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Gültig ab: 29.11.2005 00:00
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Nach 15 Jahren – Polen, Deutschland und die Einheit

Bild: Lech Walesa und Bundespräsident Horst Köhler
Lech Walesa und Bundespräsident Horst Köhler beim Festakt „25 Jahre Solidarność“.

Bild: Adam Krzemiński
Der Publizist Adam Krzemiński.

Ein Essay von Adam Krzemiński

Jahrzehntelang lautete eine der – auch von Nichtkommunisten vertretenen – Faustregeln der polnischen Politik, die Teilung Deutschlands liege im vitalen Interesse Polens, zumal die damalige Bundesrepublik mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zögerte. Trotzdem glaubte kaum jemand – auch nicht in der kommunistischen Führung Volkspolens –, dass sich dieses „rote Preußen“, das eigentlich nur ein sowjetisches Aufmarschgebiet war, auf Dauer in Europa etablieren würde. Die DDR störte wegen ihres rigorosen Autoritarismus und muffig-arroganten Dogmatismus, doch sie galt als ein Bollwerk der neuen polnischen Grenze. Das änderte sich nach Willy Brandts Kniefall in Warschau.

Es ist ein Verdienst der demokratischen Opposition in Polen, dass sie bereits Ende der 70er Jahre das Undenkbare dachte und eine diametrale Umkehr im polnischen Denken über Deutschland wagte. Nicht die Teilung, sondern gerade die Vereinigung Deutschlands liege im polnischen Interesse, schrieben die Strategen der „Solidarność“ in den 80er Jahren, und sie sagten es auch laut und deutlich im August 1989, als sie schon frei gewählte Sejm-Abgeordnete waren, während die Berliner Mauer immer noch gegen jegliche tektonische Erschütterungen in Mitteleuropa gesichert zu sein schien.

Anders als aus Paris und London gab es aus Warschau in den hitzigen Monaten des Jahres 1990 keine Versuche, die DDR zu retten. Im Gegenteil: Die polnischen Politiker sprachen von einer – bis dahin unerhörten – deutsch-polnischen Interessengemeinschaft. Beide Länder seien an einer Vereinigung Deutschlands ebenso interessiert wie an einer Anbindung Polens an die westlichen Institutionen.

Auch wenn es meist verkannt wird: Die politischen Biographien Deutschlands und Polens sind an vielen Stellen eng miteinander verflochten und bedingen einander. Beide Länder haben im 20. Jahrhundert ihre Wiedervereinigung erlebt, Polen – nach über hundert Jahren – 1919, Deutschland – nach vierzig Jahren – 1989. Die polnische verlief in der unbeständigen Welt nach dem Ersten Weltkrieg stürmischer, die deutsche nach der erfolgreichen friedlichen Revolution gegen die 1944/48 von Stalin aufgezwungene kommunistische Herrschaft in Ostmitteleuropa harmonischer.

Der Unterschied ist allerdings, dass im polnischen Falle alle drei Teilungsgebiete – das preußische, das russische und das österreichische – einen gleichberechtigten Beitrag zur neuen Staatlichkeit leisteten und damit auch zu wichtigen Elementen des nationalen Selbstwertgefühls wurden, während im deutschen Fall der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik die „Mauer in den Köpfen“ und den „Ossi-Wessi-Gegensatz“ nicht automatisch beseitigte. Am 3. Oktober 1990 war die Feier der Einheit dezent heiter, ohne jegliches nationales Bramabarsieren, und das Vertrauen der Ostdeutschen in die heilsame Wirkung der westdeutschen Republik war uneingeschränkt, was sich auch im Sieg der Partei Helmut Kohls bei den ersten Bundestagswahlen im vereinten Deutschland ausdrückte.

15 Jahre danach scheint die innere Vereinigung Deutschlands noch immer nicht vollendet zu sein. Von außen gesehen blühen die Landschaften der neuen Bundesländer – die neuen Autobahnen und Brücken, die neu gebauten Bauern- und die renovierten Bürgerhäuser – tatsächlich. Nur lassen neue Gründerjahre in der Ex-DDR nach wie vor auf sich warten. Das Herz der deutschen Wirtschaft schlägt weiterhin vor allem entlang der Rheinschiene. In Ostdeutschland dagegen ist die Stimmung mies, die Arbeitslosigkeit hoch und die Nachfolgepartei der alten SED regional die stärkste Partei.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Erweiterung der EU auch Ostdeutschland einen Schub geben wird. Die Stimmung in Sachsen, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern gegenüber den Nachbarn im Osten hat sich in den letzten Jahren merklich gebessert. Vergessen sind die „Brötchenkriege“ deutscher Bäcker in Frankfurt/Oder gegen ihre polnischen Wettbewerber, es verfliegt auch die Angst vor polnischer Konkurrenz auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Dagegen wächst allmählich die Hoffnung, dass irgendwann einmal der Motor der Osterweiterung auch für die Ostdeutschen anspringen wird. Und wenn das eintrifft, werden auch die Populisten auf beiden Seiten von Oder und Neiße den Wind in den Segeln verlieren, der ihnen momentan noch kräftig in den Rücken weht.

Fotos: Picture-Alliance, Mecom/Poklekowski
Erschienen am 01. Dezember 2005

Weitere Informationen:

Der Publizist Adam Krzemiński, Jahrgang 1945, ist seit 1971 Redakteur der polnischen Tageszeitung „Polityka“. Krzemiński hat in Warschau und Leipzig studiert und gilt als exzellenter Kenner der deutsch-polnischen Beziehungen. Er arbeitet unter anderem für „Die Zeit“, das deutsch-polnische Magazin „Dialog“ und für die Polnisch-Deutsche Gesellschaft in Warschau.


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