„Endlich nimmt uns der Staat ernst“, so ein aufgeregter muslimischer Aktivist, der sich nun in seiner religiösen Identität verstanden fühlte. Selbst säkulare Muslime waren nicht minder positiv überrascht über die Initiative des Innenministeriums. Die Islamkonferenz mit ihren zahlreichen Untergruppen soll Wege der Integration von Muslimen in Deutschland aushandeln und erklärtermaßen für Verständigung der Religionen im demokratischen Gemeinwesen werben.
Ausgangspunkt ist der Dialog mit dem Islam, der eine spektakuläre Konjunktur erfährt und einem vermeintlichen Kampf der Kulturen vorbeugen oder gar begegnen soll. Dies ist politisch opportun, weil komplexitätsreduzierend, jedoch problematisch, weil Religion zum kulturellen Mittel für politische Rationalität mutiert und die Islamkonferenz zum wichtigen Instrument von Integrationsbemühungen wird. Zudem wird der „Meilenstein im Dialog“ mit Sicherheitserwägungen verknüpft. „Der Islam ist nicht terroristisch, aber viele Terroristen sind muslimisch“, heißt es in Regierungskreisen. Dabei verhält sich der gemeine Muslim doch verfassungskonform. Religion ist ja nur eine Identität neben vielen, selbst wenn Muslime sich vermehrt um den von ihnen wahrgenommenen Grund ihrer Diskriminierung, nämlich ihre religiöse Zugehörigkeit, zusammenfinden. Die Konfessionalisierung des politischen Diskurses in öffentlichen Debatten schweißt Muslime ja zusammen, ungeachtet ethnischer und nationaler Herkunft und religiöser Überzeugung.
Ob nun „Ethnomarketing“ das geforderte Zentrum schaffen kann, um eine Transformation von Migranten muslimischen Glaubens in eine muslimische Gemeinde und damit in einen kollektiven deutschen Akteur zu leisten und so die vielfältigen Probleme tatsächlich besser angehen lässt oder vielmehr verschiebt und inwiefern sie politisch wünschbar ist, diese Fragen wurden bisher nicht gestellt. Denn mit dem Bemühen des Staates um eine notwendige muslimische Repräsentanz wird auch ein muslimischer Purismus gefördert und gefordert.
Ganz offensichtlich hat der politische Diskurs eine kulturalistische, ja man möchte sagen islamische Wende vollzogen. Die Islamkonferenz soll nun religiöse Kommunikation in politisches Handeln ummünzen. Nun hat die Dialektik eines Multikulturalismus nicht nur zur Debatte über Leitkultur geführt. Die im Zuge der vermeintlichen Säkularisierung abhanden gekommene Religion betritt die Arena des politischen Diskurses. In dem Maße, da das Politische kulturalisiert und religiöse Identität adressiert wird, besteht natürlich die Gefahr, dass politische Kernanliegen verdrängt werden: Denn als Bürger hat ein Muslim Rechte und Pflichten, die ganz außerhalb des Bereichs der Religion angesiedelt sind — und nach demokratischem Verständnis sein müssen.
Die großen Religionsgemeinschaften unterstützen nicht ohne Interesse diese Konfessionalisierung des Integrationsdiskurses, um sich nach außen und nach innen zu festigen. Abzuwarten bleibt, ob die unabhängigen Repräsentanten der Islamkonferenz darüber erhaben sind — vielleicht weil sie wissen, dass die Integrationsprobleme nicht in erster Linie durch einen auf religiöse Zugehörigkeit und theologischen Austausch festgelegten Diskurs gelöst werden und über die notwendige Transparenz und kommunikative Kompetenz verfügen.
Die Islamkonferenz kann und soll daher ein Signal für aktives Engagement mit Pluralität sein. Aber genau dies scheint gegenwärtig schwer zu gelingen, weil eindeutige Religionszuweisung und religiöse Identitätsbekenntnisse angefordert werden und man damit Gefahr läuft, die Grenzen zwischen Volks- und Glaubenszugehörigkeit zu zementieren. Nimmt der Staat die Muslime etwa zu ernst, wenn er migrationspolitischen Handlungsbedarf und Fragen von Glauben und religiöser Identität sowie Sicherheit zusammenführt, um den brennenden Problemen von niedrigem Bildungsniveau, hoher Arbeitslosenrate und Jugendkriminalität zu begegnen? Eine voreilige Verknüpfung des Dialogs mit securitization und die Übersetzung der Integrationsfrage in eine primär religiöse sind nicht unproblematisch. Gleichwohl kann der Dialog einen Ansprechpartner in Religionsfragen hervorbringen, der ansprechbar ist und sich zu bestimmten Fragen zu Wort meldet. Muss es aber, ja, kann es überhaupt viel mehr sein? Vielleicht entsteht Handlungskompetenz eher auf lokaler Ebene. Dies widerspräche nicht föderalen Strukturen in Deutschland und auch nicht einer dezentralen Religion wie dem Islam.
Fotos: Ullstein, Privat
Erschienen am 31. Januar 2007
Prof. Dr. Jamal Malik, geboren 1956 in Peshawar/Pakistan, ist Professor für Islamwissenschaft an der Universität Erfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem: muslimische Minderheitengesellschaften in Europa, islamische Mystik und Sozialgeschichte Südasiens.