Stimato Senatore Quagliarello,
Signore e Signori,
Vi ringrazio cordialmente per l’invito e per
l’opportunitá di fare luce sul tema
“identità e integrazione - due concetti fondamentali
dell’Europa di oggi.
”Già dopo queste poche parole, sicuro della Vostra
comprensione, continuerò la relazione nella mia lingue-madre
– in fondo l’identità linguistica significa
anche rispetto per il Paese ospitante e la sua lingua…
Meine Damen und Herren,
Herr Botschafter,
meine Herren Senatoren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor fast genau 200 Jahren, am 6. August 1806, hat der
österreichische Kaiser Franz II. unter dem Eindruck des
Siegeszuges Napoleons durch Europa gegen die immerhin beachtliche
Allianz von Österreich, Russland und England die deutsche
Kaiserkrone niedergelegt. Damit war das jahrhundertealte Heilige
Römische Reich deutscher Nation zu Ende. Ein Reich, das bei
genauem Hinsehen weder heilig noch römisch noch deutsch war,
aber über einen beachtlich langen Zeitraum eine jedenfalls
supranationale Verfassung nicht Europas, aber in Europa dargestellt
hat.
Von europäischer Identität oder europäischer
Integration war damals keine Rede. Als dieses Reich ruhmlos,
lautlos, beinahe unauffällig an sein Ende gekommen war, ging
eine Epoche zu Ende und es begann eine neue Epoche in Europa, die
durch das vitale Bedürfnis der Gründung von
Nationalstaaten gekennzeichnet war. In dieser Phase haben damals
sowohl Deutschland wie Italien ihre nationale Einheit gefunden. Die
Epoche der Gründung von Nationalstaaten in Europa hat manche
alten Probleme dieses Kontinentes gelöst und dabei
gleichzeitig manche neuen Probleme geschaffen, bis sich
schließlich aus der Eigendynamik kraftstrotzender
rivalisierender Nationalstaaten multipliziert mit dem
Größenwahn von Diktatoren in zwei Weltkriegen, die von
Europa ihren Ausgang nahmen, der Kontinent beinahe selbst in die
Luft gesprengt hat. Danach hat es nach meiner Beurteilung nur einen
ernstzunehmenden neuen Anlauf gegeben, aus den Erfahrungen einer
gemeinsamen Geschichte Schlussfolgerungen für eine
veränderte Zukunft zu ziehen. Und das sind die Römischen
Verträge, deren 50-Jahr-Feier wir im nächsten Jahr
begehen werden.
Die Römischen Verträge wurden abgeschlossen zwischen
sechs Gründungsstaaten, unter ihnen Deutschland wie Italien,
von denen sich damals niemand hätte vorstellen können,
dass 50 Jahre danach dieser Gemeinschaft 25, zum 1. Januar
nächsten Jahres wohl 27 Mitgliedsstaaten angehören
würden, und dass die Teilung Europas, die eine der
Anlässe und Gründe für die Bildung dieser
Gemeinschaft war, 50 Jahre danach überwunden sein könnte.
50 Jahre Europäische Gemeinschaft lesen sich auf den ersten
oberflächlichen Blick wie eine einzige ununterbrochene
Erfolgsgeschichte. Tatsächlich hat es eine vergleichbar lange
Zeit in der europäischen Geschichte nicht gegeben, die
für alle beteiligten Länder eine Periode des Friedens,
der Freiheit, der Entwicklung eines gemeinsamen Marktes und
schließlich der Einführung einer gemeinsamen
Währung, dem fast klassischen Ausdruck nationalstaatlicher
Souveränität, geworden ist. All diese Errungenschaften
erscheinen uns heute geradezu als Selbstverständlichkeit. Es
gehört überhaupt zu den merkwürdigen Begabungen der
Europäer, Ereignisse, die man jahrzehntelang für
ausgeschlossen gehalten hat, in dem Augenblick, wo sie dennoch
eintreten, für eine schiere Selbstverständlichkeit zu
halten. Die Deutschen haben diese Begabung zu einer besonderen
Perfektion entwickelt, die man nicht zuletzt im Umgang mit der
Wiederherstellung der Deutschen Einheit in einer besonders
deprimierenden Weise beobachten kann. Obwohl, vielleicht auch weil
die Europäische Gemeinschaft eine 50-jährige
Erfolgsgeschichte war, stellen wir heute fest, dass die
Begeisterung der Menschen für diese Gemeinschaft
kontinuierlich zurückgeht - übrigens in den neuen
Beitrittsländern dramatisch schneller und deutlicher als in
den alten. In Polen und Tschechien haben Parteien mit dezidiert
eurokritischen Positionen unmittelbar nach Beitritt zu dieser
Gemeinschaft Wahlkämpfe geführt und gewonnen. Von ihnen
besondere Initiativen für die weitere Entwicklung dieser
Gemeinschaft zu erwarten, lässt sich kaum anders als reines
Wunschdenken charakterisieren.
Wir befinden uns unmittelbar vor dem 50. Jubiläum der
Europäischen Gemeinschaft in einer Situation, in der die
Gemeinschaft nie so groß war wie jetzt und selten so schwach
wie gegenwärtig. Dass jedenfalls dem Zuwachs an
Größe kein entsprechender Zuwachs an Stärke
gegenübersteht, ist schwerlich zu übersehen. Das
vorläufige Scheitern des Verfassungsvertrages ist nach meiner
Überzeugung Ausdruck, aber nicht Kern der Krise, in der sich
die Europäische Gemeinschaft gegenwärtig befindet. Nach
meiner Beurteilung gibt es mindestens drei gravierende Fehler, die
in unterschiedlichen Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit
diesem Verfassungswerk unterlaufen sind und das Scheitern des
Ratifizierungsprozesses erklären helfen.
Der erste vordergründige Aspekt ist die Durchführung
unnötiger Referenden in zwei Gründungsstaaten der
Europäischen Gemeinschaft, Frankreich und den Niederlanden,
die weder allein aus europapolitischen Gründen initiiert noch
allein aus europapolitischen Gründen gescheitert sind.
Der zweite aus meiner Sicht beachtliche Grund ist ein
bemerkenswerter Vollständigkeitswahn, der bei der
Komplettierung dieses Textes wie in einem wechselseitigen
Überbietungswettbewerb zu beobachten war und der am Ende die
Bürger Europas eher mit einer Enzyklopädie
europäischer Richtlinien konfrontiert hat als mit einer Magna
Charta dessen, was wir uns unter dieser Gemeinschaft
vorstellen.
Und drittens schließlich hat man ausgerechnet dieses
enzyklopädische Kompendium mit dem Anspruch einer Verfassung
beklebt, ein Anspruch, dem dieser Text eben nicht genügt,
weder aus formellen noch aus materiellen Gründen. In dieser
Diskrepanz zwischen Volumen und Substanz war die Skepsis geradezu
programmiert, die sich beinahe folgerichtig in gescheiterten
Referenden niedergeschlagen hat.
Nun haben sich alle Regierungen für die beteiligten
Mitgliedsstaaten eine Denkpause verordnet, die auch offenkundig
dringend nötig ist. Die Frage ist, ob und welche Ergebnisse
wir aus dieser Denkpause gewinnen.
Senator Pera hat in seinem mich sehr beeindruckenden, gemeinsam
mit dem damaligen Kardinal Ratzinger herausgegebenen Buch
„Ohne Wurzeln. Die Krise der Kultur Europas“ vom
Unbehagen Europas geschrieben, „das reich, aber unsicher und
unfähig ist, das Problem seiner eigenen Identität und
Zukunft zu lösen. Im gleichen Kontext haben sie vom
„Überdruss des Westens an seinen eigenen Prinzipien und
Werten“ gesprochen.
Ich fürchte, der Befund ist richtig. Und wenn ich vorhin im
Blick auf den Verfassungsvertrag davon gesprochen habe, dass
für mich das Scheitern dieses Vertrages nicht der Kern,
sondern der Ausdruck der Krise ist, dann deswegen, weil ich den
Kern eher dort vermute, wo Senator Pera ihn beschrieben hat: in
einer beachtlichen Verunsicherung Europas mit Blick auf seine
eigene Identität.
