Wolfgang Thierse ist Vizepräsident des aktuellen 17. Deutschen Bundestages. Seit acht Jahren gehört er dem Bundestagspräsidium an, dessen Mitglieder abwechselnd die Plenarsitzungen leiten.
Thierses politischer Werdegang begann mit der Wende, zuvor war der Kulturwissenschaftler parteilos. 1998 wählte ihn der 14. Deutsche Bundestag als ersten Politiker zum Bundestagspräsidenten, der aus den neuen Bundesländern stammt.
Der gebürtige Breslauer machte nach dem Abitur eine Lehre als Schriftsetzer in Weimar und studierte später in Berlin an der Humboldt-Universität Kulturwissenschaften und Germanistik. Anfang Oktober 1989 schließt sich der parteilose Thierse der Oppositionsgruppe Neues Forum an und im Januar 1990 der Sozialdemokratischen Partei der DDR. Er war Mitglied der Volkskammer und Fraktionsvorsitzender der SPD/DDR, seit dem 3. Oktober 1990 ist er Mitglied des Bundestages. Von 1990 bis 2005 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD. 1998 wurde er zum Präsidenten des Bundestages gewählt und 2002 in dem Amt bestätigt. Seit 2005 gehört er dem Bundestagspräsidium als Vizepräsident an.
In seiner Rede zur konstituierenden Sitzung des 14. Deutschen Bundestages am 26. Oktober 1998 nannte er den Tag seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten ein „historisches Datum“, weil ein ehemaliger Bürger der DDR dieses Amt übertragen bekomme. Er sei weder ein Leben lang Widerstandskämpfer gegen die SED-Herrschaft gewesen noch habe er sich jemals mit dieser Herrschaft identifiziert, aber darin stehe er für eine große Mehrheit seiner Mitbürger in den ostdeutschen Ländern, sagte Thierse. Viele Journalisten bezeichnen ihn auch als „Anwalt des Ostens“.
Eines der wichtigsten Motive der parlamentarischen Arbeit umschreibt Thierse mit der "Einbeziehung des Anderen“. Die andere Person, die andere Meinung, die andere Idee einzubeziehen, sollte demnach ein selbstverständliches Element der politischen Debatte sein. „Dazu gehört allerdings auch, dass die Rednerin, der Redner, hin und wieder das vorgefertigte Manuskript beiseite legt und wirklich in den Dialog mit den Vorrednern eintritt“, sagt Thierse.
Der Sozialdemokrat engagiert sich besonders gegen Rechtsextremismus. Die politische Bildung junger Menschen sieht er hier besonders in der Pflicht: „Schule muss bieten, was ich als Lebensbefähigungs-Unterricht bezeichnen möchte. Dazu gehören: Die Fähigkeit zum selbstständigen Denken und Lernen, die Fähigkeit, Sinnfragen zu stellen, die Fähigkeit, Auseinandersetzungen gewaltfrei zu lösen und mit Frustrationen zurechtzukommen, die Fähigkeit, sich in einer komplizieren Welt zu orientieren und - ganz wichtig - die Fähigkeit zur Demokratie.“