LIBANON
Der künftige Premierminister Saad Hariri will die radikal-islamische Hisbollah erneut in eine Regierung der nationalen Einheit einbinden. Erste Zugeständnisse gibt es bereits
Auf der 14. und möglicherweise letzten Nahost-Reise von Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor der Bundestagswahl durfte, neben Israel und Syrien, auch der Libanon als Station nicht fehlen. Hatte doch am 7. Juni gerade die von Saad Hariri angeführte Regierungskoalition erneut die Parlamentswahl gewonnen - ein für Europa und die USA willkommener Sieg gegen das Oppositionsbündnis der schiitischen Hisbollah und der christlichen Freien Patriotischen Bewegung von Ex-General Michel Aoun. "Viel Erfolg", wünschte Steinmeier dementsprechend dem neuen designierten libanesischen Premierminister Saad Hariri bei der Kabinettsbildung und der nationalen Aussöhnung. Er hoffe, dass man die Nahost-Friedensinitiative von US-Präsident Barack Obama, die die Gründung eines palästinensischen Staates vorsieht, als besondere Gelegenheit verstehe und sie konstruktiv nutze.
Von den Aussagen, die Steinmeier kurz zuvor in Damaskus gemacht hatte - "Hisbollah und Hamas sind zerstörerische Kräfte, die kein Interesse am Friedensprozess" hätten und die man beide zurückdrängen müsse - hörte man bei der Pressekonferenz im Palast von Saad Hariri, dem Sohn des 2005 ermordeten Ministerpräsidenten Rafik Hariri, nichts. Das wäre auch wenig diplomatisch gewesen. "Solche Phrasen brauchen wir von Offiziellen einflussreicher Staaten wie Deutschland wirklich nicht zu hören", hieß es im Editorial der Beiruter Tageszeitung Daily Star. Von welchem Friedensprozess sei denn die Rede? Schließlich lebten rund 400.000 Palästinenser noch immer in libanesischen Flüchtlingslagern. Dies sind Argumentationen, die man gewöhnlich Hisbollah zuschreibt. Aber das Feindbild Israel wurde in jüngster Zeit auch von der Regierungskoalition wiederentdeckt, und das offensichtlich nach Gesprächen von Saad Hariri und seinem drusischen Bündniskollegen Walid Jumblatt mit Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah. "Neue regionale und globale Veränderungen haben uns gezwungen, die Risiken der anhaltenden internen Spaltung zu erkennen", sagte Jumblatt, Vorsitzender der Progressiven Sozialistischen Partei, nach dem Treffen mit Nasrallah. Man müsse die schmerzlichen Ereignisse vom 7. Mai 2008, als es zwischen Regierung und Opposition zu bürgerkriegsähnlichen Konfrontationen gekommen war, vergessen und neues Vertrauen schaffen. Zugleich kritisierte Jumblatt den US-Vizepräsidenten Joseph Biden, der Israel das Recht auf einen Angriff auf den Iran zugestand. "Was passiert, wenn Israel beschließt, präventiv auch den Libanon und den Widerstand anzugreifen?", fragte Jumblatt. So hatte sich lange keine Gallionsfigur der Regierung zugunsten Hisbollah und ihrem militanten "Widerstand" geäußert.
So wird der Feind vorerst nicht mehr im eigenen Land gesucht, sondern jenseits der Staatsgrenze. Im vergangenen halben Jahr wurden mehrere israelische Spionageringe ausgehoben, die auch Attentate ausgeführt haben sollen. "Eine klare Verletzung der UN-Resolution 1701", erklärte Hariri. Der künftige Premierminister reagierte zudem ungewohnt harsch auf die Aussagen seines israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu, der ankündigte, die neue libanesische Regierung für jeden Angriff direkt verantwortlich zu machen. "Dies ist eine Verzerrung der Realität", meinte Hariri. "Seit Jahren ist der Libanon Ziel der Aggression Israels, das Teile unseres Landes besetzt hält und regelmäßig unsere territoriale Souveränität verletzt."
Die Hisbollah fordert nun die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, in der auch Vertreter aus ihren Reihen sitzen sollen. Und zumindest die Entwaffnung der schiitischen Miliz, wie es die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 1559 und 1701 vorsehen und die Regierungskoalition immer wieder verlangt hatte, scheint dabei vorerst kein Thema mehr. Für dieses Zugeständnis verzichtet die Opposition auf ihr Vetorecht im Kabinett. Darauf hatte sie in der vorhergehenden Legislaturperiode bestanden und es nach monatelangen Protesten auch durchgesetzt. Die Arbeit der Vorgängerregierung unter Fuad Siniora hatte das massiv erschwert.
Am 8. Juli beschrieb Michel Aoun, neben Nasrallah die Führungsfigur der Opposition, wie es jetzt funktionieren soll. "Es gibt kein Vetorecht, sondern eine proportionale Repräsentation entsprechend der Aufteilung der Sitze im Parlament." Präsident Michel Suleiman, der allen Parteien als Vertrauensfigur gilt, kann ebenfalls Sitze im Parlament beanspruchen und bestimmt außerdem einen Teil der 30 Ministerposten. Er ist so bei wichtigen Abstimmungen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, das neutrale Zünglein an der Waage. Mohammed Raad, Parlamentsabgeordneter der Hisbollah, sprach bereits von einem "Kabinett des nationalen Konsens und realer Partnerschaft".
Vielleicht erspart diese Lösung dem Libanon tatsächlich neue interne Konfrontationen. Erste Anzeichen davon sind zu spüren, obwohl es nach der Ernennung von Saad Hariri am 27. Juni zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern seiner Zukunftsbewegung und der schiitischen Amal von Nahib Berri kam, der erneut zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde. Saad Hariri sprach der Familie der Zivilistin Zeina Miri, die dabei getötet worden war, persönlich seine Kondolenz aus. Die Familie müsse "dem Staat und seinen Institutionen vertrauen, die die Täter zur Verantwortung" zögen. Ein Plädoyer für den Rechtsstaat und für Versöhnung im Libanon, in dem man sonst gerne das Recht in die eigene Hand nimmt.