Deswegen ist keine andere Frage dringlicher als die Klärung
genau dieser Frage: Welches Europa wollen wir eigentlich? Haben wir
überhaupt eine gemeinsame Vorstellung von Europa? Wollen wir
überhaupt eine gemeinsame Vorstellung von Europa zur Grundlage
einer gemeinsamen Verfassung machen? Und wächst eigentlich die
Aussicht auf Gemeinsamkeit nicht nur in Regeln, sondern in
Überzeugungen mit der Anzahl der Teilnehmer, die in der
gleichen Organisation beteiligt werden sollen und/oder wollen?
Ich persönlich vermute, dass in ein paar Jahren sich die
Historiker intensiv mit der Frage beschäftigen und
möglicherweise auch heftig darüber streiten werden, ob es
vielleicht der größte einzelne, dann allerdings
historische Fehler der 50-jährigen Geschichte der
Europäischen Gemeinschaft war, die Erweiterung der
Gemeinschaft um neue Mitgliedsstaaten mit zeitlichem Vorrang vor
der Vertiefung zu behandeln und damit im Ergebnis faktisch
möglicherweise die Erweiterung der Vertiefung vorgezogen zu
haben. Jedenfalls macht jeder nüchterne Blick auf die
tatsächliche Verfassung dieser Gemeinschaft mit 25,
demnächst 27 Mitgliedsstaaten offenkundig, dass die Aussicht
auf Vertiefung, auf notwendige institutionelle Reformen zur
Sicherung der Handlungsfähigkeit einer solchen Gemeinschaft,
wenn sie denn mehr sein will als ein Club, ein politischer Verein
mit der zunehmenden Zahl der Mitgliedsstaaten dramatisch gesunken
ist. Dies liegt übrigens keineswegs nur an der Anzahl der
weiteren Mitgliedsstaaten, sondern an deren spezifischer
historischer Erfahrung, die nicht identisch ist mit der Erfahrung,
die die Gründungsstaaten und eine Reihe später
hinzugekommener westeuropäischer Länder veranlasst haben,
diese Gemeinschaft zu bilden. Und auch wenn ich weiß, dass
historische Vergleiche selten zutreffen, erlaube ich mir ohne jeden
Anspruch auf Beweisführung schlicht als Illustration den
Hinweis, dass auch das römische Weltreich am Ende nicht an
rapider Schrumpfung zugrunde gegangen ist, sondern an der
Eigendynamik eines Wachstums, das nicht mehr zu beherrschen
war.
Europa muss nach meiner festen Überzeugung eine Reihe von
Fragen dringlich beantworten, die wir eine Reihe von Jahren aus
mehr oder weniger guten Gründen vertagt, nicht gestellt,
jedenfalls nicht beantwortet haben. Dazu gehört ganz
wesentlich auch die Frage, ob Europa eigentlich Grenzen hat und,
falls ja, wofür ja einiges spricht, wo diese Grenzen liegen.
Allein unter diesem Gesichtspunkt, aber keineswegs nur unter diesem
Gesichtspunkt, wird die Entscheidung über eine Mitgliedschaft
der Türkei in der Europäischen Gemeinschaft eine
Schlüsselfrage für die faktische Beantwortung der Frage,
was wir uns unter Europa vorstellen. Wenn die Neigung zur Vertagung
der Fragen nach der inneren Konsistenz, nach der Identität der
Europäischen Gemeinschaft andauert, ersetzt am Ende
möglicherweise die Beantwortung der Beitrittsfrage der
Türkei die vorherige Beantwortung dieser Frage. Jedenfalls
kann doch kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass sich mit
der positiven oder negativen Entscheidung der Mitgliedschaft der
Türkei sowohl quantitativ wie qualitativ jeweils völlig
andere Perspektiven der Europäischen Gemeinschaft
eröffnen. Das hat was mit der Anzahl weiterer Mitgliedsstaaten
zu tun, denen man nach meiner Überzeugung einen Beitritt
ernstlich nicht verwehren könnte, weder unter geografischen
noch unter historischen noch unter kulturellen Gesichtspunkten,
wenn die Türkei ein ernsthafter Beitrittskandidat ist, und
schließt natürlich die zentrale Frage der
Identität, der kulturellen Identität Europas ein. Etwas
akzentuiert formuliert: Mit dieser Frage ist im Ergebnis auch die
Antwort verbunden, ob Europa tatsächlich eine politische
Gemeinschaft wird, die auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen
gemeinsame Interessen wahrnimmt und gemeinsame Herausforderungen
bewältigt, oder ob es eine kleinere, schickere Ausgabe der
Vereinten Nationen wird, mit nicht ganz so vielen Mitgliedsstaaten
wie die UN, aber operativ ähnlich bedeutungslos.
Wir müssen uns nicht nur wegen des Jubiläums - aber
allein dieses ist ein hinreichend guter Anlass - auf die geistigen
Grundlagen besinnen, die der Gründung dieser Europäischen
Gemeinschaft zugrunde gelegen haben und von denen wir wissen
müssen, ob wir sie als Grundlage dieser Gemeinschaft für
die Zukunft reaktivieren wollen oder ob wir sie mit den
angedeuteten Konsequenzen für den weiteren Entwicklungsprozess
dieser Gemeinschaft für verzichtbar halten.
Ich will dazu ein paar Hinweise geben, um zu verdeutlichen,
warum mir die Revitalisierung der kulturellen Grundlagen der
Europäischen Gemeinschaft so wichtig erscheint und warum ich
sie für die Schlüsselfrage der Zukunft dieses Kontinents
halte. Nicht nur für Europa, sondern auch für ihre
einzelnen demokratisch verfassten Nationalstaaten ist immer wieder
die Frage gestellt worden, ob der moderne demokratische
Verfassungsstaat sich selbst garantieren kann oder ob er auf
normativen Voraussetzungen beruht, die er selbst nicht schaffen
kann, ohne die er seine Existenz aber nicht sichern kann. Wo immer
diese Frage ernsthaft erörtert worden ist, ist sie
regelmäßig mit der Einsicht beantwortet worden, dass der
säkulare Staat seine normativen Grundlagen nicht aus eigenen
Ressourcen schafft und deswegen auch nicht selbst erneuern
könne, sondern auf weltanschauliche, auf religiöse,
jedenfalls auf kollektiv verbindliche ethische Überlieferungen
angewiesen sei. Wenn man diese in verschiedenen Ländern, in
Deutschland, in Italien, in Frankreich auch in der
wissenschaftlichen Literatur anzutreffende Überzeugung vor
Augen hält, dann ist die öffentliche Diskussion in
unseren Ländern und schon gar in der europäischen
Öffentlichkeit, die es kaum gibt, zu diesem Thema
auffällig mutlos. Sie ist gekennzeichnet durch die
möglichst sorgfältige Vermeidung von Festlegungen. Und
dieses Bedürfnis, Festlegungen zu vermeiden, korrespondiert
mit dem ausdrücklichen, oft vordergründigen Bekenntnis
zur Multikulturalität, Dialogbereitschaft und Toleranz, was
immer das dann im Einzelnen auch bedeuten mag.
Dabei setzt im übrigen die Bereitschaft zum Dialog als
Mindestvoraussetzung einen eigenen Standpunkt voraus. Gelegentlich
kann man sich aber nur schwer des Eindrucks erwehren, dass die
Forderung nach Dialog immer häufiger als Ersatz für den
eigenen Standpunkt vorgetragen wird. Wir müssen nach meiner
festen Überzeugung aufpassen, dass wir nicht einer der beiden
großen Übertreibungen zum Opfer fallen, die
gegenwärtig weltweit zu beobachten sind. Zum einen ist das die
Anmaßung, religiöse Überzeugungen mit
fundamentalistischem Eifer gleichzeitig als staatliche verbindliche
Vorgaben allgemeinverbindlich durchsetzen zu wollen - ein
großer globaler Trend, mit dem wir seit Jahren konfrontiert
sind. Zum anderen ist es die Leichtfertigkeit, religiöse
Überzeugungen für irrrelevant, bedeutungslos oder
belanglos zu halten. Der zweite Irrtum ist nicht weniger
gefährlich als der erste. Manche Intellektuelle in Europa
haben zu lange in richtiger Distanzierung gegenüber der ersten
die zweite Übertreibung gefordert oder gefördert.
