Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
dem Nordrhein-Westfälischen Landtag,
dem Rat der Stadt Gelsenkirchen,
aus den kommunalen Vertretungen hier im Ruhrgebiet,
liebe Sportsfreunde,
liebe Ausländerfreunde,
liebe Demokraten,
meine Damen und Herren!
Die Fußballweltmeisterschaft ist ein großes
Sportereignis und sie ist zugleich das größte Fest, das
weltweit gefeiert wird. Wir freuen uns, dass Deutschland Gastgeber
dieses großen Ereignisses sein darf. Das Motto dieser
Fußballweltmeisterschaft lautet: „Die Welt zu Gast bei
Freunden“ und genau so wollen wir diese Veranstaltung
ausrichten: als ein gastfreundliches Land, weltoffen, tolerant,
freundlich, fröhlich, selbstbewusst. Und genau diese Stimmung
werden wir uns von überhaupt niemanden zerstören oder
vermiesen lassen.
Es geht im übrigen bei diesem großen Ereignis nicht
nur um einen sportlichen Titel, der ist auch ganz interessant und
wenn wir Glück haben, sind wir daran beteiligt, wer ihn am
Ende gewinnt. Es geht schon gar nicht nur um Geld oder Kommerz, es
geht um Freundschaft und Völkerverständigung, die
länger halten sollen, als der Rausch eines Spieles oder eines
Sieges.
Meine Damen und Herren, in einem freien Land können wir
nicht verhindern, dass Betonköpfe, Dummköpfe, Extremisten
oder Chaoten vor den Augen der Weltöffentlichkeit durch die
Straßen ziehen und rassistische und ausländerfeindliche
Parolen vertreiben. Aber wir können verhindern, dass sie die
Straßen und Plätze dominieren und das Bild unseres
Landes im Ausland prägen und verzerren. Und genau deswegen
sind wir heute Mittag hier. Wie alle, die heute hier sind,
ärgere ich mich natürlich darüber, dass der einzig
halbwegs intelligente Einfall, der diesen verlotterten
Rechtsextremisten überhaupt einfällt, der gewesen ist,
just die Tage der Weltöffentlichkeit in Deutschland für
einen dieser miesen Aufzüge zu nutzen. Deswegen will ich, weil
hier manches verständlicherweise Kritisches zum
Bundesverfassungsgericht gesagt worden ist, noch eine klarstellende
Bemerkung machen. Das Bundesverfassungsgericht hat in unserer
Verfassungsordnung nicht die Aufgabe, kleine verlorene, verlotterte
Minderheiten an der Verbreitung ihrer schwachsinnigen Parolen zu
hindern. Es ist unsere Aufgabe als Demokraten, deutlich zu machen,
dass das mit der Mehrheit dieses Landes nichts, aber auch
überhaupt nichts zu tun hat.
Deutschland ist ein Land, das nach bitteren Erfahrungen mit
Extremismus und Gewalt, vielleicht gründlicher als andere
Länder seine historischen Lektionen gelernt hat. „Nie
wieder“, hieß es gerade eben im Lied. Wir wollen nie
wieder zurück in einen solchen braunen Sumpf, wie wollen nie
wieder zurück in autoritäre oder totalitäre
Verhältnisse, die es im 20. Jahrhundert in verschiedenen
Phasen unserer Geschichte leider hierzulande gegeben hat.
Das Wesen der Demokratie besteht nicht zweifellos darin, dass
Mehrheiten entscheiden. Ja. Aber die Qualität einer
freiheitlichen Gesellschaft erkennt man weniger darin, dass
Mehrheiten entscheiden, man erkennt sie darin, wie eine
Gesellschaft mit ihren Minderheiten umgeht. Dass nicht nur die
Entscheidung der Mehrheit gilt, sondern dass Minderheiten Rechte
haben und dass sie von niemandem auch von Mehrheiten nicht
angetastet werden dürfen. Toleranz und Weltoffenheit sind
Markenzeichen einer freiheitlichen Gesellschaft. Deshalb
dürfen Extremismus, Rassismus und Antisemitismus bei uns keine
Chance haben.
Und dass dieses Land seine Lektion gelernt hat, das merkt man
auch an der großen Zahl von Menschen, die heute, bei einem
Wetter, das ja vielleicht auch für andere Veranstaltungen
geeignet gewesen wäre, gekommen sind, um deutlich zu machen,
jawohl das ist unsere Verantwortung, die wir auch selber wahrnehmen
wollen und selber wahrnehmen müssen. Im übrigen wissen
wir ja auch, aber nicht nur aus den Erfahrungen auf dem
Fußballplatz, dass der Ausgang eines Spiels nicht nur von
einem schlagkräftigen Angriff, sondern auch von einer
entschlossenen Abwehr abhängt. Und dass man, schon viele Tore
schießen muss, wenn man über erkennbare Schwächen
in der Abwehr verfügt. Deswegen sollten wir mit und ohne den
weiteren Turnierverlauf auch unter politischen Gesichtspunkten
diesen Zusammenhang unbedingt im Auge behalten.
Und da ich gerade über den naheliegenden Zusammenhang von
Politik und Fußball rede, begrüße ich mit
besonderer Freude den Vizekanzler, unseren Minister Franz
Müntefering, mit dem mich im übrigen ja nicht nur eine
etwas überraschende gemeinsame Koalition verbindet, wir beiden
haben auch eine Reihe von Jahren in der Fußballmannschaft des
Deutschen Bundestages zusammen gespielt. Der Oberbürgermeister
wird sich dabei was gedacht haben, dass er ausgerechnet uns beide
zu dieser Veranstaltung eingeladen haben, weil er wahrscheinlich
sicherstellen wollte, dass hier Leute zu Wort kommen, die sowohl
was von Demokratie wie von Fußball verstehen und vor allem,
wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.
Da wir gerade von Fußball sprechen, empfehle ich uns zwei
feste Regeln aus diesem Sport auch für die Politik in
Erinnerung zu rufen: einmal, wer Foul spielt, fliegt raus, der hat
im Spiel nichts mehr zu suchen, der hat sich selbst aus dem Spiel
heraus katapultiert. Und zweitens, wer sich in Abseits begibt, wird
abgepfiffen und aus dem Spiel genommen. Und das müssen alle
diejenigen wissen, die ganz offenkundig nicht mit der Mannschaft,
sondern gegen die Mannschaft spielen und ihr eigenes, kleines,
einsames, braunes Süppchen irgendwo gegen den Rest der Truppe
kochen wollen.
Im übrigen möchte ich auf einen bisher gelegentlich
übersehenen Punkt gerne aufmerksam machen, im Zusammenhang mit
einer Demonstration, die sich gegen Ausländerfeindlichkeit und
Rassismus und Rechtsextremismus und schon gar gegen Gewalt wendet.
Bei dem großen Fußballturnier, über das wir uns
alle freuen, sind rund 700 Fußballer beteiligt. Und von
diesen 700 Fußballern sind ganze 22 Deutsche. Und wir
können heil froh sein, dass wir dabei sind. Wir sind
übrigens die einzigen, die sich sportlich nicht qualifizieren
mussten. Als Gastgeber waren wir gewissermaßen gesetzt, ich
möchte gar nicht darüber spekulieren, ob wir dabei
wären, wenn wir uns in gleicher Weise hätten
qualifizieren müssen, wie die große Mehrheit der
Ausländer, die dieses Turnier mit uns gemeinsam
ausspielen.
Meine Damen und Herren, wir im Ruhrgebiet wissen vielleicht noch
besser als andere, dass es nicht nur nötig, sondern auch
möglich ist, das Zusammenleben von Menschen mit ganz
unterschiedlicher Herkunft und Heimat und auch ganz
unterschiedlichen kulturellen Verbindungen zu organisieren. Diese
Region, das Ruhrgebiet, ist überhaupt erst durch Zuwanderung
entstanden. Es gäbe diese Region überhaupt nicht, wenn es
nicht hier Jahrzehnte lang seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine
kontinuierliche Zuwanderung gegeben hätte. Und wenn diese
Region nicht begriffen hätte, dass sich daraus nicht nur
gelegentlich – das ist ja wahr – Probleme und
Schwierigkeiten ergeben, sondern dass das auch eine riesige Chance
ist. Diese Region hat diese Chance genutzt, deswegen könnte
diese Demonstration auch nirgendwo besser stattfinden, als mitten
im Ruhrgebiet, hier in Gelsenkirchen.
Und deshalb mache ich mich gerne zum Sprecher aller Demokraten
aus all den Parteien, die in den deutschen Parlamenten diesem
Staat, dieser Verfassung sich verpflichtet fühlen. Wir dulden
in diesem Land keinen Fremdenhass! Mit uns nie mehr! Dies ist unser
Land, und wenn wir sagen unser Land, dann meinen wir all
diejenigen, die in diesem Land zusammen leben. Leute mit deutschem
und mit einem anderen Pass. Wir alle sind Deutschland. Wir alle
haben unser Stück Verantwortung, für das, was aus diesem
Land wird. Und dieses Land ist eine Demokratie und muss es bleiben
und deswegen wird mit unserer auch nur duldenden Mitwirkung nie
wieder in diesem Land irgendwas passieren, dass entweder das
Ansehen oder die demokratischen Strukturen dieses Landes
beschädigen. In diesem Sinne danke ich allen, die heute
gekommen sind, für ihr Engagement und freue mich mit allen auf
hoffentlich vier fröhliche festliche Wochen eines großen
sportlichen Ereignisses