DIPLOMATIE
Über die Bedeutung von Staatsbesuchen
Ganz Berlin war aus dem Häuschen im Sommer vergangenen Jahres, als Barack Obama Deutschland zum ersten Mal besuchte. Damals noch Kandidat im Wahlkampf suchte er sich die Siegessäule in Berlin als Bühne für seine große Rede. Und klar gab es offizielle Treffen mit der deutschen Politikspitze: Bilder von Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bilder von Obama und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Obama überall. Knapp ein Jahr darauf im Juni 2009 - Barack Obama war nun schon fünf Monate als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt - kam er erneut nach Deutschland. Allerdings nur zwei Tage, ein Kurztrip, nach Dresden zur Frauenkirche, nichts Offizielles, nur eine Geste für Israel. Und nein, so hieß es, Zeit die Bundeskanzlerin zu treffen, habe er nicht, so sorry. Der mächtigste Mann der Welt in Deutschland und es gibt keine Bilder von ihm und der mächtigsten Person des Landes - ein Affront. Man traf sich dann doch, für eine halbe Stunde, immerhin.
Diese beiden Momentaufnahmen, die Existenz oder Nicht-Existenz eines öffentlich dokumentierten offiziellen Besuchs, sagen eine Menge über die buchstäblich staatstragende Bedeutung von Staatsbesuchen: Das nationale und internationale Ansehen von Besucher und Besuchtem hängen auf Gedeih und Verderb voneinander ab. Dass Besuche von Staatsoberhäuptern aus aller Welt gerade für Deutschland unsagbar entscheidend waren, schildert die Historikerin Simone Derix in ihrem Buch "Bebilderte Politik". Barack Obamas Besuche beziehungsweise Halb-Besuche sind nicht ihrem Fokus: Ihr geht es um die Zeit zwischen 1949 und 1990, also die Phase zwischen Gründung der Bundesrepublik und der Wiedervereinigung. Beides Fixpunkte, die für die Rolle der Bildpolitik für das deutsche Selbstverständnis von Bedeutung sind.
Derix' Buch lenkt den Blick auf einen Teil unserer Geschichte, der sonst eher en passant abgehandelt wird. Wie sie das Wie, Wer, Was und Warum von Staatsbesuchen seziert, ist durchweg erhellend und eine wahre Freude zu lesen. "Staatsbesuche lieferten nicht nur den Beweis für die (west)deutsche Rückkehr auf das internationale diplomatische Parkett, sondern trugen auch aktiv zu dieser Entwicklung bei", erklärt die Historikerin. Denn, so ihre bestechende Argumentation, nur indem diese neue Bundesrepublik sichtbar werden würde, würde sie ihr neues Image in der Welt maßgeblich beeinflussen können. Schließlich ging es um nichts weniger als einen generalüberholten Entwurf dieses jungen alten Landes nach dem Ende des Dritten Reich. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland barg für das Land die Möglichkeit, sich neu zu erfinden.
Derix zeigt mit einem geschärften Blick für Details und einem Gespür für die Ritualisierungen der Politik, wie die Macht der Bilder in beide Richtungen wirkten: natürlich nach außen, für das Image der Republik in der Welt. Und "Staatsbesuche wirken auch nach innen", erklärt die Autorin. Alles eine Frage der Inszenierung.
Besonders Berlin rückte nach dem Bau der Mauer immer stärker ins Zentrum des Besuchsprotokolls. Checkpoint Charlie, Potsdamer Platz, Brandenburger Tor, das waren schon in den 60er Jahren feste Bestandteile jeder Stadtrundfahrt mit Staatsgästen auf Berlintrip. Das Auswärtige Amt suchte diese Orte gezielt aus, baute den Ablauf des Staatsbesuchs dramaturgisch so auf, dass die Dimension der Teilung jedem Besucher anschaulich wurde: ein paar Schritte zu Fuß entlang der Mauer, der persönlichen Erfahrung halber, mit dem Bus quer durch die Stadt, um die betroffene Fläche zu zeigen, und natürlich hoch auf eine der Aufsichtsplattformen an der Mauer, "die den Blick auf diese Orte und ihre Umgebung über die Mauer hinweg frei gaben und zugleich ihre Unberührbarkeit unterstrichen", so Derix. Das Foto von John F. Kennedy vor dem Brandenburger Tor 1963 ging um die Welt. Genauso wie die Geschichten über die DDR-Führung, die anlässlich seiner Rede die DDR-Flagge und rote Banner zwischen die Säulen des Tors gehängt hatten - als optisch wirkungsvoller, ideologischer Hintergrund für die Übertragung von Kennedys Rede.
Die Besucher als Akteure waren immer auch Zuschauer, Zuschauer auch Akteure in dieser Inszenierung. Mit den Staatsgästen kam die öffentliche Aufmerksamkeit für bestimmte Orte, Bilder dieser Szenen zirkulierten via Fernsehen und Zeitungen, nicht nur in Deutschland. Die deutschen Statisten, die, wenn man so will, unter der "Regie" des Staates die Bevölkerung repräsentierten, Straßenzüge säumten, um schöne Bilder zu produzieren, gehörten genauso zu diesem politischen Theaterspiel wie die Fotografen und Sendeanstalten, die diese Bilder verbreiteten.
Umso tragischer, dass ausgerechnet ein 400-Seiten-Buch, das den Titel "Bebilderte Politik" trägt, mit gerade einmal 20 kleinen Schwarz-Weiß-Fotos auskommen muss. Man fragt sich, welcher Logik das folgt. Denn so beeindruckend die Analysen der Autorin auch sind: Sie wollen nachvollzogen werden, die Inszenierungen, die Staats-Performance, die sich die Protokollbeamten der beteiligten Länder ausgedacht haben, will man auch auf den im Text genannten Bildern sehen. Dass dieses Material fehlt, ist ein großes Manko des Buches.
Ein Foto etwa hätte man besonders gerne gesehen: Von Queen Elizabeth II. und Prinz Philip, wie sie während ihres Berlinbesuchs 1965 mit offenem Verdeck vor der Berliner Mauer halten, aufstehen, knipsen, winken - und der diensthabende Wachmann auf der Ostseite salutiert.
Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990.
Vandehoeck & Ruprecht, Göttingen 2009; 400 S., 44,90 ¤