WOLFGANG THIERSE
Versierter Rhetoriker gegen Rechts
Mit 371 von 618 Stimmen hat der Bundestag am 27. Oktober Wolfgang Thierse erneut zum Vizepräsidenten des Parlaments gewählt - das schlechteste Ergebnis, das an diesem Tag bei der Wahl des Präsidiums verzeichnet wurde. Indes, magere Ergebnisse ist der Sozialdemokrat bei diesen Wahlen gewohnt: 2005 wurde der heute 66-Jährige mit 69 Prozent der Stimmen ins Vizepräsidentenamt gewählt und 2002 nur mit 59 Prozent als Bundestagspräsident bestätigt.
Anders sah es noch 1998 aus, als er mit 512 von 666 Stimmen erstmals zum Bundestagspräsidenten gewählt wurde. Es sei mehr als eine Geste, dass mit ihm erstmals ein Bürger der überwundenen DDR das zweithöchste Amt im Staat bekleide, sagte er damals. Dann kam 1999 die CDU-Spendenaffäre; Thierse verhängte gegen die Partei Strafgelder in Millionenhöhe, die Union unterstellte ihm Parteilichkeit. Das Verhältnis war gestört, was sich fortan auch bei den Wahlen des Parlamentspräsidiums zeigen sollte.
Bei der SPD, deren Parteivize er von 1990 bis 2005 war, erfreut sich Thierse dagegen ungebrochenen Rückhalts - in der Fraktion setzte er sich jüngst im Rennen um den verbliebenen SPD-Platz im Bundestagspräsidium klar gegen seine Kollegin Susanne Kastner durch.
In Breslau geboren, wuchs der Katholik in Thüringen auf, später studierte er an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin Germanistik und Kulturwissenschaft. Im Herbst 1989 schloss sich Thierse dem "Neuen Forum" an und trat Anfang 1990 in die Ost-SPD ein, deren Vorsitzender er im Juni wurde. Mit der Einheit wechselte er von der Volkskammer in den Bundestag, wo sich der versierte Rhetoriker nicht nur als sprachgewaltige "Stimme der Ostdeutschen" einen Namen machte. Auch in den sieben Jahren an der Spitze des Parlaments war er ein sich einmischender, Stellung beziehender Präsident - nicht zuletzt wieder und wieder bei seinem intensiven Einsatz gegen den Rechtsextremismus.