Indien
Der überraschend klare Sieg der Kongress-Partei könnte ein Schub für weitere Reformen und neues Wachstum sein
Der Ausgang der vierwöchigen Parlamentswahlen in Indien hat wieder einmal bestätigt: Die Wähler auf dem Subkontinent sind unberechenbar. Nicht einmal die siegreiche Kongress-Partei hatte in ihren kühnsten Träumen gehofft, dass sie ein so klares Mandat für die "Lok Sabha" bekommen wird. Tatsächlich verfehlte die von der Kongress-Partei geführte "Vereinigte Progressive Allianz" (UPA) mit 261 von insgesamt 543 Sitzen nur knapp eine absolute Mehrheit. Die Kongress-Partei allein gewann 206 Sitze. Das ist nicht nur das beste Ergebnis der Partei seit mehr als 25 Jahren; seit dem früheren Premierminister Jawaharlal Nehru ist Singh auch der erste Regierungschef, der eine zweite Amtszeit antritt. Der zweitstärkste politische Block, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der hindu-nationalistischen BJP, kam zusammen auf nur 159 Sitze.
Im Nachhinein haben natürlich alle eine Erklärung dafür, warum die Partei von Manmohan Singh so erfolgreich war. Die politischen Analysten nennen in erster Linie drei Gründe: Der zuvor noch als "schwach" und uncharismatisch geschmähte Singh überzeugte die Wähler als grundanständiger, korruptionsfreier und charakterfester Politiker. Mit einem Schuldenerlass für Bauern und einer saftigen Gehaltserhöhung für die Beamten konnte er zudem die typische Kongress-Klientel an sich binden. Aber der Star dieser Wahlen war zweifellos Rahul Gandhi, der Sohn der mächtigen Kongress-Chefin Sonia. Der 39-jährige Erbe der Gandhi-Dynastie symbolisiert nicht nur das neue, junge Indien. Er hat auch frische Ideen in die altehrwürdige Kongress-Partei gebracht.
Außerdem haben die Gegner es der Kongress-Partei leicht gemacht. Die größte Oppositionspartei BJP schickte mit Lal Krishna Advani einen 82-jährigen Spitzenkandidaten ins Rennen, der im Wahlkampf allzu sehr auf die Vergangenheit fixiert war. Die Chefin der BSP hingegen, die Führerin der sogenannten Unberührbaren, Mayawati Kumari, hat ihre "Neureichen-Allüren" in den letzten Jahren wohl etwas überzogen. Es scheint ihre Klientel nicht überzeugt zu haben, dass die Ministerpräsidentin des Bundesstaates Uttar Pradesh überall im Land Statuen von sich selbst errichten ließ, ohne dass die Menschen selbst eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sehen konnten. Die als heiße Kandidatin für das Premierministeramt gehandelte Mayawati wird nach der verheerenden Niederlage ihrer Partei in den nächsten fünf Jahren kleinere Brötchen backen müssen.
Dasselbe gilt für die Kommunisten von der CPM, die in den vergangenen Jahren als Koalitionspartner dem Kongress viele Steine in den Weg gelegt haben und auf die Singh nun dank seines guten Ergebnisses verzichten kann. Vor allem die indische Wirtschaft hofft, dass der Kongress ohne die bremsende CPM das Reformtempo wieder beschleunigen wird. In den Bereichen Infrastruktur und Bildung sind erhebliche Investitionen nötig, wenn Indien auf Dauer wieder Wachsrumsraten von acht bis neun Prozent erreichen will.
Singh und 18 seiner Minister wurden bereits am 22. Mai vereidigt, auch das Parlament hat sich schon konstituiert. Die wichtigsten Ministerien wurden an führende Politiker der Kongress-Partei vergeben. Am 28. Mai legten im Präsidentenpalast von Neu Delhi 14 weitere Minister und 45 Staatsminister den Amtseid ab. Damit ist die Koalitionsregierung der Vereinten Fortschrittsallianz (UPA) komplett.
Die vergebenen Posten zeigen, dass Singh auf Kontinuität setzt. Schwergewichte der Partei wie Innenminister P. Chidambaram, Finanzminister Pranab Mukherjee und Verteidigungsminister A.K. Antony bleiben im Amt. Mit S.M. Krishna wird ein weiterer Veteran der Kongress-Partei Außenminister.
Rahul Gandhi wird im neuen Kabinett kein Ministeramt übernehmen. Er bleibt Generalsekretär der Kongress-Partei. Damit fehlt es weiterhin an jungen Gesichtern in der Regierung. Doch so oder so: Das Ergebnis der Wahlen verspricht für die nächsten fünf Jahre ein stabiles und berechenbares Indien. Und das ist im unruhigen Südasien allemal eine gute Nachricht.