Vielleicht hängt das auch mit der doppelten Verunsicherung des
modernen Menschen zusammen, die sich zugleich in der Sehnsucht nach
allgemeinverbindlichen Werten und in dem Unwillen zur Bindung
ausdrückt. Wie schön wäre es, wenn irgendetwas ein
für allemal wahr und richtig wäre, und um wie viel noch
schöner wäre es, wenn man sich nicht darauf festlegen
muss.
Allerdings ist die Fähigkeit zur Bindung nicht nur Ausdruck
von Freiheit, wahrscheinlich ist sie auch Voraussetzung für
Freiheit, so wie die Bereitschaft zum Konsens Voraussetzung der
Konfliktfähigkeit einer Gesellschaft ist. Hier liegt eines der
großen Themen, die wir zu lange in der Politik
vernachlässigt haben. Gerade wenn man eine liberale
Gesellschaft will, wenn man individuelle Freiheit will, nicht nur
als rhetorische Floskel, sondern als alltägliche
Realität, dann bedeutet das Bekenntnis zur individuellen
Freiheit das Bekenntnis zur Unvermeidlichkeit von Konflikten.
Konflikte kann sich aber eine Gesellschaft überhaupt nur
erlauben, wenn es das Mindestmaß an Gemeinsamkeit gibt, das
sicherstellt, dass eine Gesellschaft mit ihren Konflikten friedlich
fertigwerden kann. Ohne ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit
erträgt eine Gesellschaft keine Vielfalt. Deswegen ist dies
eine der unsinnigen, wenn auch weit verbreiteten
Scheinalternativen, die in dieser Diskussion immer wieder
vorgetragen werden, als ginge es um Vielfalt oder Gemeinsamkeit, um
Pluralität oder Identität. Jeder aufgeklärte Blick
auf den komplizierten Zusammenhang macht deutlich, das eine ist
ohne das andere nicht zu haben. Integration setzt Identität
voraus. Übrigens schon als individueller Vorgang, als
sozialer, als gesamtgesellschaftlicher allemal. Wir machen in
Deutschland nun seit einer Reihe von Jahren außerordentlich
schwierige Erfahrungen mit den Integrationsproblemen, die sich aus
der Migration von Menschen aus anderen kulturellen Kontexten
ergeben. Und wir haben - übrigens heftig unterstützt
durch moderne Medien, die gewissermaßen die Abschottung der
neuen Heimat gegenüber der Herkunftswelt perfekt machen -
ganze Stadtteile in Deutschland, in denen es die viel beschriebenen
Parallelgesellschaften gibt, in denen die Integration schon
deswegen nicht mehr scheitern kann, weil sie gar nicht mehr
versucht wird. Da leben Menschen nebeneinander in völlig
abgeschlossenen Kontexten, da kann Integration nicht stattfinden,
weil sie weder auf der einen noch auf der anderen Seite ernsthaft
versucht wird, weil es das Mindestmaß an Gemeinsamkeiten
nicht gibt, das Voraussetzung für Verständigung ist und
schon gar die Mindestvoraussetzung für Integration.
Wenn ich auch mit Blick auf den mehrfach angesprochenen
Europäischen Verfassungsvertrag für die Revitalisierung
der kulturellen Grundlagen dieser Europäischen Gemeinschaft
werbe, dann deswegen, weil Verfassungen, gründlich betrachtet,
in ihrem Kern kulturelle Setzungen sind und nichts anderes.
