Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
Herr Oberbürgermeister,
Herr Minister,
lieber Herr Krüger,
Herr Professor Bethge,
meine Damen und Herren,
die Einladung zum 10. Bundeskongress für politische Bildung
habe ich besonders gerne angenommen. Zu den drei großen
Themen dieses Kongresses „Medien, Demokratie, Bildung“
ist inzwischen zwar fast alles gesagt - und einem alten Kalauer
folgend auch von fast allen - dennoch gibt es nach wie vor und
immer wieder neue Gründe, über ihr wechselseitiges
Verhältnis nachzudenken. Der Zustand der Medien wie der
Zustand der Bildung bestimmen ganz wesentlich den Zustand unserer
Demokratie – so wie allerdings auch umgekehrt die
demokratische Verfassung und die Lebenswirklichkeit unserer
Gesellschaft den Zustand unserer Medien und den Zustand unseres
Bildungssystems beeinflussen.
Ich bin gebeten worden, heute Nachmittag über „Die
Verantwortung der Medien in der Demokratie“ zu sprechen. Das
ist – um das gleich zu Beginn zu sagen – kein
sonderlich originelles Thema. Aber es ist unverändert aktuell
– wie nicht zuletzt der schon in der Begrüßung von
Herrn Krüger sogenannte Karikaturenstreit verdeutlicht hat.
Auch hier muss allerdings zugleich von der Verantwortung der
Demokratie für die Medien die Rede sein und keineswegs nur von
der Verantwortung der Medien in der oder für die Demokratie.
Unter diesem Gesichtspunkt lassen die jüngeren Erfahrungen
nicht nur Errungenschaften erkennen, sondern auch manche
Verirrungen und Defizite.
Meine Damen und Herren, wenn wir über Medien und
Demokratie, über Medien und Politik reden, dann reden wir
zunächst einmal über Sammelbegriffe, die manches
subsumieren, was zusammengehört und manches nicht hinreichend
unterscheiden, was eben doch nicht ein- und dasselbe ist. Bei
genauem Hinsehen reden wir immer über konkrete Zeitungen,
über konkrete Fernsehanstalten, über konkrete
Internet-Angebote, wir reden über konkrete Parteien, über
konkrete Regierungen und Parlamente und wir reden vor allen Dingen
auch immer über ganz konkrete Personen und
Persönlichkeiten, die diese jeweiligen Institutionen
repräsentieren und in mehr oder weniger stärkerem
Maße prägen. Auch ohne sorgfältige empirische
Befunde wird unter diesem nur vorläufig differenzierenden
Gesichtspunkt schon hinreichend deutlich, dass das Maß an
Unterschieden mindestens so bemerkenswert ist wie das Maß an
Gemeinsamkeiten. Ich sage das zu Beginn, weil man sich der
Unschärfe bewusst sein muss, die sich mit der
Gegenüberstellung von Medien auf der einen Seite und Politik
oder Demokratie auf der anderen Seite ganz unvermeidlich verbindet
und weil die notwendige Differenzierung im zeitlichen Rahmen eines
solchen Vortrages nicht immer im einzelnen dargestellt werden
kann.
