GRUNDGESETZ
Bei den Verfassungsberatungen waren Amt und Wahl des Präsidenten nicht selbstverständlich
Der Bundespräsident wird", so steht es in Artikel 54 des Grundgesetzes, "von der Bundesversammlung gewählt". Warum aber hat die Bundesrepublik überhaupt einen doch weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkten Bundespräsidenten? Und weshalb wird er durch eine nur zu diesem Zweck einzuberufende Versammlung gewählt statt wie der Bundeskanzler vom Bundestag oder - wie bisweilen gefordert - direkt vom Volk?
Was heute selbstverständlich scheinen mag, war vor 60 Jahren bei den Beratungen über das Grundgesetz so unumstritten nicht. Die Sehnsucht nach einem "Ersatzkaiser", der nach dem Sturz der Monarchie mit dem 1919 geschaffenen Amt des Reichspräsidenten noch Rechnung getragen worden war, schien nach den schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik diskreditiert. Stattdessen wurde bei den Beratungen über "Richtlinien für ein Grundgesetz" im August 1948 auf der Insel Herrenchiemsee erwogen, angesichts des "provisorischen Charakters der zu schaffenden staatlichen Ordnung" die Aufgaben des Staatsoberhauptes einem "Bundespräsidium" zu übertragen.
Zwar machte sich in der Expertenrunde nur eine Minderheit für ein solches Dreierkollegium aus Bundestagspräsident, Bundesratspräsident und Bundeskanzler mit regelmäßig wechselndem Vorsitz stark, doch griff die SPD den Vorschlag bei der Ausarbeitung der Verfassung im Parlamentarischen Rat zunächst auf. Aus ihren Reihen kam auch der Gedanke, auf eine solche Institution ganz zu verzichten und "für das Provisorium des Grundgesetzes" dem Bundestagspräsidenten die Funktionen des Staatsoberhauptes zu übertragen - so wie 40 Jahre später ja auch in der Endphase der DDR die Volkskammerpräsidenten als Staatsoberhaupt fungieren sollte.
Der Parlamentarische Rat indes entschied sich gleichwohl dafür, die Staatsspitze mit einer eigens zu wählenden Persönlichkeit zu besetzen. Die CDU argumentierte, dass "ein gut funktionierender Bundesstaat grundsätzlich auch eines Bundespräsidenten" zur Repräsentation nach innen und außen bedürfe; auch könne ein solcher Präsident "der moralische Repräsentant der Volkseinheit" sein. Und für die FDP warnte Theodor Heuss vor dem "Provisorium eines Direktoriums".
Angesichts der Lehren aus Weimar wurde das Bundespräsidentenamt indes mit deutlich geringeren Kompetenzen ausgestattet als zuvor der Reichspräsident. Aus denselben Gründen wird der Bundespräsident auch nicht direkt vom Volk gewählt, was im Parlamentarischen Rat einige FDP-Vertreter zur Diskussion stellten. Eine Direktwahl hätte die Position des Staatsoberhauptes gegenüber der Regierung erheblich gestärkt, doch sollte ja gerade das Weimarer Nebeneinander von Präsidialsystem und parlamentarischer Demokratie vermieden werden. Hinzu kamen die bitteren Erfahrungen der ersten Republik mit den Demagogie-Potenzialen von Volksabstimmungen, weshalb eine Direktwahl schließlich von allen Fraktionen abgelehnt wurde.
Das Staatsoberhaupt sollte sich aber gleichwohl auf ein "breites Fundament" stützen können. Wenn schon kein "plebiszitärer Bundespräsident" erwünscht sei, argumentierte im Parlamentarischen Rat der FDP-Politiker Thomas Dehler, solle der erste Mann im Staate doch "vom Vertrauen einer größeren Zahl von Vertretern des Volkes getragen werden".
Schon auf Herrenchiemsee war der Vorschlag gekommen, den Bundespräsidenten durch Bundestag und Länderkammer als den beiden Gesetzgebungsorganen wählen zu lassen. Unterstützung fand dies im Parlamentarischen Rat bei Unions-Vertretern, die die Länderkammer an der Präsidentenwahl beteiligt sehen wollten. Das aber stieß bei Sozial- und Freidemokraten auf Ablehnung mit der Begründung, es sei "eines freien Staates unwürdig", dass die Wähler des Staatsoberhauptes "nach Instruktionen ihrer Landesregierungen handeln". Von Wählern, die an Weisungen gebunden seien, könne man nicht erwarten, "dass sie die Stimme des Volkes wiedergeben".
Schließlich kam es zur Idee einer "Bundesversammlung" von gewählten Vertretern des Bundes und der Länder - eine "persönliche Erfindung" von Theodor Heuss, der dann von diesem Gremium als erster ins höchste Staatsamt gewählt werden sollte. Dehler brachte dann für die FDP im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates den auch von der SPD befürworteten Vorschlag ein, "dass ein Nationalkonvent, eine Bundesversammlung zusammentritt, dass also ein besonderes Wahlgremium den Bundespräsidenten wählt".
Dem Bundesrat dagegen wurde die Rolle eines Zeugen bei der Vereidigung des gewählten Staatsoberhauptes zugewiesen. Deshalb leistet auch jeder Bundespräsident seinen Amtseid, wie es Artikel 56 des Grundgesetzes vorschreibt, "vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates".