USA
Verschuldete Hausbesitzer warten darauf, dass Obamas Konjunkturpaket bei ihnen ankommt
Brentin Samuel kann es immer noch nicht fassen. Um ihn herum, in seinem Wohnzimmer, stehen halbgepackte Umzugskartons, Müllsäcke, und auf dem Couchtisch raschelt im Sommerwind ein Durcheinander von amtlichen Schreiben, Rechnungen und Bankpapieren. Er ist einer, der stets glaubte, das Schicksal sei sein Freund.
"Jetzt leben wir in der Ein-falscher-Schritt-und du-bist-am-Ende-Ära", meint der groß gewachsene 43-Jährige. 24 Jahre lang ging es für Brentin Samuel nur bergauf. Er, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt, landete schon mit 19 bei der Berufsfeuerwehr in St. Louis, Missouri. Er verdiente in den vergangenen Jahren mehr als 60.000 Dollar Jahresgehalt und war sich nicht zu schade, nebenbei Pizzas auszufahren, den städtischen Straßenreinigungswagen zu chauffieren oder Strommessgeräte für den lokalen Energieversorger einzubauen. Vor einigen Jahren gründete er sein eigenes Unternehmen, "Samuels Hausabriss".
Er hatte es geschafft. Den amerikanischen Traum konnte er anfassen und herzeigen. Er verdiente genug, um seine alternde Mutter und seinen Sohn im College zu unterstützen. Er leistete sich eine Scheidung und eine zweite Ehe, dazu für 100.000 Dollar ein neues Haus mitten in St. Louis, einer boomenden Metropole im Mittleren Westen. Das Haus, umgeben von ausladenden Pinien, benötigte eine umfangreiche Renovierung, aber die wollte Samuel im Laufe der Zeit selbst erledigen, ein Zimmer nach dem anderen. Nachdem St. Louis seine verwahrloste Innenstadt wiederentdeckte und durch städtische Investitionen die Immobilienpreise stiegen, belieh der Selfmademan sein Haus, um sich die neuen Maschinen für sein Abrissunternehmen kaufen zu können.
Als im September 2008 das New Yorker Investmenthaus Lehman Brothers kollabierte, dachte sich Brentin Samuel nichts dabei. Nur wenige Tage später nahm er einen neuen Kredit für ein paar Presslufthämmer auf. Mittlerweile schuldete er den Banken den doppelten Kaufpreis seines Hauses.
Dann kam der Nachmittag, den Brentin Samuel heute den falschen Schritt nennt. Er wurde über Beeper zur Feuerwehr gerufen, ein Chemieunfall. Er saß als Kapitän des Einsatzes im Beifahrersitz, als ein Lastwagen plötzlich auf die Fahrerkabine krachte. Brentin Samuels Kopf prallte gegen die Windschutzscheibe, es knackte. Seitdem fühlt sich Samuel manchmal wie in Zeitlupe. Er leidet unter Gedächtnislücken, Depressionen und Antriebslosigkeit, lauter Beschwerden, die einen Arzt Monate später dazu bringen, ihm Berufsunfähigkeit zu attestieren.
Es dauerte nicht lange, bis sein Geschäft Schlagseite bekam. Samuel war kaum noch in der Lage, Häuser abzureißen. Selbst wenn er fit gewesen wäre - die wirtschaftliche Lage in St. Louis hätte ihm kaum noch Aufträge beschert. Doch seine Gläubiger interessiert das nicht. Um seine Kredite bedienen zu können, muss Samuel die neu gekauften Maschinen zum Rezessionspreis verschleudern. Trotzdem verpasst er erst eine, dann zwei, dann drei Hypothekenzahlungen von jeweils 1.837 Dollar. Seinem Sohn konnte er das gute, aber teure College in North Carolina nicht mehr bezahlen. Der Junge muss zurück nach St. Louis kommen.
Brentin Samuel ist sauer. "Du spielst nach den Regeln - und dann, wenn du sie brauchst, ändert jemand die Regeln," regt er sich auf. "Ich hatte einen Job, mir ging es richtig gut. Dann gehst du zur Arbeit - und päng, seit dem geht alles bergab." Der athletische Mann hat mittlerweile über 15.000 Dollar Arztschulden. Sein Haus ist nichts mehr wert. Seine Berufsunfähigkeitsrente beträgt nur knapp 50.000 Dollar, die er versteuern soll, und bei der Tilgung seines Hauskredites ist er rund 17.000 Dollar im Verzug.
