Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > IPS-Stipendiatin Csepe
Diese eine Frage konnte Eszter Csepe während des Bewerbungsgespräches für das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS) beim besten Willen nicht beantworten. Wie denn das Wetter in der vergangenen Woche in Bratislava gewesen sei, wollten die aus Berlin für das Gespräch angereisten Bundestagsabgeordneten so nebenbei wissen. Keine Ahnung, antwortete die 29-jährige Slowakin: "Ich lebe und arbeite in Leipzig und bin heute erst für das Gespräch hergekommen.“ Einen Tag Urlaub hat sie genommen und ist die 900 Kilometer mit dem Auto gefahren. Am Ende hat sich der Aufwand gelohnt: Eszter Csepe bekam einen Praktikumsplatz im Rahmen des IPS und arbeitet seit März dieses Jahres im Büro des Abgeordneten Richard Pitterle (Die Linke).
Im Jahr 2003 ist sie nach Deutschland gekommen, um an der Universität Leipzig Politikwissenschaften zu studieren. 2007 begann sie neben dem Studium für die Wisamar Bildungsgesellschaft zu arbeiten. Ein kleines Unternehmen, das sich mit der Entwicklung europäischer Bildungskonzepte insbesondere im Bereich der beruflichen Bildung beschäftigt.
Seit dem Abschluss ihres Studiums 2009 ist Eszter Csepe dort als Projektleiterin fest angestellt. "Bei der Arbeit kommen mir meine ungarischen und slowakischen Sprachkenntnisse zugute“, erzählt sie. Schließlich sei eine ihrer Aufgaben, "Berufsschulen in Ungarn und der Slowakei zu kontaktieren, um den Schülern ein Praktikum in Deutschland zu ermöglichen“.
Die Berufsschüler sollen somit in Kontakt mit dem dualen Berufsausbildungssystem kommen. So etwas gebe es in den meisten Ländern nicht, sagt Eszter Csepe. "Ich habe erst in Deutschland davon erfahren, dass es ein System gibt, in dem die Unternehmen selber Verantwortung dafür übernehmen, ihre zukünftigen Fachkräfte auszubilden.“
In der Slowakei etwa fühlten sich die Unternehmen dazu nicht verpflichtet. "Das führt dazu, dass die Schüler in die Berufsschule gehen - der praktische Teil der Ausbildung aber wenig ausgeprägt ist“, kritisiert die Expertin.
Wie sind nun aber die Reaktionen, wenn eine knapp 30-Jährige mit neuen Ideen und Projekten für die berufliche Bildung an den seit Jahren manifestierten Strukturen rütteln will? "Mein Vorteil ist, dass ich von dort komme“, sagt sie.
In der Slowakei geboren, gehört Eszter Csepe der dort lebenden ungarischen Minderheit an. "Da ich eine von ihnen bin, ist es leichter Vertrauen zu schaffen und erste Hürden abzubauen.“ Und dann kommt dazu noch der Sprachvorteil. "Da brauchen wir dann auch keinen teuren Dolmetscher“, sagt sie augenzwinkernd.
Doch das ist nicht der einzige Grund, warum Eszter Csepe möglichst viele Sprachen lernen möchte. "Will man die Menschen wirklich verstehen muss, man ihre Sprache können“, sagt sie. Ein Dolmetscher könne zwar vieles übersetzen, aber die Authentizität sei dennoch nicht gegeben.
"Bei der Wisamar Bildungsgesellschaft haben wir Partner in 23 Ländern - da ist es schön, wenn man beispielsweise ein paar Brocken Spanisch kann.“ Ein bisschen untertreibt sie damit: Fünf Sprachen - unter anderem Spanisch - spricht sie fließend. Im Chinesischen beherrscht sie die Grundkenntnisse.
