Strafrecht
Der Bundestag beschließt einen Strafrabatt für Kronzeugen und geständige Angeklagte
Die Große Koalition hat in der Rechtspolitik Geschichte geschrieben", sagte SPD-Mann Joachim Stünker in der Bundestagsdebatte am 28. Mai stolz. An diesem Tag beschloss das Parlament in einem Parforce-Ritt gleich mehrere Gesetze auf einmal. So wurde eine Kronzeugenregelung eingeführt, der Deal im Strafverfahren legalisiert, Opfer von Justizirrtümern erhalten mehr Haftentschädigung und für U-Häftlinge wurde der Rechtsschutz verbessert.
Bis 1999 galt in Deutschland eine spezielle Kronzeugenregelung für Terroristen und Mafiosi. Unter Rot-Grün wurde sie nicht verlängert. Doch nach langen Diskussionen hat der Bundestag als Ersatz jetzt einen Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/6268) beschlossen, der nicht mehr auf spezielle Delikte beschränkt ist, sondern für alle Taten der schweren und mittleren Kriminalität gilt. Zwar konnten Kriminelle, die andere Kriminelle verpfeifen, schon bisher milder bestraft werden - doch nur innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens. Die neue Kronzeugenregelung, die in Paragraf 46b des Strafgesetzbuchs verankert wird, erlaubt nun aber auch Strafen, die unterhalb dieses Rahmens bleiben.
Relevant sei dies vor allem bei Mördern, sagte der CDU-Rechtsexperte Siegfried Kauder, weil hier eigentlich zwingend lebenslange Haft vorgesehen sei. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) betonte, dass es aber auch für Mörder "keine übermäßigen Milderungen" geben werde. Auch als Kronzeugen müssten sie zumindest für zehn Jahre ins Gefängnis.
Die Opposition lehnte das Gesetz als "unwürdigen Handel mit der Gerechtigkeit" geschlossen ab. Kritisiert wurde vor allem, dass auch die Aufklärungshilfe bei Taten von ganz anderer Qualität belohnt werden soll. "Es darf nicht sein, dass der Vergewaltiger milder bestraft wird, weil er Tipps zur Aufklärung eines Subventionsbetrugs gibt", sagte Jörg van Essen (FDP). Die Regelung bevorzuge Täter, die "tief im kriminellen Milieu verwurzelt" sind, so Wolfgang Neskovic (Die Linke), weil diese mehr Informationen anzubieten hätten als Ersttäter. Joachim Stünker (SPD) betonte, die Kronzeugenregelung soll nur in wenigen Fällen zur Anwendung kommen.
Längst ein Massenphänomen ist dagegen die "Verständigung im Strafverfahren". Hier verspricht das Gericht einem Angeklagten eine milde Strafe, wenn er eine eigene Tat gesteht und so den Prozess verkürzt. Der Bundesgerichtshof hatte dies bisher akzeptiert, wenn die Absprache transparent ist und die Strafe schuldangemessen bleibt.
Allerdings hat er den Bundestag aufgefordert, endlich eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Diesem Auftrag ist der Bundestag nun durch mehrere Ergänzungen der Strafprozessordnung nachgekommen. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/12310) wurde dabei im Wesentlichen das bisherige Richterrecht übernommen.
Harte Kritik kam hier nur von der Linken. Die Zulässigkeit von Absprachen mit dem Gericht führte zu einer "Zwei-Klassen-Justiz", sagte der Abgeordnete Wolfgang Neskovic. Deals gebe es vor allem bei komplizierten Wirtschaftsdelikten, während ein Bankraub eher leicht aufzuklären und deshalb selten Gegenstand eines Deals sei. Justizministerin Zypries hielt dagegen: "Eine solche Absprache ist kein Privileg für Weiße-Kragen-Täter". SPD-Vertreter Stünker erklärte, die verstärkte Transparenz von Deals verhindere deren Missbrauch. Auch FDP und Grüne hielten die Kritik der Linken für überzogen und stimmten mit der Regierungskoalition.
Verbesserungen für die Opfer von Justizirrtümern bringt ein drittes Gesetz. Die Haftentschädigung für Menschen, die zu Unrecht in Straf- oder U-Haft saßen, wird deutlich erhöht: von 11 auf 25 Euro pro Tag. Angesichts des schweren Grundrechtseingriffs, den eine fälschlicherweise erlittene Freiheitsentziehung bedeutet, ist das immer noch wenig.
"Deutschland ist mit 25 Euro Entschädigung pro Tag immer noch Schlusslicht in Europa", sagte Jerzy Montag von den Grünen. Der Entschädigungssatz war zuletzt 1988 erhöht worden. Jetzt stimmte der Bundestag einem Gesetzentwurf des Bundesrats ( 16/12321) zu, auf den man gewartet hatte, weil die Länder auch den Großteil der Entschädigungen zu zahlen haben.
Abgelehnt wurden Gesetzentwürfe von der Fraktionen von FDP ( 16/10614) und Grünen ( 16/11434), die höhere Entschädigungssätze vorgesehen hatten. Für die SPD versprach der Abgeordnete Matthias Miersch, dass man das Thema bald wieder aufgreifen werde.
Das vierte Gesetz betraf die Untersuchungshaft. Zwar sind seit der Föderalismusreform 2006 die Länder für die Ausgestaltung der U-Haft zuständig. Dagegen regelt der Bund weiterhin die Voraussetzungen der U-Haft und den gerichtlichen Rechtsschutz. Konkret wurde jetzt bestimmt, dass arme U-Häftlinge schon vom ersten Tag an Anspruch auf einen Pflichtverteidiger haben. Bisher galt dies erst ab dem dritten Monat.
Den Bundesländern, die die Kosten zu tragen haben, signalisierten die Rechts- politiker im Bundestag, dass eine gute anwaltliche Vertretung die Dauer der U-Haft reduziere und deshalb unter dem Strich eher Kosten einspare. Außerdem wurde das Akteneinsichtsrecht während der U-Haft ausgeweitet, was ebenfalls den Rechtsschutz verbessert. Anlass des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ( 16/11644) war, dass einige Regelungen aus der weggefallenen U-Haft-Vollzugsanordnung in die Straf- prozessordnung übernommen werden mussten.