USA
Der Politologe Manfred Henningsen fordert eine Abkehr von den alten Gründungsmythen der Amerikaner
Amerika - Du hast es besser!" Bei den meisten Bürgern von "god's own country" dürfte diese Behauptung sicher auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Drei in Teilen thematisch verwandte Buchtitel spiegeln dieses Bewusstsein im "Hort der Freiheit und Demokratie", der sich nicht nur zu Zeiten von George W. Bush dem "alten Europa" haushoch überlegen gefühlt hat: Nach Marcia Pally, Professorin an der New York University, deren "Warnung vor dem Freunde" Tradition und Zukunft der US-amerikanischen Außenpolitik fixiert und Matthias Rüb, der sich als politischer Korrespondent der FAZ in seinem Buch "Gott regiert Amerika" ebenso wie Pally über lange Strecken mit Evangelikalismus und religiösem Eifer in Politik und Alltag der USA befasst, hat sich nun auch Manfred Henningsen in "Der Mythos Amerika" dem Thema angenommen.
Henningsen hat sich als Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Honolulu und Amerika-Wissenschaftler einen Namen gemacht. In einer Zeit schwindenden Verständnisses füreinander auf beiden Seiten des Atlantiks befasst auch er sich mit der politischen und gesellschaftlichen "Befindlichkeit" der USA vor dem Hintergrund ihrer vermeintlich "heroischen" Geschichte.
Bei aller Unterschiedlichkeit dieser drei Titel: Das demokratische Sendungsbewusstsein, der globale machtpolitische Anspruch in Verbindung mit der Vorstellung von der eigenen Auserwähltheit sind der rote Faden, der sich durch die Bücher zieht und zugleich
Erklärungen dafür liefert, warum sich die USA so oft auch von ihren Freunden missverstanden fühlen. Denn Amerika glaubt fest daran, "dass es die besseren Gene hat", wie Rüb feststellt. Dazu passt das bei Pally angeführte Zitat von G.K.Chesterton: "Eine Nation mit der Seele einer Kirche." Das sagt manches, aber durchaus nicht immer gutes.
Henningsen beginnt seine amerikanische Bewusstseinsgeschichte mit der "Verleugnung der Wirklichkeit" - ein Thema von zentraler Bedeutung, wenn man bedenkt, dass sich das Repräsentantenhaus im Jahre 2008, das heißt 143 Jahre nach dem Bürgerkrieg, in einer Entschließung für die "fundamentale Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Brutalität und Unmenschlichkeit der Sklaverei" entschuldigte. Der Autor erkennt hier eine "Zäsur im amerikanischen Selbstverständnis", einen "Obama-Effekt", den "ich nicht mehr in meiner Lebenszeit erwartet hätte". Weiterhin gelte jedoch, dass den schwarzen Amerikanern weitgehend verweigert wird, einen grundlegenden Beitrag zur Entstehung, Erweiterung und Erhaltung der USA geleistet zu haben. "Der Fluch des Rassismus ist vom weißen Amerika nie als konstitutiver Gründungsdefekt der Republik anerkannt worden", moniert Henningsen.
Amerika ist nicht entdeckt, sondern im Prozess seiner gewalttätigen Eroberung erfunden worden. Diese Feststellung gehört zu den Grundthesen des Autors. Daran knüpfe die amerikanische Geschichte an und werde, auch als Folge der Verdrängung ihrer "unguten" Teile, zum Mythos. So sei beispielsweise der Landraub an den nordamerikanischen Ureinwohnern nie im Sinne einer territorialen Enteignung diskutiert worden, da die Indianer mit europäischen Eigentumsvorstellungen nichts anfangen konnten und folglich auch nicht enteignet werden konnten.
Zu den aufschlussreichsten Kapiteln des Buches gehört das über die Abgrenzung von Europa. Man erkennt unschwer, dass es unter dem Eindruck der Bush-Präsidentschaft entstanden ist: "Alternativen zu Amerika waren uninteressant, ja geradezu überflüssig geworden", kritisiert Henningsen. Gegenargumente zu einem unkritischen Amerikanismus seien nach dem 11. September nicht toleriert "und von der Bush-Regierung und ihren Anhängern als unamerikanisch denunziert" worden.
Henningsen hat ein vielschichtiges Buch zum besseren Verständnis der amerikanischen Gegenwart und ihrer Wurzeln vorgelegt. Der Autor zeigt, warum und wie schwer sich die Amerikaner damit tun, sich dieser Gegenwart zu stellen und auf die Vorstellungen ihrer Partner in der Welt einzugehen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit Blick auf die Forschungsgeschichte hat Henningsen in seiner glänzenden Analyse auf jedwede Art von Polemik, die sein Buch vielleicht zu einer Lektüre für Amerikahasser werden lassen könnte, verzichtet. Vielmehr sieht er eine Chance zur Selbstbesinnung und Korrektur und beschwört zugleich auch die Kraft der Amerikaner, sich unter Obamas Führung zu regenerieren. Nicht zuletzt bestehe diese Chance auch darin, in einer Zeit, in der die USA in einen Krieg verwickelt sind und die schier unglaublichen Herausforderungen des Finanz-und Wirtschaftssystems bewältigen mussen, endlich das Rassenproblem zu überwinden: "Der Abschied vom Mythos muss mit der Einsicht beginnen, dass er es legitimierte, Millionen von Indianern und Afrikanern nicht als gleichwertige Menschen zu behandeln." Ob der amerikanische Präsident die in ihn gesetzten Erwartungen auf eine "geistig-moralische Wende" jedoch auch erfüllen kann, bleibt abzuwarten.
Der Mythos Amerika.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2009; 358 S., 32 ¤