Da sich das Thema ohnehin nicht erschöpfend behandeln
lässt, hoffe ich auf Ihr gnädiges Verständnis, dass
ich erst gar nicht den Versuch einer enzyklopädischen
Behandlung dieses Themas unternehme, sondern an ein paar wenigen,
aber nicht unwichtigen Aspekten die Relevanz dieses Themas
verdeutlichen möchte. Es empfiehlt sich vielleicht, zu Beginn
noch einmal den Hinweis aufzunehmen, den Herr Krüger ebenfalls
schon in seiner Begrüßung angedeutet hat, nämlich
einen etwas genaueren Blick auf die Mediennutzung zu werfen, um
damit mindestens einen ersten vorläufigen Eindruck über
eine ganz wesentliche Differenzierung im tatsächlichen
Medienverhalten dieser Gesellschaft zu gewinnen. Nach jüngeren
empirischen Untersuchungen aus den letzten Jahren gibt es eine
bemerkenswerte Veränderung in der Verteilung der
Nutzungszeiten auf die verschiedenen Medien. Das wird fast noch
eindrucksvoller, wenn man nicht nur die aktuellen Zahlen
nebeneinander stellt, sondern die Veränderung dieser Nutzung
im Zeitverlauf betrachtet. Die tägliche Nutzung des Fernsehens
betrug im Jahre 1970 bei über 14jährigen im Durchschnitt
113 Minuten und ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich
angestiegen auf durchschnittlich 220 Minuten im Jahre 2005. Und
auch wenn jetzt jedem von Ihnen wie mir auch schon allein bei einem
groben Überblick über die eigenen
Familienangehörigen relativ deutliche Unterschiede auffallen,
die dann alle in solche Durchschnittszahlen eingehen, werden die
meisten von Ihnen vermutlich dennoch den Trend für zutreffend
wiedergegeben halten. Wir haben in etwa eine Verdoppelung des
täglich für Fernsehnutzung/Konsum aufgebrachten
Zeitbudgets gegenüber der Situation vor 35 Jahren. Dagegen hat
sich die Nutzung von Zeitungen im gleichen Zeitraum umgekehrt, wenn
auch nicht in gleichen Größenordnungen spektakulär,
entwickelt. Die im Durchschnitt für die Lektüre von
Tageszeitungen aufgewendete Zeit betrug 1970 35 Minuten
und sie beträgt heute bzw. im Jahre 2005 28
Minuten. Für die Nutzung des Internets gibt es
naturgemäß keine vergleichbar langen Beobachtungszeiten,
umso erstaunlicher ist, dass die durchschnittliche Nutzungszeit von
erstmals im Jahr 2000 gemessenen 13 Minuten auf inzwischen 44
Minuten gestiegen sein soll und damit immerhin die Tageszeitungen
bereits deutlich hinter sich gelassen hat.
Nicht ganz neu, aber auch nicht ganz unbedeutend, ist die
Auskunft auf die Frage, welches Medium die Nutzer als besonders
glaubwürdig empfinden. Hier hat interessanterweise das
Internet eher Probleme, es wird nämlich mit 22 Prozent von
allen nachgefragten klassischen Informationsmedien am geringsten
bewertet, das Radio wird mit 49, die Tageszeitung mit 62 und das
Fernsehen mit 66 Prozent unter
Glaubwürdigkeits-Gesichtspunkten in diesen Umfragen angegeben.
Damit korrespondiert übrigens eine parallele Frage, welche
Medien am ehesten kritisch berichteten: auch hier wird das
Fernsehen - für mich ein bisschen verblüffend - am
höchsten eingeschätzt mit 73 Prozent, vor den
Tageszeitungen mit 67 und deutlich vor dem Radio mit 39 und noch
einmal wieder deutlich vor dem Internet mit 21 Prozent. Ohne hier
jetzt einen großen Datenfriedhof besichtigen zu wollen, will
ich doch zur Ergänzung der vorgeschlagenen Differenzierung der
pauschalen Rede über „die Medien“ und ihre
Bedeutung und Wirksamkeit in der und für die Demokratie noch