Als US-Präsident Barack Obama Ende Februar sein Konjunkturprogramm ankündigt, und davon spricht, dass er der in Bedrängnis geratenen Mittelschicht helfen wird, hat Samuel das Gefühl, Obama hat zu ihm gesprochen. Zu Ehren Obamas macht Samuel eine Flasche Wein auf und prostet ihm zu. Kurz darauf bewirbt sich Samuel bei seiner Bank um eine von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Kreditanpassung. Nach Wochen des Fingernägelkauens stellt sich heraus, dass Brentin Samuels Faxe in der Antragslawine wohl verloren gegangen waren. Samuels Schuldenberg wächst. Er bewirbt sich erneut. Statt einer Antwort von der Kreditabteilung bekommt er Drohbriefe von der Rechtsabteilung seiner Bank.
Als er in Panik die Servicenummer der Kreditabteilung wählt, teilt ihm eine freundliche Dame am anderen Ende der Leitung mit, dass sie keinen Antrag zur Kreditmodifizierung von ihm finden kann. Aber sein Haus, informiert sie ihn, sei zur Zwangsvollstreckung terminiert. "Und dann sagt sie doch glatt: "Und kann ich heute sonst noch etwas für sie tun, Mr. Samuel?" Er fühlt sich, als müsse er gleich explodieren. Er hat jetzt eine Garage gemietet, in die er seine Kisten einlagern will. Niemand wird seine Sachen auf die Straße zerren. Hier ist Amerika, sagt er leise und schüttelt den Kopf.
Rund 1.500 Kilometer weiter östlich, im Speckgürtel der US-Hauptstadt, liegt Manassas, ein historischer Ort, in dem im Sommer Kostümierte gerne legendäre Bürgerkriegsschlachten nachstellen. Die 35.000-Einwohnerstadt wirbt in der benachbarten Hauptstadt Washington mit preisgünstigen Immobilien und Auktionen zwangsversteigerter Häuser. "Schon ab 1.000 Dollar Anzahlung", versprechen die Annoncen. Die Versteigerungen finden jeden Montag statt, wenn wieder weit über 1.000 Häuser aus Beständen diverser Banken unter den Hammer kommen, manche schon ab 30.000 Dollar. In ihnen wohnten bis vor kurzem junge Familien und Rentner, vornehmlich Latinos, hoffnungsvolle Migranten aus Mittelamerika, die sich auf Pump ein Stück vom unaufhaltsamen amerikanischen Aufstieg gekauft hatten.
Susan Jacobs von der Maklerfirma Assist-2-sell fährt an diesem Tag mit ihrem Firmenwagen durch die Stadtviertel von Manassas, in denen bereits ganze Straßenzüge zwangsgeräumt wurden. Im Viertel Georgetown hält sie vor einem Backsteinhaus aus den 1960-er Jahren. "Solide gebaut, wie man damals eben baute, drei Zimmer, Küche, zwei Bäder, nichts Aufregendes, aber vor zwei Jahren wäre das für 300.000 Dollar weggegangen. Heute, eine Immobilienkrise später, kann man das Einfamilienhaus für 60.000 haben", sagt sie. Deprimierend findet sie die vielen leeren Häuser in der Nachbarschaft. "Es drückt auch die Preise für diejenigen, die ihr Haus noch besitzen."
Die Krise ruiniert sie alle doppelt. Denn Gemeinden wie Manassas, in denen es wenig Großbetriebe gibt, generieren ihr Einkommen aus der Grund- und Eigentumssteuer. Larry Hughes, Kämmerer der Stadtverwaltung, kommt mit dem Rotstift kaum hinterher. "Kein Geld mehr", sagt er knapp. "Und wir sind hier nicht mal im strukturarmen Mittleren Westen, sondern im Speckgürtel Washingtons." Hughes schüttelt den ergrauten Kopf. "Und auf Obamas Konjunkturgeld müssen wir immer noch warten, das geht alles viel zu langsam."
Als Susan Jacobs Häuser noch ohne Anzahlung verkaufte, hatte sie jedes Wochenende einen vollen Terminkalender. Junge Familien, die in der boomenden Hauptstadtregion an gute Jobs und eine sichere Zukunft glaubten, kauften, kauften, kauften. Die Kreditkrise habe vor allem die Gruppe der neuen Zuzügler getroffen, die seit wenigen Jahren ins einst weiße, konservative Manassas strömten. Das Backsteinhaus, das Jacobs nun verkaufen soll, gehörte einer solchen Familie, die ihre zahlreichen Kredite für Haus, Auto, Fernseher und Schulen nicht mehr bedienen konnte. "Das Übliche eben."
Die Autorin ist Korrespondentin der "tageszeitung" in Washington.