wir haben bundesweit das fortschrittlichste Gesetz gemacht. Wir haben nicht nur die Vorsorgeuntersuchungen geregelt, sondern auch die Vernetzung der Jugend- mit der Gesundheitshilfe plus die Entwicklung früher Hilfen. Dafür nimmt das Land zusätzlich Geld in die Hand. Die Kommunen erhalten jährlich zwei Millionen Euro. Wir haben bei unserem Gesetz von den Erfahrungen aus Modellprojekten profitiert, die wir gemeinsam mit dem Bund durchgeführt haben. Ich bedauere es, dass unsere Einwände zum Bundeskinderschutzgesetz, die auf diesen Erfahrungen basieren, bislang nicht gehört wurden. Obwohl unsere Kritik von der Mehrzahl der jetzt vorgelegten Stellungnahmen der Verbände geteilt wird.
Die Bundesregierung will Kinderärzte in Verdachtsfällen von ihrer Schweigepflicht entbinden. Sie sind noch einen Schritt weiter gegangen und wollen Kinder, die bisher nicht untersucht worden sind, zu Früherkennungsuntersuchungen in Praxen holen. Gehen Eltern nicht regelmäßig dorthin, bekommen sie Besuch vom Gesundheits- oder Jugendamt. Ist das nicht ein erheblicher Eingriff in die Privatsphäre von Familien?
Das sehe ich nicht so. Es gibt eine große Diskussion beim Thema Datenschutz und Eingriffsbefugnisse staatlicher Institutionen. Dennoch denke ich, dass wir einen guten Weg gewählt haben. Zunächst ist die öffentliche Gesundheitsbehörde zuständig und erst danach wird geschaut, ob das Jugendamt etwas tun muss. Das greift nicht sanktionierend ein, sondern berät und unterstützt Eltern. Ich halte die Regelung für angemessen. Allerdings ist unser Kinderschutzgesetz gerade beim Landesverfassungsgericht, weil es Eltern gibt, die das etwas anders sehen.
Ihr Ziel ist eine hundertprozentige Beteiligung an den Untersuchungen, um so auch Fälle von Misshandlung und Vernachlässigung zu erkennen. Können Sie nach einem Jahr ein erstes Fazit ziehen?
An diesem Punkt können wir noch keine seriöse Zwischenbilanz bieten. Das Einladungswesen läuft umfangreich, auch in anderen Bundesländern. Wichtig ist mir, dass es vor allem der Förderung der Kindesgesundheit dient. Wir wollen, dass Kinder einen umfassenden Gesundheitsschutz haben.
Müssen die Behörden für eine solche Vielzahl von Aufgaben nicht besser ausgestattet sein?
Jugendämter gehören gestärkt, um die Aufgaben bewältigen zu können. Wichtig wäre mir zudem, dass in das Gesetz der Bundesregierung eine Qualitätssicherung für Jugendämter eingebaut wird. Wir müssen aus den schrecklichen Fällen, die in Deutschland geschehen sind, lernen. Da muss sehr strukturiert in den Behörden geschaut werden, wie der Kinderschutz weiter verbessert werden kann.
Ein allgemeiner Streitpunkt zwischen SPD und Union ist das Thema Kinderrechte und Grundgesetz. Kann durch eine Aufnahme in die Verfassung irgendein Fall von Misshandlung verhindert werden?
Das ist aus meiner Sicht die falsche Diskussion. In die Verfassung sollten die Kinderrechte aufgenommen werden, weil Kinder originär eigene und nicht nur abgeleitete Rechte haben. Das sollte man klarstellen.
Das Interview führte Marco Pecht
Malu Dreyer (SPD) ist seit März 2002
Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen in Rheinland-Pfalz.