eine zweite, wiederum nicht neue und insofern auch nicht
verblüffende, aber nicht belanglose Zahl nennen, nämlich
mit Blick auf die täglichen Leser von überregional
erscheinenden deutschen Tageszeitungen. Man muss eben wissen, dass
die Bildzeitung jeden Tag im Durchschnitt beinahe 12 Millionen
Leser hat, dass die sogenannten großen
Qualitätszeitungen täglich im Durchschnitt deutlich
weniger als eine Millionen Leser haben. Das ist, meine Damen und
Herren, ein sicher nicht ausreichender, aber auch nicht
unbeachtlicher Hinweis darauf, dass es sich sehr empfiehlt, bei der
Beschreibung des Verhältnisses von Medien und ihrer
Wirksamkeit in unserer Gesellschaft und insbesondere für
politische Entscheidungsprozesse neben den Medien als solche die
Medien im konkreten zum Gegenstand der eigenen Überlegungen
und Betrachtungen zu machen. Dabei ist sicher wahr, dass auch und
gerade unter Berücksichtigung dieser Differenzierungen das
Informationsangebot, in den vergangenen Jahren geradezu
explosionsartig zugenommen hat. Schon vor einer Reihe von Jahren
hat Rudolf Augstein bemerkt: „Die Zahl derer, die durch zu
viele Informationen nicht mehr informiert sind, wächst.“
Damit hat er möglicherweise die Empfehlung verbinden wollen,
sich angesichts dieser Überfülle von Informationen auf
ein einziges Magazin zu konzentrieren, einer Empfehlung, der ich
mich ausdrücklich nicht anschließen möchte, schon
wegen der durch mein Amt gebotenen Überparteilichkeit, und
weil im übrigen, und da sind wir schon wieder näher beim
Thema, auch für dieses bedeutende Magazin gilt, dass es seine
beachtliche Auflage nicht nur dem Informationswert, sondern ganz
gewiss auch dem Unterhaltungswert seiner Berichterstattung
verdankt.
Der Ministerpräsident hat vorhin aus guten Gründen den
Wettbewerb angesprochen, den wir in den Medien und unter den Medien
haben. Der zunehmend gängige Begriff der Medienwirtschaft
macht ja nicht zufällig deutlich, dass sich die
Entwicklungsperspektive dieses gesellschaftlichen Bereichens
zunehmend nach der ökonomischen Logik ausrichtet, die wir in
anderen im engeren Sinne klassischen Wirtschaftsbereichen ohnehin
für selbstverständlich halten.
Nun werden wir hoffentlich alle keinen Augenblick darüber
streiten müssen, dass der Wettbewerb zwischen den Medien und
in der Medienwirtschaft genauso unverzichtbar ist wie der
Wettbewerb im politischen System zwischen Parteien und politischen
Gruppierungen. Aber ich hoffe, wir werden auch Konsens darüber
herstellen können, dass das unverzichtbare Bekenntnis zum
Wettbewerb nicht zu einer voreiligen Vereinfachung zu Gunsten
reiner wirtschaftlicher Rentabilitätskalküle verkommen
darf. Ich will das jetzt gar nicht mit einer pathetisch
überhöhten Bedeutung der Medien im Verhältnis zu
allen anderen Bereichen der Wirtschaft begründen. Es reicht ja
der bescheidene Hinweis darauf, dass dann, wenn wir über das
Informationsverhalten einer Gesellschaft reden, zweifellos
über eine andere Kategorie der Versorgung einer Gesellschaft
reden, als wenn wir über die Versorgung der gleichen
Gesellschaft mit Pkw’s, Oberhemden oder Video-Recordern
streiten. Deswegen ist es schon richtig, dass die politische
Verantwortung für die Medien, die ich gleich zu Beginn als
nicht weniger bedeutend beschrieben habe als die Verantwortung der
Medien für die Politik und für die Gesellschaft, sich in
der Gestaltung angemessener Rahmenbedingungen bewähren muss.
Und dass sie nicht nur, aber ganz besonders im Blick auf ein
öffentlich-rechtlich verfasstes Rundfunk- und Fernsehsystem
neben den unvermeidbaren Orientierungen an Wirtschaftlichkeit auch
die unverzichtbaren Kriterien der Relevanz, der Solidität, der
Ernsthaftigkeit, der Breite und Tiefe von Informationen
aufrechterhalten muss. Da beschleicht einen schon von Zeit zu Zeit
manche Besorgnis. So sehr die Konkurrenz jetzt hergestellte
Konkurrenz zwischen privaten und öffentlichen Anbietern im
Großen und Ganzen ein unvermeidbarer, aber auch richtiger
Entwicklungsschritt war, so wenig wird man daraus wieder voreilig
schließen dürfen, dass dies nur Verbesserungen und nicht
auch Probleme gebracht habe. Nachdem wir inzwischen eine
hinreichend lange Beobachtungszeit haben, ist die Frage ja
mindestens erlaubt, ob im Wettbewerb zwischen privaten und
öffentlichen Anbietern eigentlich die Qualitätsstandards
der öffentlich-rechtlichen das Niveau für die privaten
gesetzt haben oder umgekehrt die Quotenorientierung von privaten
Anbietern zunehmend den Qualitätsstandard der
öffentlich-rechtlichen Anbieter definiert. Auch in diesem
Zusammenhang ist die Grenze zwischen
Wirtschaftlichkeits-Orientierungen und Relevanz-Orientierungen im
Einzelnen zu finden und zu bestimmen, aber wir dürfen uns der
Mühseligkeit, solche Grenzen gelegentlich zu markieren, auch
nicht entziehen.
Es ist inzwischen ein paar Jahre her – fast 10 Jahre
–, seit Hans-Magnus Enzensberger mit Blick auf das Fernsehen
dieses Medium kulturkritisch als „Null-Medium“
bezeichnet und hinzugefügt hat: „Alle Klagen über
das Fernsehen sind gegenstandslos, weil das Fernsehen ein Medium
der Gegenstandslosigkeit geworden ist.“ Das ist
natürlich eine hoffnungslos übertriebene Behauptung, die
fast von einem Journalisten stammen könnte. Aber sie
fällt ja auch nicht vom Himmel und ist wohl nicht nur dem
Bedürfnis eines Literaten geschuldet, mit einer
spektakulären Formulierung auf sich aufmerksam zu machen. Dass
es auf deutschen Fernsehbildschirmen mancherlei Absonderliches zu
sehen gibt, das mit der Beschreibung belanglos eher freundlich
gekennzeichnet ist, lässt sich doch beim allerbesten Willen
nicht bestreiten. Wenn sich sogenannte B-Promis unter den
Baumwipfeln australischer Regenwälder auf Feldbetten
räkeln, Würmer knabbern und sich im Aalschleim
wälzen, hat das nicht nur mit dem Informationsbedarf einer
Gesellschaft offenkundig nichts zu tun. Es setzt auch mindestens
Fragezeichen an das Unterhaltungsbedürfnis dieser
Gesellschaft.
Sich mit diesen und anderen Formaten auseinanderzusetzen, wirft
dann aber relativ schnell die zweite der vielen Grundsatzfragen
auf, auf die ich jetzt im Zusammenhang mit meinem Beitrag eher
hinweisen möchte, als dass ich sie im Einzelnen behandeln
könnte. Ich meine das schon vorhin angedeutete Problem der
Freiheit der Medien, der Pressefreiheit und ihrer möglichen
Grenzen.
Für mich hat die Auseinandersetzung, die es in Deutschland
und weit darüber hinaus zum sogenannten Karikaturenstreit
gegeben hat, deutlich gemacht, welche Verunsicherungen es in
unserer Gesellschaft längst gibt oder wieder gibt, was den
Umgang mit Grundsatzentscheidungen dieser Gesellschaft und seiner
Verfassung betrifft. Natürlich muss es möglich sein,
Karikaturen nicht nur für nicht gelungen, sondern auch
für voll daneben oder gar für geschmacklos zu halten.
Auch der Vorwurf ist zulässig, sie seien im konkreten Fall
möglicherweise ohne jede erkennbare Notwendigkeit aus purer
Provokation entstanden bzw. publiziert worden. Aber davon
völlig unberührt muss doch die fundamentale Erkenntnis
sein, dass es Meinungsfreiheit und Pressefreiheit überhaupt
nur geben kann, wenn sie – auch wenn’s schwer
fällt – Geschmacklosigkeiten und Verirrungen einbezieht.