Doch gerade mit Deutsch hatte sie anfangs ihre Probleme. "In der Schule habe ich die Sprache gehasst“, gibt sie zu. "Ich hatte damals keinen Bezug zum Land und konnte die Sprache auch nirgendwo anwenden.“ Als sie in Deutschland mit dem Studium begann, lernte sie jedoch eines ganz schnell: alles kritisch zu hinterfragen, auch wenn es in Lehrbüchern steht. "Dazu muss man jedoch die Sprache richtig beherrschen. Das war mein Anreiz“, erklärt sie.
Das "kritische Denken“ habe sie erst hier gelernt. "Seit ich in Deutschland bin, sehe ich auch viele Sachen in meinem Heimatland anders“, sagt sie. Vielen Slowaken fehle es an einem kritischen Verhältnis zur Regierung, beklagt sie und fordert: "Die Menschen müssen offener für politische Diskussionen werden.“ Da aber kritisches Denken gelernt sein will - wie sie aus eigener Erfahrung weiß - braucht es "politische Erziehung schon in der Schule“, sagt Eszter Csepe.
Kritik ist auch ein wichtiges Stichwort für ihre Arbeit während der vergangenen fünf Monate im Bundestagsbüro eines Abgeordneten der Linksfraktion. "Die Aufgabe der Opposition ist es, die Regierung zu kritisieren und zu kontrollieren“, sagt die Slowakin. Sie habe den Eindruck, dass die Oppositionsarbeit im Bundestag "sehr erwünscht ist“.
Auch wenn die Anträge von SPD, Grünen und Linksfraktion in aller Regel keine Mehrheit fänden, sei die Arbeit nicht umsonst, urteilt Eszter Csepe und verweist auf eine der Erfahrungen, die sie während ihres Praktikums gemacht hat: "Die Koalitionsfraktionen nehmen Anregungen aus Oppositionsinitiativen auf, auch wenn sie dies explizit so nicht kommunizieren.“
Dass die Linksfraktion anfangs nicht gerade ihre erste Wahl war, räumt die 29-Jährige ein. "Irgendwie wollen doch alle zu einer Regierungsfraktion“, sagt sie. Im Nachhinein ist sie jedoch "sehr glücklich“, dass es anders kam. Was nicht zuletzt mit "ihrem“ Abgeordneten Richard Pitterle zu tun hat. "Er ist ein sehr offener Mensch, der auch sehr europainteressiert ist. Besonders unsere regen und persönlichen Diskussionen fand ich bereichernd“, sagt sie.
Auch mit den ungewohnten Themen des Finanzausschusses, dessen Mitglied Pitterle ist, lernte sie umzugehen. "Ich war zu Beginn schon skeptisch, ob ich da tatsächlich mitarbeiten kann“, sagt Eszter Csepe. Zwar habe sie im Nebenfach Betriebswirtschaftslehre studiert, doch sei es da eher um "Personalmanagement und Marketing gegangen als um Bankensteuern“.
Aber durch die Hilfe Pitterles und seiner Mitarbeiter habe sie auch bei diesen Themen immer besser die Hintergründe und Zusammenhänge erkannt. "Wenn ich jetzt in der Zeitung von Eurobonds lese, weiß ich, worum es sich dabei handelt“, zeigt sie sich zufrieden.
Eine auch für sie persönlich wichtige Erfahrung machte Eszter Csepe während einer Stiftungsreise nach Sankelmark in Schleswig Holstein. "Als Mitglied der ungarischen Minderheit in der Slowakei war es für mich sehr interessant zu sehen, wie in Deutschland mit Minderheiten umgegangen wird“, sagt sie.
"Bei uns gibt es viele Spannungen zwischen Ungarn und Slowaken - die Ungarn werden oftmals als Last oder als Gefahr gesehen.“ In Schleswig-Holstein sei das anders gewesen: "Es wird positiv aufgefasst, dass es Minderheiten gibt. Sie werden als Bereicherung der Kultur gesehen“, lautet ihre Einschätzung.
Neben dem dualen System und dem Parlamentarismus scheint also auch der Umgang mit Minderheiten etwas zu sein, was Eszter Csepe gern von Deutschland in ihre slowakische Heimat transferieren würde. (hau)