Verfassungen fallen nicht vom Himmel. Sie werden auch nicht im
Himmel konserviert, wenn auf Erden die Zeiten turbulent geworden
sind. Die Voraussetzung jeder Verfassung ist Kultur. Deswegen sind
übrigens die Verfassungen auf der Welt so verschieden, wie sie
sind. Verfassungen sind immer der Ausdruck der historischen
Erfahrungen, die ein Land mit sich selbst gemacht hat. Sie sind
Ausdruck der Traditionen, die es in einem Land gibt. Sie sind
Ausdruck der Überzeugungen, die in einem Volk über
Generationen gewachsen sind. Sie sind Ausdruck der religiösen
Überzeugungen, die es in einem solchen Gebiet gibt oder nicht
gibt. Und sie haben, meine Damen und Herren, so lange Bestand, wie
diese kulturellen Grundlagen Bestand haben. Die Vorstellung, eine
Verfassung könne als freischwebender Überbau
unabhängig von der kulturellen Basis, aus der heraus sie
entstanden ist, ihre Existenz behaupten, läuft auf die naive
Vorstellung hinaus, nun müsse man sich um die Wurzel nicht
mehr kümmern, nachdem die Bäume so prächtig gediehen
sind. Sie gedeihen aber nur so lange, wie die Wurzeln intakt
sind.
Wenn ein Europa der Vielfalt nationale Identitäten bewahren
und dennoch eine kollektive Identität entwickeln soll, braucht
es eine politische Leitidee, ein gemeinsames Fundament von Werten
und von Überzeugungen. Und eine solche europäische
Leitidee kann sich nur beziehen auf gemeinsame kulturelle Wurzeln,
auf eine gemeinsame Geschichte, auf gemeinsame religiöse
Traditionen. Dieses vereinende Fundament bleibt konstitutiv
für die europäische Identität. Jedenfalls für
das Europa, das ich meine, wenn ich von Europa rede. Für mich
ist Europa nicht eine geografische Bezeichnung. Vielleicht auch
eine geografische Bezeichnung. Europa ist mehr als ein
Zusammenschluss von Nationalstaaten, Europa ist mehr als ein Markt,
Europa ist mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft, allemal mehr, als
eine gemeinsame Milchpreisordnung, gemeinsam finanzierte
Subventionen für Kohle, Stahl, Wein oder was auch immer.
Europa ist eine Idee, Europa ist eine Gesinnung, Europa ist eine
Sichtweise vom Menschen, Europa ist eine Vorstellung vom Anspruch
der Menschen auf Teilhabe an ihren eigenen Angelegenheiten. Europa
ist eine Vorstellung von der Selbstverantwortung des Menschen und
von der Notwendigkeit und Möglichkeit der staatlichen
Organisation des Umgangs selbstverantwortlicher Menschen
miteinander. Nur ein solches Europa rechtfertigt die Anstrengungen,
die der Zusammenschluss von Nationalstaaten mit einer jeweils
ehrwürdigen jahrhundertealten Geschichte unvermeidlich macht.
Ich fürchte, dass auch in der Außenwahrnehmung der
Europäischen Gemeinschaft bei vielen anderen Ländern der
Eindruck entstanden ist, diese Union sei sich nicht gewiss
über das, was sie will, was sie sein will.
Das ist wieder dieses Unbehagen, von dem Senator Pera
geschrieben hat. Auch der Überdruss an den eigenen Werten und
Überzeugungen, den man sich nicht mehr offensiv vorzutragen
traut, und schon gar die Zögerlichkeit, Bindungen zu
akzeptieren. Und Bindungen nicht nur als Zumutung zu begreifen,
sondern als Voraussetzung für die Verortung in einer Welt, in
der man seinen Platz braucht, schon gar dann, wenn sich die
Verhältnisse um einen herum mit einer immer
größeren Geschwindigkeit verändern.
Der verstorbene Papst Johannes Paul II. hat immer wieder in
seinen Reden und Predigten darauf hingewiesen, „die
Identität des europäischen Kontinents lässt sich
ohne das Christentum nicht verstehen.“
Das ist wohl das Mindeste, was man offenkundig festhalten muss,
dass sich die Geschichte dieses Kontinents ohne die Geschichte des
Christentums nicht schreiben, nicht erzählen, nicht begreifen
lässt. Die politisch spannendere Frage ist, ob dieser
Zusammenhang nicht nur für das Verstehen nötig, sondern
für die Identität erforderlich ist. Auch hier habe ich
bei Herrn Kollegen Pera eine bemerkenswerte Formulierung gefunden,
die ich gerne in einer leichten Variante vertreten möchte.
Sie, Herr Pera, haben in Ihrem Buch geschrieben: „Das
Christentum ist von seinem Wesen her derart mit dem Westen
verbunden, dass ein Rückzug verheerende Konsequenzen
hätte.“
Wäre der Satz nicht immer noch richtig, wenn man ihn wie
folgt variierte: Der Westen ist von seinem Wesen her derart mit dem
Christentum verbunden, dass die Auflösung dieser Verbindung
für beide verheerende Konsequenzen haben könnte?!
Ich ahne, dass dies keine massenmedial populären Gedanken
sind. Aber ich habe persönlich nicht den geringsten Zweifel
daran, dass es die zentralen Fragen sind, die wir nicht länger
vertagen dürfen, die wir beantworten müssen,
übrigens einschließlich der Souveränität,
unterschiedliche denkbare Antworten als zulässige Antworten zu
ertragen. Aber wir dürfen die Beantwortung dieser Fragen nicht
länger verweigern. Wir dürfen nicht länger uns und
anderen einreden wollen, das kläre sich von selbst. Ich habe
eine bestimmte Ahnung, wie die Beantwortung der Frage aussähe,
die anstelle einer klaren Positionierung sich in dieser
Gemeinschaft von 25, demnächst 27, in absehbarer Zukunft
über 30 Mitgliedsstaaten ereignen würde, wenn sie nicht
bewusst gegeben wird.
Papst Benedikt, ein Papst, der aus Deutschland kommt und der
sowohl aufgrund seiner Laufbahn als Priester, als Bischof, als
Wissenschaftler, als Theologe wie aufgrund seiner Teilhabe an den
Erfahrungen eines Landes, das besonders bittere Erfahrung mit dem
Verlust des Zusammenhanges zwischen politischen Regeln und
kulturellen Überzeugungen gemacht hat, hat vor und nach der
Übernahme des Pontifikats immer wieder auch und gerade mit
Blick auf den Europäischen Verfassungsvertrag auf dieses
offenkundige Defizit hingewiesen. Die Unbedingtheit, beschreibt er
in einer Rede, die er vor dem italienischen Senat vor zwei Jahren
gehalten hat, die Unbedingtheit, mit der Menschenwürde und
Menschenrechte als Werte proklamiert werden, die jeder staatlichen
Rechtsetzung vorangehen, kodifizieren ganz wesentlich christliches
Erbe, dass gleichwohl nur verschämt neben anderen kulturellen
Traditionen als Fundament reklamiert und schon gar nicht für
allgemein verbindlich erklärt wird. Der Zustand der mentalen
Verdrängung von Zusammenhängen findet seinen schon gar
nicht mehr als Problem wahrgenommenen Ausdruck in der
Gleichgültigkeit, christliche Wertüberzeugungen als
selbstverständliche Prinzipien einer europäischen
Gemeinschaft zu reklamieren, ohne sich zu trauen, den Zusammenhang
als solchen kenntlich zu machen. Im Gegenteil: Die sorgfältige
Verschleierung des Zusammenhangs ist bei genauem Hinsehen eine der
Voraussetzungen für die Vereinbarkeit dieses Verfassungstextes
gewesen. Papst Benedikt schreibt, „Europa braucht aber eine
neue, gewiss kritische und demütige Annahme seiner selbst,
wenn es überleben will“.
Europa braucht eine gewiss kritische und demütige Annahme
seiner selbst, wenn es überleben will. Dass Europa
überleben will, daran habe ich keinen Zweifel. Ob Europa sich
hinreichend darüber im Klaren ist, welche Voraussetzungen sein
Überleben hat, daran sind Zweifel erlaubt. Diese Zweifel
auszuräumen, ist unsere gemeinsame Aufgabe.