Denn in dem Augenblick, in dem ich das verlässlich ausschalten
will, brauche ich eine im Zweifelsfall staatliche Instanz, die
faktisch der Zensor nicht nur des Geschmacks, sondern der
Reichweite der Meinungsfreiheit in dieser Gesellschaft ist. Und
deswegen ist jede Empörung über diese oder andere
Karikaturen erlaubt, selbstverständlich auch die Artikulation
dieser Empörung. Aber die Vorstellung, Regierungen
könnten oder dürften sich entschuldigen für die
Publikation von Texten oder von Zeichnungen, die, wie immer sie im
einzelnen ausfallen mögen, jedenfalls Ausdruck von Meinungs-
und Pressefreiheit sind, weist auf ein groteskes
Missverständnis über die Grundlagen unserer Verfassung,
unserer demokratischen Ordnung hin.
Allerdings und insofern führt die Beschäftigung mit
diesem Thema über das Verhältnis von Medien und
Demokratie weit hinaus. Die Verhaltsunsicherheit deutet auch darauf
hin, dass es möglicherweise ein Defizit in der
Selbstverständigung dieser Gesellschaft über die eigenen
normativen Grundlagen unserer Verfassungsordnung gibt. Im
Übrigen hat der konkrete Streit auch damit zu tun, wie man
denn eigentlich neben der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit
die Religionsfreiheit versteht. Wenn Religionsfreiheit mehr sein
soll als die Freiheit der Verkündung einer Religion, sondern
die Gewährleistung jeder religiösen Überzeugung,
dann hat Religionsfreiheit Toleranz zur zwingenden Voraussetzung.
Aber dann kann es Toleranz nur geben, wenn sie nicht nur gefordert,
sondern auch wechselseitig zugestanden wird. Und da besteht
zwischen einer vermeintlichen Beleidigung und einer
tatsächlichen Brandstiftung nicht nur ein gradueller, sondern
ein prinzipieller Unterschied. Und diesen Unterschied wird man
markieren dürfen, man wird ihn markieren müssen.
Meine Damen und Herren, wenn über das Verhältnis von
Medien und Demokratie geredet wird, dann beginnt oder endet fast
jede Beschäftigung mit diesem Thema, ob in Form eines schmalen
Aufsatzes, einer kurzen Rede oder einer umfänglichen
Publikation, mit dem überraschenden Befund, beide
befänden sich in einem natürlichen
Spannungsverhältnis zueinander. Und gelegentlich wird dann die
zweite ähnlich überraschende Erkenntnis hinzugefügt,
man habe es hier auch mit einem wechselseitigen
Abhängigkeitsverhältnis zu tun. Ich will beides feierlich
bekräftigen. Ich teile den einen wie den anderen Eindruck. Wir
haben es hier nicht mit siamesischen Zwillingen zu tun, sondern mit
zwei ganz unterschiedlichen Rollen, die aber gleichzeitig in
vielfacher Weise aufeinander angewiesen sind. Ganz offenkundig sind
Medien auf Informationen woher auch immer und von wem auch immer
angewiesen, so wie Politik – nicht nur Politik
selbstverständlich –, auf die Vermittlung von
Informationen und Überzeugungen durch Medien umgekehrt
angewiesen ist.
Ich bin wahrscheinlich nicht der einzige, der den Eindruck hat,
dass das Abhängigkeitsverhältnis der Politik von den
Medien noch stärker ausgeprägt ist als das der Medien von
der Politik. Ich will dies im Übrigen weder beanstanden noch
zum Gegenstand besonderer Besorgnis ausrufen. Aber wenn diese
Vermutung nicht ganz falsch ist, ergibt sich allein daraus ein
besonderes Maß an Verantwortung der Medien für den
demokratischen Prozess in diesem Land. Es lässt sich doch beim
allerbesten Willen nicht übersehen und deswegen auch wohl
nicht bestreiten, dass die Meinungsbildung in diesem Lande ganz
wesentlich – manche glauben ausschließlich – auf
der Grundlage von Medienberichten erfolgt und dass das die
veröffentlichte Meinung die öffentliche Meinung nicht nur
prägt, sondern teilweise geradezu ersetzt und das insofern der
mediale Einfluss auf die Politik sicher keineswegs nur – was
wichtig genug wäre – auf die Vermittlung von dort
entstandenen Absichten, Informationen, Überzeugungen begrenzt,
sondern selber ganz wesentlicher Bestandteil der Meinungsbildung
ist. Die Fähigkeit von Medien, Themen zu setzen, ist zwar
keineswegs beliebig und grenzenlos, aber dass es sie nicht
gäbe, wird durch hinreichend viele Beispiele widerlegt. Auch
hier haben wir dann einmal mehr mit dem Spannungsverhältnis zu
tun, zwischen den Orientierung von Medien an der Wirtschaftlichkeit
und damit an der Wahrnehmung von Lesern oder Zuschauern und dem
Informationsinteresse, das die Nutzer an dem Medium eigentlich
haben oder hoffentlich haben sollten. Richard von Weizsäcker
hat vor ein paar Jahren schon einmal davon gesprochen, dass wir im
Zusammenhang mit der Entwicklung der Medien zunehmend mit dem
Problem der „Umkehr von Wichtigkeiten“ zu tun
hätten, also dem zunehmendem Missverhältnis zwischen den
Dingen, über die geredet wird und den Themen, über die
eigentlich geredet werden sollten. Ich will Ihnen ein besonders
harmloses Beispiel aus jüngerer Zeit nennen.
Am Tag nach der Kanzlerwahl hat die Zeitung mit den großen
Buchstaben unter der Überschrift „Angela Merkel
schwört den Kanzlereid“ in noch größeren
Lettern der Republik die eigentlich zentrale Frage gestellt:
„Wo war ihr Mann?“ Nun muss man das weder indiskret
noch empörend finden, aber für die zweitwichtigste Frage
der Republik am Beginn einer neuen Kanzlerschaft muss man das wohl
offenkundig auch nicht halten. Und deswegen hat es eben schon mehr
als einen unterhaltenden Aspekt, wenn immer wieder die Frage
gestellt wird, ob das Verhältnis zwischen der Bedienung von
Informationsbedürfnissen und Unterhaltungsbedürfnissen
noch hinreichend ausgewogen oder anders formuliert, noch
einigermaßen erträglich ist. Um jedem
Missverständnis vorzubeugen, ich lege großen Wert
darauf, dass die Klärung dieser Frage ausschließlich in
die Verantwortung der Medien selbst gehört und dass nicht
einmal andeutungsweise der Verdacht entsteht, als könne oder
solle irgendeine, im Zweifel wieder staatliche Instanz dazu
Vorgaben oder gar Normierungen vornehmen. Aber gerade wenn es zu
unserem Verständnis von Medien- und Pressefreiheit, unserem
Verständnis des Verhältnisses von Medien und Demokratie
gehört, dass dies der Staat nicht zu regeln habe, dann ist die
sich daraus ergebende ethische und politische Verantwortung
für die Medien umso größer, weil sie wissen,
jedenfalls die Frage stellen müssen, was ihr Umgang mit
Informationen, die sie vermitteln oder nicht vermitteln und die Art
und Weise, wie sie sie vermitteln oder nicht vermitteln, auch
für die demokratische Kultur unserer Gesellschaft
bedeutet.
Ich will gerne eine Bemerkung aufgreifen, die der
Ministerpräsident vorhin in seinem Grußwort gemacht hat.
