IRAN
Bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni stellt sich Machmud Ahmadinedschad zur Wiederwahl
Wenn heute vom Iran die Rede ist, dann vor allem von einen Mann: Machmud Ahmadinedschad. Der Präsident der Islamischen Republik hat in den vergangenen fünf Jahren den Westen provoziert wie kein anderer. Er drohte Israel, äußerte sich antisemitisch, verhöhnte die USA und provozierte immer wieder mit dreisten Stellungnahmen. Ahmadinedschad schaffte es spielend leicht in die Schlagzeilen zu kommen - und mit ihm Iran. Am 12. Juni stellt er sich der Wiederwahl. Sollte Achmadinedschad verlieren, ist der Westen ein Ärgernis los. Der Staat aber, den er bisher repräsentiert, wird nicht verschwinden. Er wird auf absehbare Zeit weiter bestehen, trotz heftiger innen- wie außenpolitischer Krisen, von denen Iran betroffen ist.
Als der Schah 1979 aus Teheran verjagt wurde, glaubte kaum ein Beobachter, dass das dieses neue Staatsgebilde lange überleben würde. Die Islamische Republik Iran hat sich jedoch in den 30 Jahren ihrer Existenz als zäh und äußerst überlebensfähig erwiesen. Ahmadinedschad wird in dieser langen Geschichte eine Episode bleiben - nicht nur aus zeitlichen, sondern vor allem aus institutionellen Gründen. Die begründete Aufregung um ihn hat nämlich vergessen lassen, dass er im iranischen Institutionengefüge nicht besonders mächtig ist. Die Verfassung der Islamischen Republik ist rund um das Prinzip der Velayat e Faqhi organisiert, der Herrschaft der Rechtsgelehrten. Alle Organe des Staates sind ihr unterworfen. Der oberste Führer ist Ali Chamenei. Sein Amt ist für den Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini geschaffen geworden und mit umfassender Machtfülle ausgestattet. Ali Chamenei ist heute in allen wesentlichen Fragen bestimmend, die Grundlinien iranischer Außen- und Sicherheitspolitik liegen in seinen Händen. Ob sich Iran gegenüber den USA öffnet oder nicht, ob es eine Atombombe bauen will oder nicht, ob es gegenüber Israel eine aggressive Politik verfolgt oder nicht - die entscheidenden Antworten gibt der Oberste Führer, was auch immer Präsident Achmadinedschad sagen oder denken mag. Der Oberste Führer unterhält einen riesigen Apparat, der ihm in allen diesen Fragen zuarbeitet. Er kontrolliert die Pasdaran, die eigentliche Armee des Landes. Auch innenpolitisch ist die Macht des Führers unbeschränkt. Es ist zwar Aufgabe des Präsidenten, die Regierung zu bestellen und das Land zu regieren, doch kann der Oberste Führer mit seiner Autorität jederzeit intervenieren. Ein Wink von ihm genügt, und die Politik der Regierung ändert sich.
Velayat e Faqhi ist stärker als alle Elemente repräsentativer Demokratie, die es in der Islamischen Republik Iran gibt. Der Wächterrat, mit Rechtsgelehrten besetzt, bestimmt etwa darüber, wer für das Parlament kandidieren darf und wer nicht. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2004 beispielsweise schloss der Wächterrat fast die Hälfte der 8.200 Kandidaten aus. Darunter waren 80 der insgesamt 290 Parlamentarier. Dagegen gab es heftige Proteste und der Wächterrat machte einige Zugeständnisse. Die meisten "unliebsamen" Kandidaten blieben aber ausgeschlossen.
Dennoch: Im Iran wird gewählt, wenn auch unter besonderen Bedingungen. Ein Mann wie Ahmadinedschad muss sich seinen Konkurrenten stellen, er muss Wähler für sich gewinnen. Natürlich wurden die Wahlen als er 2005 zum ersten Mal ins Amt kam, vermutlich massiv zu seinen Gunsten manipuliert. Doch sein deutlicher Wahlsieg von 62 Prozent lässt sich nicht mit Wahlfälschung alleine erklären. Ahmadinedschad hat viele Millionen Iraner überzeugt. Das gelang ihm nicht nur, aber auch mit seinem politischen Programm. Anders gesagt: Die Menschen im Iran haben eine Wahl. Sie können sich zwischen Kandidaten entscheiden. Sie können Denkzettel verpassen, und sie können ihre Politiker an der Urne belohnen. Und Menschen sind nicht berechenbar, auch nicht für absolute Herrscher. 1996 wählte eine überwältigende Mehrheit der Iraner den Außenseiter und Reformer Mohammed Chatami zum Präsidenten. Sie wählten ihn ein zweites Mal im Jahr 2001. Chatamis Sieg war eine große Überraschung. Er bedeutete eine große Herausforderung für das System. Chatami selbst ist kein Revolutionär, ganz im Gegenteil. Er ist ein Sohn der Revolution und ein gelehrter Ayatollah. Ein Vertreter des Establishments durch und durch. Doch wählten die Menschen ihn, weil er Demokratie, Öffnung, und Integration Irans in die internationale Gemeinschaft versprach. Die Hoffung, die sich in ihm ausdrückte, hatte explosiven Charakter: Das System antwortete mit einer Kampagne gegen alle Reformvorhaben Chatamis. Die sogenannten Machtministerien, Justiz- und Polizei, gingen gegen die Reformer vor. Chatami ließ es geschehen.
Die politischen Demokratisierungskräfte im Iran sind heute geschwächt. Das zeigt sich auch an beiden Gegenkandidaten von Ahmadinedschad, den Reformern Mir Hussein Mussavi und Mehdi Karroubi. Mussavi ist alles andere als ein Charismatiker, der die Massen mobilisieren kann; Karroubi ist eine etwas verbrauchte Figur, deren Reformeifer bezweifelt werden darf. Schwer vorzustellen, dass sie Ahmadinedschad besiegen könnten.
Trotzdem ist das Potenzial zu Veränderung groß - und es gibt Institutionen, in denen es sich entfalten könnte. Auch der Oberste Führer muss über ein Maß an demokratischer Legitimität verfügen. Chameini kann Parlamentarier zwar ausschließen lassen, aber das Parlament abschaffen könnte er wohl nicht - oder nur gegen einen zu hohen Preis. Die absolute Macht Chameinis hat Grenzen. Sie können hinausgeschoben werden. Am 12. Juni haben die Iraner Gelegenheit dazu.