STRASSBURG
Bei der Konstituierung des neuen Europaparlaments geht es um Politik, aber auch um Posten
Das neu gewählte Europaparlament besteht zur Hälfte aus Newcomern. Wenn am 14. Juli zum ersten Mal nach der Wahl wieder eine Plenarsitzung in Straßburg stattfindet, werden die Neuen durch die unübersichtlichen Flure irren und feststellen, dass man sich in ringförmig angeordneten Büros besonders gut verlaufen kann. Um die Orientierung zu erleichtern, hatte die Stadt Straßburg im Parlamentsgebäude in Brüssel Broschüren verteilt. Schließlich werden die Parlamentarier eine Woche im Monat in der elsässischen Metropole verbringen.
Doch kaum hat die Legislaturperiode begonnen, liegt auch der Standortstreit wieder auf dem Tisch. Die Zahl der Abgeordneten, die die Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg für zu umständlich halten, wächst. Und in einem Expertenbericht, den der für Gebäudesicherheit zuständige Vizepräsident des Europaparlaments kürzlich vorstellte, wird der Brandschutz im Straßburger Parlament als unzureichend bemängelt. Deshalb sollen nun regelmäßig Feuerwehrleute durch die Flure patrouillieren.
Doch so kurz nach der Wahl sind erst einmal andere Probleme drängender. Wie schon vor fünf Jahren haben Konservative und Sozialisten ein sogenanntes technisches Abkommen geschlossen, um die Posten der Ausschussvorsitzenden, die Delegationsleitungen und vor allem das Amt des Parlamentspräsidenten aufzuteilen. Mit gemeinsam 449 von 736 Abgeordneten bekommen die beiden größten Fraktionen eine Mehrheit zusammen, gegen die Grüne, Liberale, Linke oder die neue euroskeptische Fraktion nichts ausrichten können. Bleibt es bei den Vorabsprachen, dann werden die Sozialisten die Ausschüsse Umwelt, Landwirtschaft, Soziales, Verkehr sowie Justiz und Inneres übernehmen. Die Konservativen werden den Vorsitzenden im Rechts-, Industrie- , Haushalts-, Außenhandels-, Regional- und Kulturausschuss sowie im Unterausschuss Verteidigung stellen.
Die heikle Debatte um eine zweite Amtszeit des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso sei in diesem Paket nicht enthalten, betonte der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen in Brüssel. Man sei sich lediglich einig, erst Mitte September in Straßburg einen Kommissionspräsidenten wählen zu wollen. "Barroso ist der Kandidat des Rates. Für eine Mehrheit im Europaparlament muss er erst noch sorgen", erklärte Langen. Auch die Sozialisten haben sich noch nicht festgelegt. Der Rat hatte darauf gedrängt, Barroso schon in der konstituierenden Sitzung am 14. Juli für eine zweite Amtszeit bestätigen zu lassen. Doch dagegen war der Widerstand im EU-Parlament zu groß gewesen. Jetzt wird die Wahl voraussichtlich am 15. September stattfinden.
Um das Amt des Parlamentspräsidenten bewarben sich ursprünglich drei Kandidaten: Der polnische Konservative Jerzy Buzek, der britische Liberale Graham Watson und die schwedische Linke Eva-Britt Svensson. Watson zog seine Kandidatur überraschend zurück. Er wolle dem ersten Osteuropäer in diesem Amt zu einer möglichst breiten Mehrheit verhelfen, begründete Watson seinen Verzicht. Auch die neue grüne Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms sprach sich trotz aller inhaltlichen Differenzen für Buzek aus. Es sei ein gutes Signal für das vereinte Europa, wenn ein Gründungsmitglied der polnischen Oppositionsbewegung Solidarnosc das EU-Parlament führe. Vor fünf Jahren hatten die Grünen die Kandidatur des liberalen polnischen Politikers Bronislaw Geremek unterstützt, der sich ebenfalls bei Solidarnosc engagiert hatte. Seine Wahl zum Parlamentspräsidenten war jedoch an einer Wahlabsprache zwischen Konservativen und Sozialisten gescheitert.
Auch in dieser Legislatur soll es nach zweieinhalb Jahren einen Stabwechsel geben. Die Sozialisten wollen sich aber offen halten, wen sie ins Rennen schicken werden. Der scheidende EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering lobte diese Arbeitsteilung. "Man braucht eine Menge Energie für diesen Job", sagte der CDU-Politiker. "Man kommt zwar nicht an die Grenzen seiner psychischen, aber seiner körperlichen Leistungsfähigkeit." Die aus dem Parlament ausscheidenden Brüsseler Urgesteinen Klaus Hänsch (SPD), Ingo Friedrich (CSU) und Francis Wuertz (französische Linke) fragte er: "Warum lasst Ihr mich hier allein?" Er sei nun der letzte Abgeordnete, der dem Haus seit der ersten Direktwahl 1979 angehöre. Der 69-jährige Buzek, der mit hoher Wahrscheinlichkeit sein Nachfolger wird, stellte sich Anfang Juli den Fraktionen vor. Er kann auf eine lange politische Karriere zurückblicken: Unter anderem gründete der frühere polnische Ministerpräsident 1980 in seinem Universitätsinstitut eine Gruppe der Gewerkschaft Solidarnosc (mehr dazu im Porträt auf dieser Seite). Er sei auch körperlich fit, betonte Buzek in einer Podiumsdiskussion augenzwinkernd.
Die Umsetzung des Lissaboner Vertrages nennt Buzek als das übergeordnete Ziel seiner Amtszeit. Mit dem irischen Europapolitiker Pat Cox, der in der vorvergangenen Legislatur Parlamentspräsident war, werde er nach Irland reisen, um für den Vertrag zu werben. An zweiter Stelle stehen die Energiesicherheit und die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember. "Wir möchten in den Klimaverhandlungen erfolgreich sein", betonte Buzek. "Wir sollten aber nicht allein kämpfen, sondern Amerikaner, Chinesen und Japaner ins Boot holen." Zu der Frage, wie er zu den Kohlekraftwerken in seinem Land stehe, die stark zur Luftverschmutzung beitragen, sagte er: "Vor zwanzig Jahren hatte jedes Land den Energiemix, den es wollte. Wer sich damals für Atomkraftwerke entschied, bekommt heute keine Probleme mit der Klimapolitik. Deshalb brauchen wir Übergangsfristen, damit Länder wie Polen sich anpassen können."
Als weitere Schwerpunkte bezeichnete Buzek die Bewältigung der Wirtschaftskrise und der Herausforderungen, die durch legale und illegale Einwanderung entstehen. Um die EU-Politik in diesen Bereichen mehr mitgestalten zu können, sei die Umsetzung des Lissabon-Vertrages der Schlüssel. Schluss sein müsse zudem mit der Praxis, immer mehr Gesetze in erster Lesung durchs Parlament zu treiben und damit die demokratischen Mitspracherechte zu beschneiden, sagte Buzek. Der Kommissionspräsident solle in Zukunft jeden Monat ein Mal vor dem Plenum über seine Arbeit berichten und so die Abgeordneten früher in den Gesetzgebungsprozess einbeziehen.