Sie betrifft das Thema Medienmacht und Medienkontrolle. Das Thema
hat mindestens zwei Aspekte, der eine ist die Macht der Medien
gegenüber der Politik und der andere ist die Frage, inwiefern
die Politik wiederum selber in den Medien oder über die Medien
Einfluss sucht und geltend macht. Nicht zufällig gibt es in
diesem Zusammenhang regelmäßig die Anfrage an die
Zweckmäßigkeit der Berücksichtigung von Vertretern
politischer Parteien oder Fraktionen in Rundfunkräten. Martin
Bullinger hat im Handbuch des Staatsrechts ausdrücklich die
Auffassung vertreten, dass die „Staats- und
Parteiendominanz“ in Rundfunkraten den
öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum „Parteienrundfunk
als mittelbaren Staatsrundfunk denaturiert habe“. Das halte
ich wieder für eine Übertreibung von ähnlich hohem
ästhetischem Reiz wie die vorhin von Enzensberger genannte,
die aber in dem einen wie in dem anderen Fall die
Beschäftigung mit dem tatsächlichen Sachverhalt nicht
ersetzt. Allerdings relativiert sich nach meinem vorläufigen
Eindruck die Frage schon ein wenig, wenn sie mit der notwendigen
Zusatzfrage verbunden wird, wer denn bitte schön die
Plätze in Zukunft besetzen solle, um die man die
Rundfunkräte schleunigst um Parteien- oder
Parlamentsvertreter, entlasten würde. Da wird man wohl bei
neuem Nachdenken über die sich daraus ergebende alternative
Besetzung vermutlich auch nicht rundum nur Glücksgefühle
in dieser Gesellschaft organisieren. Deswegen empfiehlt sich immer,
Veränderungen unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob sich
damit die begründete Aussicht verbindet, dass der neue Zustand
besser werde als der alte.
Dass unter diesem Gesichtspunkt des Einflusses von Politik auf
Medien auch die Medienbeteiligungen einer großen Volkspartei
immer wieder Gegenstand kritischer Nachfrage sind, kann nicht
weiter überraschen. Was die Verbindung von Printmedien und
elektronischen Medien angeht, teile ich, Herr Kollege Beck,
ausdrücklich Ihre Auffassung, dass es schon ein bisschen
bedenklich ist, dass durch eine zügige Intervention des
Kartellamtes nicht nur die beabsichtigte vollständige
Übernahme von N-TV durch RTL untersagt worden ist, sondern
auch die Übernahme des großen TV-Pakets von Pro7/Sat1
durch den Springerkonzern. Dass damit eine Reihe von
schwerwiegenden medienpolitischen und wettbewerbsrechtlichen Fragen
verbunden ist, bedarf keiner Erläuterung. Aber dass ein
zweiter großer Medienkonzern in Deutschland, übrigens
auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten, vielleicht nicht nur
Probleme, sondern auch Chancen eröffnet hätte, dies ist
leider gar nicht mehr Gegenstand einer differenzierten Betrachtung
geworden, weil alle Beteiligten relativ schnell vor den absehbar
riesigen Problemen eines in Deutschland besonders umstrittenen
Genehmigungsprozesses resigniert haben. Zu den Fragen, über
die es in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch einmal
nachzudenken lohnt, gehört ja vielleicht auch die, ob für
die seltenen, aber gelegentlich vielleicht doch notwendigen
Ausnahmen von der Routinebehandlung von Kartellfällen die
berühmte Ministererlaubnis der intelligenteste Weg ist. Oder
ob man sich da nicht auch andere Verfahren vorstellen könnte,
die nicht reflexartig neben den ohnehin vorhandenen Zweifeln an der
Genehmigungsfähigkeit des jeweils konkreten Streitgegenstandes
noch die zusätzlichen Zweifel an der Eignung genau dieses
Ministeriums und dieses Ministers für die Behandlung genau
dieser Fragen zur Verkomplizierung des Bildes fast unvermeidlich
nach sich ziehen.
