Vor fünfzig Jahren wurde das Grundrecht auf Gleichberechtigung von Frauen und Männern in den Alltag übersetzt, das heißt: Gesetze des Bürgerlichen Gesetzbuches, die diesem im Grundgesetz verankerten Menschenbild zuwiderliefen, mussten neu formuliert werden. Dem Ehemann wurde das Letztentscheidungsrecht genommen. Man sieht förmlich vor seinem inneren Auge, wie es damals gewesen sein muss. Hans-Günther senkt nach einem Ehestreit schließlich seine Faust auf den Resopaltisch und sagt: Schluss jetzt, Inge! Du hörst auf zu arbeiten. So wird das jetzt gemacht! Jedoch hat er seit damals nicht mehr das Recht, den Arbeitsvertrag der Ehefrau zu kündigen — die allerdings noch bis 1977 die Zustimmung des Ehemannes brauchte, wenn sie ein Arbeitsverhältnis einging.
Wir leben in einem Land, in dem eine Frau Bundeskanzlerin ist, in dem eine CDU-Familienministerin Krippenplätze für zwölf Milliarden Euro schaffen will. Dennoch ist der Feminismus seit einem Jahr ein Riesenthema. Zuerst befremdete Frank Schirrmacher die Frauen mit seinem Lob der Blutsbande in „Minimum”, dann kam Eva Hermans Backto-the-roots-Buch; Thea Dorns F-Klasse war eine Art Antwort darauf. In der Wochenzeitung Die Zeit forderten 16 Frauen einen „Neuen Feminismus”. Der Spiegel spendierte Alice Schwarzer ein langes Interview.
Jahrelang schien es mit den Frauen meiner Generation immer nur bergauf zu gehen. Wir machten die besseren Schulabschlüsse als gleichaltrige Jungs, mehr von uns machten Abitur, wir waren im Studium besser, wir bekamen leichter Praktikumsplätze und stellten uns dort cleverer an als die immer etwas unbeholfen wirkenden Männer. Bis zum Ende des Studiums war alles schön koedukativ. Dann trennten sich unsere Wege. Plötzlich waren sogar Männer, die man noch aus dem Studium als eher unbegabt in Erinnerung hatte, Chefs, während Freundinnen, die man aus dem Studium als sehr begabt in Erinnerung hatte, nach dem ersten Kind jahrelang zu Hause blieben und sich mit der Frage quälten, ob sie das Urvertrauen ihres Kindes zerstören, wenn sie es zu früh in die Krippe stecken. Außerdem: Wie erklärt sich eigentlich die Zahl „eins”, wenn die weiblichen Vorstandsmitglieder bei den 100 größten deutschen Unternehmen gezählt werden? Oder die Tatsache, dass Frauen noch immer weniger Geld für denselben Job bekommen? Dazu passten auch die biologistischen Erklärungen für geschlechtsspezifische Unterschiede, die in den letzten Jahren wieder in Mode gekommen sind. Die ja bedeuteten, dass es vielleicht so sein muss. Dass es unklug wäre, zu verändern, was die Natur nun einmal so vorgesehen hat. Da ist sogar die Generation Heike Makatsch — früh erfolgreich, früh berufstätig, sexy auf eine burschikose Weise, nicht auf den Mund gefallen — sauer geworden. Und weil wir alle irgendwas mit Medien machen, schreiben wir halt darüber.
Der „Neue Feminismus” besteht aus Büchern und Titelgeschichten, aber er hat keine einzige politische Gruppierung hervorgebracht. Es hat keine Demonstration gegeben, nur Talkshows und Bestseller. Vielleicht ist das in Ordnung so. Die Ungerechtigkeiten, um die es heute geht, eignen sich nicht für eine Bewegung. Es sind keine Themen, für die man „auf die Straße gehen” würde, weil sie so schreiend ungerecht sind, so demütigend, verletzend, potenziell lebensbedrohlich sind, wie der Paragraph 218 es war oder in manchen Fällen die Ehehölle der fünfziger Jahre, wie Alice Schwarzer sie 1975 in „Der kleine Unterschied” beschrieben hat.
Deshalb ist das Jubiläum von 50 Jahren Gleichberechtigung im BGB ein wunderbarer Reality-Check. Es gibt kein Gesetz mehr, das Frauen verbietet, zu arbeiten, zu studieren oder Generaldirektorin der Skoda-Werke zu werden und nebenbei drei Kinder zu bekommen. Dass das trotzdem nicht so häufig vorkommt, scheitert an subtileren Hindernissen. Sie sind so altbekannt, dass man sie schon gar nicht mehr aufzählen mag: Ehegattensplitting, Krippenplätze, das deutsche Übermuttersyndrom, die Angst vieler Frauen, sich durch Führungsaufgaben unattraktiv zu machen, die Angst vieler Männer, sich durch fehlenden beruflichen Erfolg unattraktiv zu machen.
Jetzt warten wir noch auf das Buch von Alice Schwarzer. Es heißt „Die Antwort”. Kann gut sein, dass die Diskussion um den „Neuen Feminismus” danach auch schon beendet ist. Den Grundsatz der Gleichberechtigung in den Alltag von Männern und Frauen zu übertragen, das überlassen wir fürs Erste den Politikerinnen unserer Wahl.
Heike Faller, Jahrgang 1971, ist Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit. Sie gewann den Emma-Journalistinnen-Preis 2006 für einen Essay über die Frage, ob ihre Frauengeneration den Feminismus verspielt habe.
Text: Heike Faller
Erschienen am 18. Juni 2007