GRUNDGESETZ
Der Bundestag billigt die geplante Schuldenbremse. Nun muss der Bundesrat entscheiden
Schon die Verabschiedung der ersten Föderalismusreform im Jahr 2006, unter Rot-Grün noch gescheitert, hat vielen als eine Art Existenzberechtigungsnachweis der Großen Koalition gegolten: Wer, wenn nicht ein Regierungsbündnis von Union und SPD, sollte angesichts der oft gegensätzlichen Positionen von Bund und Ländern die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die angestrebten Grundgesetzänderungen sichern können, hieß es damals. Tatsächlich brachte Schwarz-Rot das Paket über die parlamentarischen Hürden, und eine weitere Föderalismuskommission machte sich an Reformstufe zwei: Nach den Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern sollten nun auch ihre Finanzbeziehungen neu geordnet werden.
Am 29. Mai nun, zweieinhalb Jahre nach der Einsetzung dieser Föderalismuskommission II, entschied der Bundestag über das Werk, und auch dieses Mal riss die Koalition trotz nahendem Wahlkampf nicht die Latte: Mindestens 408 Abgeordnete mussten für die auch im eigenen Lager umstrittenen Grundgesetzänderungen votieren, 418 Ja-Stimmen wurden es. 20 Koalitionsabgeordnete votierten mit Nein - 19 SPD-Abgeordnete sowie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der die Grundgesetzänderungen "mit ihren konkreten Euro-Beträgen, Berechnungsverfahren und Jahreszahlen" in ihrem Umfang und ihren "detaillierten Ausführungsbestimmungen" als einer Verfassung unangemessen kritisierte.
Als Kernstück der in zwei Gesetzentwürfen ( 16/12410, 16/12400) vorgelegten Reform soll im Grundgesetz eine "Schuldenbremse" verankert werden. Während den Ländern keine strukturelle Verschuldung möglich sein soll, wird dem Bund ein strukturelles Defizit von 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zugestanden. Für den Bund sollen die neuen Regeln ab 2016 vollständig gelten, für die Länder ab 2020. Fünf Länder sollen zudem von 2011 bis 2019 Hilfen in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr zum Altschuldenabbau erhalten: 300 Millionen für Bremen, 260 Millionen für das Saarland und je 80 Millionen für Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
Neben Lammerts schon vor Wochen geäußerten Kritik an den "ummaßstäblichen" Verfassungsänderungen sorgten zuletzt die Sozialdemokraten für Wirbel, deren Präsidium sich hinter einen Vorstoß von Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) stellte, Ländern und Kommunen eine Verschuldung bis zu 0,15 Prozent des BIP zuzubilligen. Während Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn, der das Reformpaket in der Debatte erneut als untauglich verwarf, Platzecks Vorgehen als "billige Nummer" kritisierte, gaben sich SPD-Fraktionschef Peter Struck und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) gelassen. Struck, einer der Vorsitzenden der Föderalismuskommission II, bekräftigte, seine Fraktion werde es mittragen, wenn der Bundesrat an diesem Punkt Änderungen vornehmen sollte. Und Steinbrück verwies darauf, dass der Bund in den Beratungen den Ländern die 0,15 Prozent angeboten habe, was diese aber nicht in Anspruch genommen hätten. Er habe nichts dagegen, wenn die Länder im Bundesrat diese Position änderten.
Etwas dagegen hat indes die FDP, die sich bei der Abstimmung fast geschlossen enthielt und deren Stimmen für die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat benötigt werden. Den in der Föderalismuskommission gefundenen Kompromiss habe man als "Schritt in die richtige Richtung" mitgetragen, sagte der liberale Parlamentarier Volker Wissing. Eine dauerhafte strukturelle Neuverschuldung der Länder komme aber für die FDP "nicht in Betracht". Und die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann warnte mit Blick auf die vorgesehenen Altschuldenhilfen, mit einer Aufweichung der "strengen Schuldenbegrenzung" würden "auch andere Vereinbarungen hinfällig".
Unbeeindruckt zeigte sich Struck in der Debatte von einer möglichen Verfassungsklage gegen die Reform wegen Verletzung des Budgetrechts der Landesparlamente. Wenn die Kieler Landtagsfraktionen gegen die Schuldenbremse für die Länder klagen wollten, "sollen sie klagen", sagte Struck. Er halte dies für aussichtslos. Für Die Linke, die wie fast alle Grünen mit Nein stimmte, nannte es Fraktionsvize Bodo Ramelow ein "politisches Armutszeugnis", wenn Abgeordnete "wider besseren Wissens" falsche Entscheidungen treffen und dann die Korrektur den Verfassungsrichtern überließen.
Zunächst freilich hat - voraussichtlich am 12. Juni - der Bundesrat über die Schuldenbremse zu befinden. Deren Verankerung im Grundgesetz nannte Steinbrück eine "Entscheidung von historischer Tragweite". 2008 hätten die Zinsausgaben bereits 15 Prozent des Bundeshaushaltes ausgemacht, rechnete er vor; mit den kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen aufgrund der Wirtschaftskrise werde sich dies absehbar noch verschlechtern. "Wir sind in einem Schraubstock der Verschuldung", warnte Steinbrück und forderte ein Signal, "dass wir es ernst meinen mit der Konsolidierung, wenn wir aus dieser Wirtschaftskrise heraus sind".