Im Zusammenhang mit der Frage Medienmacht und Kontrolle dieser
Macht finde ich beruhigend, dass ja nicht nur von Seiten der
Politik gegenüber den Medien, sondern auch von Seiten der
Wissenschaft wie von Seiten der Repräsentanten der Medien
selbst gelegentlich selbstkritisch die Frage behandelt, jedenfalls
angesprochen wird, wie es denn eigentlich mit der Kontrolle dieser
ohne Zweifel vorhandenen Einflussmöglichkeiten der Medien
bestellt sei. In einer Publikation zum Thema Kommunikation, Medien
und Macht aus dem Jahre 1999 finde ich eine wiederum zugespitzte,
aber diskussionswürdige Bemerkung der beiden Autoren
Rudolf Maresch und Nils Werber, die ich gerne
zitieren möchte: „Die Medien,“ schreiben die
beiden, „haben die Ausdifferenzierung der öffentlichen
Gewalt in Legislative, Judikative und Exekutive eingeebnet, indem
sie neben die traditionellen Rollen des Anwalts und Anklägers
auch noch die Instanz des Richters gesetzt haben.“
Ich will Ihnen ein Beispiel aus den allerletzten Tagen aus dem
eigenen Verantwortungsbereich nennen, bei dem ich mich unter diesem
und nur unter diesem Gesichtspunkt auch ein bisschen unangenehm
berührt gefühlt habe. Die meisten von Ihnen wissen, es
gibt mit Beginn dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages
veränderte, deutlich verschärfte Verhaltensregeln und
Veröffentlichungspflichten für Mitglieder des Deutschen
Bundestages, gegen die nun eine Hand voll Kollegen aus drei
verschiedenen Fraktionen das Bundesverfassungsgerecht angerufen
haben, weil sie persönlich Zweifel an der
Verfassungskonformität der Auskunfts- und
Veröffentlichungspflichten haben, die diese vom Bundestag
beschlossen Regeln nach sich ziehen. Das ist ein hochkomplexes
Thema, das jede kritische Betrachtung verdient und rechtfertigt.
Natürlich müssen sich Abgeordnete, auch eine
gegebenenfalls ironisierende Behandlung ihrer eigenen
Tätigkeiten neben dem Mandat gefallen lassen. Das gehört
nun wiederum in die Abteilung Meinungsfreiheit und Pressefreiheit.
Aber die gelegentliche Attitüde, in ein und demselben Vorgang,
nicht nur über eine eingerechte Klage berichten, sie zweitens
kommentieren, zu bewerten, sondern scheinbar auch noch die einzig
zulässige rechtliche Würdigung vornehmen zu sollen, hat
schon etwas monströses. Sie wird nicht immer meinem
Verständnis der Unterschiede gerecht, die es in unserer
Verfassungsordnung zwischen den Verfassungsorganen auf der einen
Seite und den Medien auf der anderen Seite gibt und hoffentlich
auch in Zukunft gilt. Dass die Medien längst auch in der
Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit Bestandteil dieses
System geworden sind, ist schwerlich zu übersehen. Und
vielleicht erklärt sich manche Ruppigkeit von Journalisten im
Umgang mit Repräsentanten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur
oder Politik mit dem Bedürfnis der Kompensation gegenüber
dem Verdacht der Kumpanei. Dem kann man vielleicht am
wirkungsvollsten dadurch entgegen treten, dass man besonders ruppig
gegenüber anderen auftritt. Nicht immer ganz ist dabei
zweifelsfrei, ob der Grad der eigenen Information die Höhe des
eigenen Selbstbewusstseins erreicht hat.
„Das demokratische System, zu dem sich unser Staat
bekennt, beruht auf der Überzeugung, dass man den Menschen die
Wahrheit sagen kann.“ Dieser schöne Satz ist leider
nicht von mir, sondern von Carl-Friedrich von Weizsäcker. Die
Bedeutung der Medien für unsere Demokratie beruht nicht
zuletzt auf der begründeten Vermutung, dass Politik nicht nur
und nicht immer und schon gar nicht immer vorrangig an Wahrheit
orientiert ist. Aber könnte es sein, dass das für die
Medien auch gilt? Ich bin ganz zuversichtlich, dass diese Frage
jedenfalls in einigen der über 20 Workshops dieses Kongresses
eine Rolle spielen wird und ich bin für jeden Hinweis dankbar,
der sich aus der Beschäftigung mit einem hochkomplizierten,
aber auch hochdringlichen Thema für den weiteren Umgang
zwischen Medien und Demokratie ergibt. In diesem Sinne wünsche
ich diesem Kongress allen denkbaren Erfolg!