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Günther Uecker hat "Das Buch Hiob" als Künstlerbuch mit 47 handsignierten Originalgrafiken gestaltet. Jede Doppelseite umfasst eine Bild- sowie eine Textseite mit dem Bibeltext in Hebräisch und der deutschen Übersetzung Martin Luthers. Hergestellt wurde das Buch im Siebdruck sowie im aufwendigen Terragraph- oder Sanddruck-Verfahren im Atelier von Har-El in Jaffa/Tel Aviv.
Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages hat ein Exemplar der
Auflage erworben und stellt dieses für Christentum wie
für Judentum gleichermaßen bedeutsame Buch im Kunst-Raum
des Bundestages aus, bevor es seinen Platz im Andachtsraum des
Reichstagsgebäudes findet.
Zur Veranschaulichung von Konzept und Arbeitsweise des Ateliers Har-El werden zwei weitere Künstlerbücher der Galerie aus Jaffa vorgestellt: "Das Thomas-Evangelium" von Jannis Kounellis sowie "Genesis" von Emil Schumacher.
"Das Buch Hiob" gehört zur Weltliteratur. Es ist eine der
bedeutendsten Dichtungen der Menschheit und gilt einem ihrer
existenziellen Probleme, der Frage nach einem gültigen
Gottesbild, insbesondere nach der so genannten Theodizee, der Frage
also, wie das physische und moralische Übel, das Böse in
der Welt, mit Gottes Allmacht und Allgüte in Einklang zu
bringen ist. Die Erfahrung zeigt, daß Glück und Leiden
des Menschen oft ohne erkennbaren Bezug zu seiner
Lebensführung, zu seinem Tun und Denken zu stehen
scheinen.
Das Meditieren in diesen Problemkreisen mündet dann
zwangsläufig in der grundlegenden Frage, durch welchen
Lebensvollzug der Einzelne sich vor Gott als "gerecht", das
heißt als gerechtfertigt erweisen kann. Die Frage nach der
Möglichkeit der Rechtfertigung war für Martin Luther
eines seiner grundlegenden religiösen Anliegen. So ist es
folgerichtig, dass dem hebräischen Text Luthers
Übersetzung ins Deutsche zur Seite gestellt ist.
"Das Buch Hiob" ist nicht nur seinem Gehalt nach Weltkultur, es ist dies auch dank seiner kunstvoll komponierten Gestalt. In einer Rahmenhandlung erfahren wir, dass ein Mann namens Hiob im Lande Uz rechtschaffen, reich und glücklich lebt. Sein Glück endet jedoch jäh, als Satan Gott auffordert, Hiob auf seine Gottesliebe hin zu prüfen.
Im Verlauf dieser Prüfung erleidet Hiob durch Satans Wirken
Schicksalsschläge, die ihn aller seiner Kinder und seiner
Herden, schließlich auch seiner Gesundheit berauben. Freunde
besuchen ihn, um ihn in seinem Unglück zu trösten. In
Streitgesprächen mit den Freunden beklagt Hiob, dass er Leid
erdulden muss, ohne sich schuldhaft verhalten zu haben. Mit einer
solchen Sicht setzt er sich in Gegensatz zu seinen frommen
Freunden, die ihn zum Eingeständnis seiner Schuld bewegen
wollen.
Nun fordert er Gott zum Streitgespräch über die
Gründe für sein Leiden heraus - aber der weist ihn in
seine Schranken, offenbart ihm in einer Gegenrede seine Allmacht,
die kein Rechten und Streiten über die Gründe seines
Handelns, kein Hinterfragen seiner Absichten zulässt, er weist
damit aber auch die Annahme eines notwendig ursächlichen
Zusammenhanges von Schuld und Leid zurück.
Hiob zeigt sich in Demut einsichtig und bekennt sein Aufbegehren als Schuld. Er bereut seine Anmaßung, Gott zur Rechtfertigung nötigen zu wollen. Daraufhin stellt Gott den Reichtum Hiobs doppelt wieder her. Hiob stirbt erst mit 140 Jahren, "alt und lebenssatt".
Das "Buch Hiob" ist eines der Bücher des Alten Testamentes,
die auf das Wesen Gottes als "deus
absconditus", als des unerkennbaren Gottes hinweisen. Es
spiegelt jene "Krise der Weisheit", das Aufkommen des griechischen
Rationalismus in der Mittelmeerwelt wider, der das bisherige
mythische Denken entzauberte (das Buch entsteht 350 bis 200 vor
Christus), und damit den Glauben an eine erfaßbare und
berechenbare Gerechtigkeit Gottes erschüttert.
Der Kern des Buches ist also - das können auch spätere
Überarbeitungen nicht verdecken - die demütige, fast
erschreckende Erkenntnis, dass Gottes Wille und seine
Ratschlüsse nicht hinterfragbar sind, weil sie Teil seiner
Allmacht, seines uns verborgenen Wesens sind.
Günther Uecker nimmt sich dieser literarischen Vorlage an und gestaltet sie als Künstlerbuch. Kaum ein anderer Künstler dürfte dieser anspruchsvollen Thematik in gleicher Weise gewachsen sein wie Günther Uecker. Er ist einer der bedeutendsten deutschen, auch international hoch angesehenen Künstler. Er hat sich immer wieder der Frage nach dem Wesen des Menschen und seinem Verhältnis zur Schöpfung und zum Schöpfer zugewandt.
Eine seiner bedeutendsten Gestaltungen der jüngeren Zeit ist
der Andachtsraum im Reichstagsgebäude, ein Raum, der sich dem
Dialog der Religionen öffnet, der eine tiefe theologische
Ausdeutung dessen bedeutet, was die Religionen verbindet.
Diesem hohen theologischen Anspruch wird auch das Künstlerbuch
"Hiob" gerecht. Die 47 Grafiken bieten keine Illustration einer
literarischen Vorlage, es findet sich kein Bild im herkömmlich
erzählerischen Sinne. Es sind vielmehr Urformen und
Strukturen. Gelegentlich erkennt man die Gestalt von Nägeln
oder Spuren von Händen, aber oft sind es geometrische Figuren,
Punkte, Kreise, ein Dreieck, große quadratische Formen - und
immer wiederkehrend ein großer Kreis, ein gewaltiger Wirbel,
daneben gestische Spuren, meist in Schwarz-Weiß gehalten,
aber gelegentlich auch sandfarben, aus aufgetragenem Sand.
Die Druckerei Har-El hat das dafür erforderliche Sanddruck-Verfahren (Terragraph) eigens entwickelt. Diese Grafiken sind symbolträchtig. Der Sand erinnert an den Nahen Osten, an die Wüste, also das Lebensfeld der biblischen Erzählungen, an die Wüste als jenen Ort, an dem sich Gott Moses im brennenden Dornbusch offenbarte oder an den sich Jesus vierzig Tage zum Fasten und Meditieren zurückzog.
Kongenial greift Uecker die religiöse Grundhaltung des Textes
auf: Gott ist derjenige, von dem man sich kein menschliches Bild
machen kann und darf, der sich wie eine Urgewalt in Urformen
verbirgt (metaphorisch ausgedrückt, nicht im Sinne des
Deismus) und offenbart - und der in Ueckers Hiob-Zyklus dem
Menschen als Kraftzentrum, als "energetisch" kreisender Wirbel
entgegentritt, "aus dem Wetter", wie es im Buch Hiob so poetisch
heißt, so dass Gottes Allmacht in diesen Energiefeldern
anschaulich wird.
Wer mit Günther Ueckers Arbeitsweise vertraut ist, weiß, dass sich in seiner Arbeit unmittelbare Körpererfahrung widerspiegelt. Eigentlich sind seine Arbeiten Ergebnisse einer Aktionskunst, die man sich beim Anblick der Grafiken als Bewegung des Malens und Gestaltens, rhythmisch und energetisch, vorstellen muß, als Ausdruck einer geistigen Erregung, eines innerlichen Brennens. So sind diese Graphiken auch eine dramatisch-szenische Gestaltung des Buches Hiob, eine Verlebendigung von Reden und Gegenreden, der Erscheinung des Herrn und der klagenden Verzweiflung des Hiob.
Ueckers Gestaltungen lassen den Gehalt des Buches, dieses Lied von der Allmacht und vom Geheimnis Gottes und vom Ringen des Menschen um sein Gottesbild, anschaulich werden: Das Buch wird in den Grafiken Ueckers zur lebendigen Schau Gottes - nicht seines Abbildes.
"Das Buch Hiob", 47 handsignierte Originalgrafiken von Günther
Uecker auf Azetatdruckfolien, Auflage 99, im Siebdruck und
Terragraph-Verfahren im Atelier von Har-El in Tel Aviv-Jaffa von
Hand gedruckt von Nissim Ben-Nun, Gilad Margol und Orly Spinzi
Günther Uecker, geboren 1930 in Wendorf (Mecklenburg), lebt
und arbeitet in Düsseldorf und Berlin.
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages
Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Zugang über die Spree-Uferpromenade
Schiffbauerdamm, 10117 Berlin
Vom 11. Februar 2009 bis 16. August 2009
jeweils Dienstag bis Sonntag von 11.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei.