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oben: Porträtsitzung mit Konrad Adenauer (1963), unten: Baumruinen III (1977), beide Kallmann-Museum Ismaning © Dr. Haddenhorst-Kallmann
28. Mai bis 28. September 2008
Eröffnung
Dienstag, 27. Mai 2008, 11.00 Uhr, durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert
Die Kunstsammlung des Deutschen Bundestages vermag mit vielfältigen Entdeckungen zu überraschen. Sie verwahrt bemerkenswerte Arbeiten sowohl deutscher Expressionisten als auch solche internationaler Künstler der unmittelbaren Nachkriegszeit oder zahlreiche zeitgenössische Fotoarbeiten. Zu diesen Entdeckungen zählen drei Porträts von Bundestagspräsidenten, die der heute zu Unrecht wenig bekannte Maler Hans Jürgen Kallmann geschaffen hat. Wohl stand er zweimal im Blickfeld der Kunstszene, zunächst in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Berlin. Obwohl er Autodidakt war, fand er schon als junger Künstler Zugang zu so bedeutenden Künstlern wie Max Slevogt, Emil Nolde, Käthe Kollwitz oder Max Liebermann, deren Wertschätzung er gewann.
Im Jahre 1934 wurde ihm sogar den Rompreis der Preußischen Akademie der Künste Berlin verliehen, und kurz darauf der Preis der Abraham-Lincoln-Stiftung in Washington. Im Mittelpunkt seiner frühen Werke steht das abgründige Mysterium der Natur, das er in bedrohlich-unheimlichen Tierbildern expressiv zu fassen wußte. Diese erste, viel versprechende Karriere im Kreise der Berliner Expressionisten wurde jedoch jäh unterbrochen, als die Nationalsozialisten ihn in der Ausstellung "Entartete Kunst" anprangerten. Sein großes Ölbild "Hyäne in der Nacht" hing in der Ausstellung unmittelbar neben Bildern von Emil Nolde und Franz Marc.
Nach Jahren in Tirol und Venezuela, die seiner Bekanntheit und Wertschätzung als Maler in Deutschland nicht förderlich waren, kehrte er 1952 in seine Heimat zurück und begann eine zweite Karriere in München. Er war der Figuration treu geblieben, malte also gegen den ästhetischen Trend des Zeitgeistes und erlangte gleichwohl Ruhm und Anerkennung als psychologisch einfühlsamer Porträtist bedeutender Zeitgenossen. Den ersten großen Erfolg trug ihm das allgemein bewunderte Porträt von Bundespräsident Theodor Heuss (1956) ein. Diesem folgten die nicht weniger aufsehenerregenden Porträts von Bertolt Brecht (1956), Papst Johannes XXIII. (1959), Konrad Adenauer (1963), Konrad Lorenz (1972) oder Carl Orff (1974). Die große Zahl seiner Porträtgemälde und -zeichnungen von Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern jener Jahre lässt sowohl eine politische als auch geistig-kulturelle Physiognomie der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik Deutschland Gestalt gewinnen.
So war Kallmann einerseits erfolgreich, fand Anerkennung durch staatliche Ehrungen und die Verleihung einer Professur. Andererseits führte ihn diese Wertschätzung in ein Dilemma, insofern sein Werk in der öffentlichen Wahrnehmung auf die "Gesellschaftsporträts" verengt wurde und er mit seinem Bekenntnis zur gegenständlichen und figurativen Malerei gegen das zeitgenössische Credo der Abstraktion stand. So bleibt sein Lebenswerk noch zu entdecken, zum einen sein expressionistisches Frühwerk, von dem viele Arbeiten durch seine Verfolgung im Dritten Reich und durch Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg untergegangen oder zerstreut sind (das Kallmann-Museum in Ismaning bei München zeigt parallel zur Ausstellung im Deutschen Bundestag "Frühe Arbeiten"). Zum anderen muss aber auch sein Oeuvre aus der Nachkriegszeit mit seiner thematischen Reichhaltigkeit in den Blick genommen werden: Kallmann hat geradezu obsessiv Naturstudien betrieben und sie in herrlichen Serien von Landschafts- und Waldzeichnungen sowie beeindruckenden Gemälden ihren Niederschlag finden lassen. Eine Auswahl dieser Arbeiten ist im Kunst-Raum des Deutschen Bundestages zu sehen.
Die Ausstellung zeigt, dass er die Urkraft des Lebens in Menschen wie in Bäumen gleichermaßen zu gestalten wusste. Gleichwohl bilden Porträts, allen voran die Porträts der Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers, Eugen Gerstenmaier und Annemarie Renger aus der Kunstsammlung des Bundestages den Schwerpunkt der Ausstellung. Es ist dem frühen Studium der Medizin (1925 bis 1929 in Halle) geschuldet, dass Kallmanns Porträts von einer in der Porträtkunst selten erreichten psychologisierenden Durchdringung der Dargestellten gekennzeichnet sind - in dieser Qualität durchaus mit der Porträtkunst Oskar Kokoschkas vergleichbar, wiewohl in ihrer Expressivität zurückgenommen. So erlaubt die Ausstellung, einen Künstler und sein Werk neu zu entdecken, Porträtkunst wieder neu zu sehen und zugleich der politischen und intellektuellen Elite der jungen Bundesrepublik im wortwörtlichen Sinne ins Gesicht zu schauen.
Hans Jürgen Kallmann, geb. 1908 in Wollstein (ehem. preußische Provinz Posen), gest. 1991 in Pullach bei München
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages
Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Zugang über die Spree-Uferpromenade
Schiffbauerdamm, 10117 Berlin
Dienstag bis Sonntag von 11.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei.