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60 Jahre Bundestagsgeschichte – das sind 16 Legislaturperioden, acht Bundeskanzler und unzählige Reden, die im Plenum des Parlaments gehalten wurden. Einige Debatten in dieser Zeit waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Entscheidungen und Dispute der bisherigen 16 Wahlperioden.
Kaum ein anderes Thema wurde zu Beginn
der fünfziger Jahre in Deutschland so kontrovers diskutiert
wie die Frage der Wiederbewaffnung. Während Bundeskanzler
Konrad Adenauer (CDU) und seine schwarz-gelbe Koalition eine
Aufrüstung befürworteten, formierte sich in Opposition
und Öffentlichkeit Protest.
Verschärft wurde dieser besonders durch den Ausbruch des Koreakriegs: Die USA drangen auf einen deutschen Verteidigungsbeitrag. Frankreich aber stand dem skeptisch gegenüber: Nur eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), in die deutsche Truppen eingebunden sein würden, könne die Risiken einer deutschen Wiederbewaffnung auffangen.
Eine Idee, die Adenauer sofort aufgriff, bot sie doch große
Chancen: Zur Bedingung für einen Wehrbeitrag machte Adenauer
nun die volle Gleichberechtigung der Bundesrepublik Deutschland.
Gleichzeitig mit dem EVG-Vertrag wurde damit auch über den
Deutschlandvertrag verhandelt, der das Besatzungsstatut aufheben
und der Bundesrepublik ihre Souveränität zurückgeben
sollte.
Als Bundeskanzler Konrad Adenauer am 7. Februar 1952 um 9.36 Uhr zu einer zweistündigen Regierungserklärung zur Frage des deutschen Verteidigungsbeitrags ans Rednerpult im Bonner Plenarsaal trat, war das der Auftakt zu einem über zwei Tage und weite Strecken emotional geführten Wortgefecht.
Die Verhandlungen zum EVG-Vertrag und dem als
„Generalvertrag“ bezeichneten Deutschlandvertrag waren
da noch nicht abgeschlossen. Dennoch hatte die SPD auf der Debatte
bestanden: „Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrags
ist von so weittragender Bedeutung, dass sie rechtzeitig (...)
erörtert werden muss", verlangte Erich Ollenhauer,
stellvertretender Vorsitzender der SPD und beklagte „die
Unvollkommenheit der Informationen“ über die
Verhandlungen. Diese widerspreche der „ernsthaften
Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung“.
Zuvor hatte der Bundeskanzler die Position der Bundesregierung zu den beiden Vertragswerken dargelegt: Beide seien „lebenswichtige Entscheidungen für das ganze deutsche Volk einschließlich der Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang“. Die Wiederbewaffnung sei angesichts der „aggressiven Expansionspolitik Sowjetrusslands“ unerlässlich: Werde Deutschland nicht in den westliche Verteidigungsgemeinschaft eingebunden und gelange es in den Machtbereich Rußlands, drohe der Bundesrepublik „Sklaverei und Ausbeutung“, warnte Adenauer.
Nur in der Westintegration und der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft sei Deutschland geschützt und
könne für dauerhaften Frieden in Europa sorgen.
„Ich glaube, daß wir die Wiedervereinigung Deutschlands
nur erreichen werden mit Hilfe der drei Westalliierten“,
betonte der Bundeskanzler.
Eine Ansicht, die die SPD nicht teilte. Sie sah in der Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine Gefahr für die Einheit Deutschlands: „Was geschieht, wenn der Beitritt staatsrechtliche Konsequenzen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs auslöst und die Folge (...) Verhärtung und Vertiefung der Spaltung Deutschlands ist?“, fragte Erich Ollenhauer.
Die „bedrohliche Weltlage und die besondere Gefährdung
Deutschlands“ durch „kriegerische Absichten“ der
Sowjetunion verwies der SPD-Politiker zudem „ins Reich der
Spekulation“. Er forderte die Regierung auf, zunächst
den Deutschlandvertrag zu verhandeln, erst danach den EVG-Vertrag
– und nicht andersherum, wie es die
Außenministerkonferenz der Westalliierten vereinbart hatte.
„Die Politik der Belohnung für Wohlverhalten steht in
krassem Widerspruch zur (...) Partnerschaft freier
Völker“, kritisierte Ollenhauer. „Wir wollen erst
Klarheit über den Generalvertrag (...).“
August-Martin Euler konnte wiederum an diesem Junktim, der Verbindung von Deutschland- und EVG-Vertrag, nichts Kritikwürdiges finden: Wichtiger seien doch ganz andere Fragen, so der FDP-Politiker. Der Generalvertrag dürfe keine „Umkleidung für die Fixierung besatzungsrechtlicher Vergangenheit werden“. Grundsätzlich stimme die FDP für einen Wehrbeitrag, doch müssten in den Verträgen Vorgriffe auf einen späteren Friedensvertrag, wie etwa die Frage von Reparationen, vermieden werden, forderte Euler.
Der KPD-Abgeordnete Max Reimann wandte sich vehement gegen den von ihm als „Wehrzwanggesetz“ bezeichneten EVG-Vertrag. Indem Adenauer die Notwendigkeit dazu mit dem „angeblich beabsichtigten Angriff aus dem Osten“ begründe, wiederhole er „nichts anderes als die Lügen von Adolf Hitler“, der seine Angriffskriege als „Friedenssicherung“ getarnt habe.
Den geplanten Generalvertrag bezeichnete Reimann zudem als
„Über-Versailles“, der eine „Dauerbesetzung
festlege“ und „die Truppen einer neuen Wehrmacht“
dem Oberkommando Eisenhowers unterstelle.
EVG-Vertrag und Deutschland-Vertrag wurden schließlich am 26. und 27. Mai 1952 unterzeichnet. Doch der EVG-Vertrag, im Mai 1953 von Deutschland zwar ratifiziert, wurde am 30. August 1954 von der französischen Nationalversammlung abgelehnt. Damit war nicht nur die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gescheitert, auch der Deutschlandvertrag konnte nicht in Kraft treten.
Erst eine leicht abgeänderte Fassung wurde 1955 gültig.
Sie beendete das Besetzungsstatut und gab der Bundesrepublik
weitgehend ihre Souveränität zurück. Noch im
gleichen Jahr, am 5. Mai 1955, trat die Bundesrepublik der NATO
bei; und der Aufbau der Bundeswehr begann.